Konzentriert steht Christian (Name wurde geändert) vor einem Fenster in der Wittlicher Justizvollzugsanstalt und schaut nach draußen auf den Sportplatz der JVA. Für ihn und 19 weitere Gefangene steht eine wichtige Prüfung an: Die theoretische Fußball-Schiedsrichterprüfung.
Für den Fußballfan ist das ein ganz besonderes Erlebnis, auf das er sich in den vergangenen drei Wochen vorbereitet hat. Nun werde sich zeigen, was von dem Lehrgang hängen geblieben ist, sagt Christian und grinst aufgeregt.
Projekt als zweite Chance nach Entlassung
An den vergangenen drei Samstagen wurden Gefangene von JVA und Jugendstrafanstalt Wittlich im Schiedsrichter-Anwärterlehrgang ausgebildet. Gemeinsam mit ihren Coaches - Schiedsrichtern des Fußballverbandes Rheinland - sind sie das Regelwerk durchgegangen, haben Fragen beantwortet bekommen.
Verband ist alarmiert Faustschläge in Trier: Wo kommt die Gewalt beim Jugendfußball her?
Faustschläge, eine rote Karte und eine lange Sperre. Nach Gewalt bei einem A-Jugendspiel in Trier-Tarforst will der Fußballverband jetzt reagieren. Es geht auch um die Eltern.
Die Idee hinter dem Projekt: die Gefangenen beim Wiedereinstieg in die Gesellschaft zu unterstützen. "Eine super Sache", findet Christian: "Ich finde es spitze, dass wir durch das Projekt die Möglichkeit bekommen, uns zu resozialisieren. Das ist ein wahres Erfolgserlebnis für mich."
Praktische Ausbildung im Verein
Bestehen die Teilnehmer die Prüfung, können sie sich nach ihrer Entlassung mit dem Zertifikat bei einem Verein in der Region als Schiedsrichter vorstellen. Aufgrund des akuten Mangels an Schiedsrichtern sei das Projekt für viele Vereine eine Hilfe, so Marc Schiry, Verbandslehrwart im Fußballverband Rheinland.
In Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Verein soll dann auf dem Platz die praktische Ausbildung folgen. Und auch weitere Kurse stehen auf dem Plan, wie zum Beispiel ein verpflichtendes Gewaltpräventionsprogramm.
Gewalt gegen Schiedsrichter
Dass bei einigen Teilnehmern des Schiri-Kurses die Zündschnur in der Vergangenheit etwas kürzer war, ist für Marc Schriy, der selbst auch als Schiedsrichter pfeift, kein Ausschlusskriterium. Früher oder später würden die Anwärter auf dem Platz mit verbaler Gewalt konfrontiert.
"Wir wollen den Gefangenen vor Augen führen, wie Beleidigungen und Bedrohungen auf einen wirken können und einen Perspektivwechsel schaffen." Die Anwärter sollen vor allem alternative Konfliktlösung kennenlernen.
Geschrei, Gebrüll und Angriffe Gewalt im Fußball: Was sich Schiedsrichter alles gefallen lassen müssen
Schiedsrichter aus der Region Trier sehen sich immer wieder Beleidigungen und Gebrüll ausgesetzt. Einen besonders gravierenden Fall gab es zuletzt im Fußballkreis Mosel.
Die kürzere Zündschnur kennt Christian nur zu gut aus vergangenen Tagen. Als Spieler hat er selbst schon auf dem Platz gestanden und hat, wie er selbst sagt, mit viel Leidenschaft gespielt. "Die Ausbildung hat meine Sicht auf den Fußball verändert. Nun kann ich Schiedsrichter-Entscheidungen besser verstehen." Er sei ruhiger geworden und wolle zeigen, was er könne.
Die Zeit im Gefängnis gut genutzt
Nach seiner Entlassung in vier Wochen bekommt der 29-Jährige die Chance, zu zeigen, was er kann. Denn nach Auswertung des schriftlichen Tests steht fest: Fast alle haben die Prüfung bestanden. Auch Christian darf sich freuen.
Ob die Gefangenen nach ihrer Entlassung ihr Ziel bei einem Verein weiterverfolgen, um eines Tages tatsächlich zu pfeifen, wisse man nicht, so Verbandslehrwart Marc Schiry. So müsse man erst auf dem Platz herausfinden, ob es wirklich etwas für einen sei. Im besten Fall bleiben zehn von ihnen weiterhin am Ball.
Christian möchte einer davon sein - auch, um etwas zurückzugeben. "Wenn ich raus komme mit dem Schiedsrichterschein, bin ich gleich mehr in der Gesellschaft anerkannt. Das ist schon was Schönes."