Statt US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris, die ihre Wahlniederlage einräumt, kam plötzlich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der den Bruch der Ampel verkündete. Für jemanden wie Dr. Christian von Sikorski, der sich an der RPTU in Landau mit der politischen Psychologie und der politischen Kommunikation beschäftigt, war das unerwartete Ampel-Aus vielleicht sogar noch ein Stück weit interessanter.
"Ich, als Bundeskanzler"
Und natürlich ist er so lange vor dem Fernseher geblieben, bis auch noch Finanzminister Christian Lindner (FDP) seinen Teil beigetragen hat. "Ich habe drei sehr unterschiedliche Statements gesehen," so von Sikorski am Tag darauf im Gespräch mit dem SWR. Olaf Scholz' Statement aus dem Kanzleramt sei "strategisch sehr clever aufbereitet" gewesen: "Er wollte als der in Verantwortung stehende Bundeskanzler wahrgenommen werden." Also: staatstragend, offiziell, mit den Zügeln in der Hand: "Ich, als Bundeskanzler."
Alles sei auf diesen Eindruck abgestimmt gewesen: Das Kanzleramt mit Deutschland- und Europaflaggen im Hintergrund, der Inhalt seines Statements und die Wortwahl. "Das war genau geplant: Der Auftritt wurde vorab angekündigt, er fand in seinem Haus - im Kanzleramt - statt, die Journalisten wussten genau, wo sie warten müssen. Wir wissen aus der Forschung auch, dass Symbole wie Flaggen Hinweis-Reize sind, die Professionalität signalisieren."
Scholz kommt ungewöhnlich klar rüber
Bemerkenswert findet von Sikorski die klaren Worte, die Scholz für seinen Kontrahenten fand: "Das war eine Rede, wie ich sie nicht oft von Scholz gehört habe, in der die Dinge ohne Scheuklappen sehr konkret benannt wurden."
Der Kanzler hatte Christian Lindner für den Bruch der Ampel verantwortlich gemacht, ihn als "kleinkariert" und "sachfremd" bezeichnet. Dass Scholz angriffslustig sein kann, war bekannt, sagt von Sikorski dazu. Aber dass er so deutlich sagt, wie bzw: durch wen dieser Koalitionsbruch aus seiner Sicht zustande gekommen ist, war ungewöhnlich. "In der politischen Kommunikation sprechen wir von einem Verantwortungs-Framing: Er musste handeln, weil Herr Lindner nicht mehr kompromissbereit war."
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Statement vor Bauzaun
Den größten Kontrast bildet für den Kommunikationsexperten dazu das Statement der Grünen: "Die stehen vor einem Bauzaun, die Beleuchtung ist nicht optimal, wenn man genau hinschaut, wackelt auch die Kamera ständig, Frau Baerbock spricht nur halb in die Mikrofone – das wirkt alles eher spontan und improvisiert." Natürlich könne auch das eine Inszenierung sein, aber eben eine, die auf eine ganz andere Wirkung abzielt. Dazu passe auch die Wortwahl von Robert Habeck. "Das fühlt sich falsch an", habe der gesagt und damit einen ganz anderen Tonfall angeschlagen: moderater, emotionaler, weniger angriffslustig.
Was die Inszenierung angeht, steht Christian Linder (FDP) für von Sikorski zwischen dem Kanzler und den Grünen. Sein Statement sei ja auch weitaus kürzer gewesen, eher Reaktion als Aktion. Und: Lindner bereitet hier bereits einen Punkt vor, der sich auch am Folgetag wie ein roter Faden durch seine Äußerungen zieht: Olaf Scholz habe sein Statement bereits fix und fertig in der Tasche, er sei es gewesen, der den Bruch der Koalition herausgefordert hat. "Linder nimmt genau die entgegengesetzte Perspektive ein: Er ist das Opfer."
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Wer ist der Gewinner des Abends?
In dem Punkt stimmt von Sikorski Lindner zu: Olaf Scholz war offenbar am besten auf die Situation vorbereitet. Mit der Interpretation müsse man aber vorsichtig sein: "Man kann, glaube ich, nicht sagen: Weil er gut vorbereitet war, hat er es auf den Bruch angelegt." Es sei ja nicht ungewöhnlich, dass man sich in der Politik auf verschiedene Eventualitäten vorbereitet. So habe Olaf Scholz eben seine Botschaft klar vermitteln können. "Wir wissen ja nicht, ob Scholz nicht auch eine ähnlich ausgefeilte Rede für einen anderen Ausgang des Abends vorbereitet hat."
Ist der Kanzler damit so etwas wie der Gewinner des Abends, zumindest in Punkto Kommunikation? So könne man das nicht sagen: Scholz hat seinen Auftritt am besten durchgeplant, es wirkt aber im Gegensatz zu den anderen mehr wie eine Inszenierung. "Solche Botschaften wirken nicht auf alle Menschen gleich, egal wie gut man sie vorbereitet hat." Ein Statement stehe ja nicht für sich alleine, sondern es werde anschließend gedeutet, diskutiert und rufe auch weitere Reaktionen hervor. "Herr Lindner hat ja auch schon heute wieder auf Scholz geantwortet."
Mit anderen Worten: Fortsetzung folgt.