Die siebenjährige Melina aus Mainz-Finthen macht normalerweise ihre Hausaufgaben weitgehend alleine. Seit Wochen aber müssen ihre Eltern assistieren. Melina wartet nämlich seit Beginn des Schuljahres Anfang September auf ihr Lesebuch. Das bekommt sie eigentlich über die Schulbuchausleihe. Aber die befindet sich in Mainz in einem heillosen Chaos.
Die Lehrer an Melinas Grundschule behelfen sich, indem sie Kopien aus dem Lesebuch machen und sie an diejenigen verteilen, deren Buch noch fehlt - und das sind einige. Melina hat inzwischen einen halben Ordner voll mit Kopien. Da kann sie nur durchsteigen, wenn Mama oder Papa helfen.
Ähnlich schlimm hat es Melinas Schwester Melissa getroffen. Der Siebtklässlerin fehlen sogar in vier Fächern die Bücher, darunter in den Hauptfächern Englisch, Deutsch und Mathematik. Auch an ihrer Schule, der IGS Mainz-Bretzenheim, ist der Schulkopierer im Dauereinsatz. Und wenn sie mal krank zu Hause ist, müssen ihr die Mitschülerinnen die Seiten per Mail oder App schicken. Oftmals sind diese Fotos unscharf oder wichtige Teile fehlen.
Schülerinnen und Schüler in Schulbuchausleihe sind benachteiligt
Vor den Herbstferien hat Melissa ihre ersten Klassenarbeiten im Schuljahr geschrieben. "Das war schon ein Nachteil", klagt ihre Mutter Alexandra Ebert-Stoll. Aber immerhin ging es dem überwiegenden Teil der Klasse genauso. Denn auch ihnen fehlen Bücher. Ein einziger Mitschüler hat tatsächlich alle Bücher. Mutmaßlich haben seine Eltern sie selbst gekauft. Wer an der Schulbuchausleihe teilnimmt, wie Melissa und Melina, der guckt in Mainz in die Röhre.
Schulbuchchaos in Mainz seit Jahren
Für Familie Ebert-Stoll ist das Schulbuchchaos inzwischen bereits Gewohnheit. "Vor vier Jahren ging das bei Melissa los", klagt Mutter Alexandra. "Damals bekam sie ihre Bücher erst im Winter". Und in Melinas erstem Schuljahr kamen die Bücher gar erst im Januar, zum Ende des Halbjahres. Bezahlen müssen die Ebert-Stolls selbstverständlich das komplette Schuljahr. "Mir geht es nicht ums Geld, sondern um die Bildung der Kinder", versichert Alexandra Ebert-Stoll. Denn wer kein Buch habe, könne schlecht lernen. Zudem seien Schüler ohne Bücher gegenüber denen mit Büchern im Nachteil. Gleichbehandlung sehe anders aus.
Sowohl die Lehrer als auch die Schulen mühten sich, den Mangel bestmöglich zu verwalten. Vom Schulträger, also der Stadt Mainz, und dem Bildungsministerium, der das System der Schulbuchausleihe verantwortet, fühlt sich Familie Ebert-Stoll aber im Stich gelassen. "Da kommen immer nur Ausreden." Die Verlage würden nicht liefern, die EU-Ausschreibung verzögere alles, oder man habe zu wenig Personal. "Das bringt uns aber nicht weiter", so Ebert-Stoll.
Hauptverursacher für Schulbuchchaos ist Hugendubel Fachinformationen
Dass der Hauptverursacher für die verspätete Auslieferung an die Schulen der von der Stadt Mainz beauftragte Dienstleister Hugendubel Fachinformationen ist, hat die Stadt bislang so nicht bestätigt, obwohl sie seit Juni weiß, dass Hugendubel zu wenig Mitarbeiter hat. Die Stadt hatte sogar 490.000 Euro extra an Hugendubel bezahlt, um die fehlenden Arbeitskräfte beschaffen zu können.
Doch das Resultat ist ernüchternd. Nur häppchenweise kommen Bücher bei den Schulen an. Nach Angaben der Stadt fehlen dort immer noch zehn Prozent der Bücher. Bei einigen Schulen, vor allem bei Grundschulen, ist die Situation nach SWR-Informationen aber noch schlimmer. Obwohl die Stadt spätestens seit Juni weiß, dass es bei der Verteilung der Bücher Schwierigkeiten geben könnte, hat sie die Schulen nicht darüber informiert.
Bei Mutter Alexandra Ebert-Stoll kommt die Hängepartie um die Schulbücher nicht gut an. "Kein Kind sollte darunter leiden, dass es Probleme bei der Verteilung der Bücher gibt", empört sie sich. "Dass die Schüler auch ein halbes Jahr nach Schuljahresbeginn keine Bücher haben, kann nicht sein. Wo sind wir denn?"
Stadt Mainz muss Schulbuchausleihe neu organisieren
Die Stadt Mainz wird die Verteilung der Schulbücher im nächsten Schuljahr anders organisieren. Dazu wurde sie gezwungen, weil Hugendubel dafür künftig nicht mehr zur Verfügung stehen will. Für die Schwestern Melina und Melissa könnte das bedeuten, dass im nächsten Schuljahr erstmals seit langer Zeit wieder am ersten Schultag alle bestellten Schulbücher auf dem Tisch liegen.
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