Zeitdruck und Finanznot - wie es um die ambulante Pflege in RLP steht

Kosten deutlich gestiegen

Zeitdruck und Finanznot - Vielen Pflegediensten in RLP droht das Aus

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Häusliche Pflege statt Heim - das wünschen sich viele Ältere. Doch mobile Pflegedienste kämpfen nicht nur mit Personalmangel, sondern oft ums Überleben - weil das Geld fehlt.

Elfriede und Walter Reitz aus Worms bekommen jeden Tag Besuch von Pflegekraft Michelle Schlender. Sie hilft bei den Medikamenten - und hat dafür eigentlich genau drei Minuten Zeit. Mehr bekommt der Pflegedienst von der Krankenkasse nicht bezahlt. Jede Leistung in der Pflege ist auf die Minute festgelegt.

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Mit der Realität des Alltags hat das aber wenig zu tun. Michelle Schlender braucht dafür deutlich länger. "Man kann ja nicht erwarten, dass sie alles auf einmal nehmen", sagt sie. Und: Die Patienten brauchten oft mehr als nur ihre Medikamente.

Elfriede Reitz hat Lungenkrebs, ihr fehlt ein Stück der Lunge und sie leidet immer wieder unter Luftnot. Auch ihr Mann ist nicht gesund, aber dennoch übernimmt er einen Großteil des Haushalts.

Wenn die Frau Reitz zusammenbricht da kann ich nicht sagen: Heul' später alleine. Das geht ja nicht. Dann muss ich sie auch mal in den Arm nehmen oder die Hand. Oder mal ein Späßchen machen, dass sie wieder lachen kann.

Bezahlt wird das nicht. Sie tue es sozusagen ehrenamtlich, sagt Michelle Schlender. "Ich brauche das einfach. Ich muss für die Patienten trotzdem da sein, aber ich bekomme es halt nicht vergütet. Das ist traurig."

Wenn ein ambulanter Pflegedienst, nach Hause kommt, wird von der Pflegeversicherung Pflegesachleistung gezahlt

"Kasse zahlt zu wenig für Leistungen der ambulanten Pflege"

Die Kassen zahlten die Leistungen nicht ausreichend, so der Pflegedienst. Und dann sei auch noch der Mindestlohn in der Pflege deutlich gestiegen. Aber Michelle Schlenders Chefin Ajla Crnalic bleibe auf den Mehrkosten aktuell größtenteils sitzen, sagt sie.

Sie hat sich vor gut einem Jahr selbstständig gemacht und hat inzwischen 16 Beschäftigte. In den letzten anderthalb Jahren seien die Personalkosten fast um 30 Prozent gestiegen, so Crnalic. Die Refinanzierung liege "irgendwo zwischen 17 und 18 Prozent. Das reicht einfach nicht".

Die Kassen würden nicht sehen, "dass wir mit unserem System hier völlig gegen die Wand gefahren sind". Das sei auch der Grund, warum in ihrem Umkreis und auch bundesweit immer mehr Pflegeeinrichtungen schließen müssten.

Der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, Markus Mai, warnt, dass viele Pflegedienste kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch stünden. "Wir haben schon große Sorgen, dass die Pflegedienste aufgrund von Finanzierungsproblemen generell in absolute Notlage geraten", sagt Mai. Es seien ja oft kleinere Betriebe mit wenig finanziellen Ressourcen.

Wir haben schon große Sorgen, dass die Pflegedienste aufgrund von Finanzierungsproblemen generell in absolute Notlage geraten.

Pflegedienst wartet auf das Geld von den Kassen

Oft warte der Pflegedienst monatelang auf das Geld der Kassen, sagt Crnalic. "Teils auch vergeblich, wenn die Kassen plötzlich entscheiden, dass die Leistung doch nicht genehmigt wird." Dann müsste der Dienst den Pflegebedürftigen eine Privatrechnung stellen, die diese oft nicht bezahlen könnten. Also bleibe man auf den Kosten sitzen, so Crnalic. "Sie werden doch keinem 85-Jährigen Inkasso hinschicken."

Pflegekammer fordert Kostenpauschale

Die Pflegekammer fordert für mehr finanzielle Sicherkeit, einen Teil der Vergütung nicht leistungsabhängig, sondern als Pauschale auszuzahlen. Der rheinland-pfälzische Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) ist offen für eine solche Diskussion. Die Pflegedienste bräuchten eine klare Option, gut finanziert zu sein. Am Ende werde man eine Kombination aus allen Möglichkeiten suchen müssen. Er sei um jeden Vorschlag dankbar.

Die Pflegedienste brauchen eine klare Option, gut finanziert zu sein.

Nicht nur die wirtschaftliche Lage, auch die fehlende Zeit für Menschlichkeit seien Gründe, warum das System dringend reformiert werden müsse, so Pflegekraft Michelle Schlender. Es gehe schließlich um Menschen. Die "Abfertigung" müsse aufhören. Jeder Mensch wolle doch gut behandelt werden und kein "Minutenpreis" sein.

250 Pflegebedürftige verlassen sich jeden Tag auf Ajla Crnalic, Michelle Schlender und ihre Kolleginnen. Aufgeben ist für sie keine Lösung. Denn sonst blieben die Pflegebedürftigen auf der Strecke.

Die sind diejenigen, die dieses System ausbaden müssten. Wenn wir alle die Pflege verlassen, was bleibt dann noch?

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