Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in RLP

Günes zur Wahl Erdogans: "Man muss die Zahlen ein wenig einordnen"

Stand
Interview
Oliver Nieder

Interview mit dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in RLP, Ahmet Günes, über die Community im Land und warum bei der Türkei-Wahl zwei Drittel der Wähler für Erdogan stimmten.

Auch in Rheinland-Pfalz feierten viele Menschen die Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. In Mainz war es am Sonntag zu zahlreichen Autokorsos gekommen. In Alzey waren schätzungsweise 100 Menschen unterwegs. Wie ist die Situation der türkischen Community in Rheinland-Pfalz? Und wieso entschieden sich auch hier offenbar so viele für den als autokratisch eingeschätzten Erdogan? Dazu Fragen an Ahmet Günes, den Vorsitzenden der "Türkischen Gemeinde in Rheinland-Pfalz".

SWR Aktuell: Herr Günes, Erdogan erhielt in der Türkei rund 52 Prozent der Stimmen, bei den Deutsch-Türken in Deutschland ungefähr zwei Drittel. Sind Sie überrascht?

Günes: In Rheinland-Pfalz waren es wohl 67 Prozent. Viele unserer Freunde und Mitglieder waren sich sicher, dass die Opposition die Wahlen gewinnen würde, auf der Basis der Ergebnisse der letzten Wahl. Dazu kamen wirtschaftliche Nöte, das Erdbeben und die Tatsache, dass sich dieses Mal viele Oppositionsparteien verbündet hatten. Die engere Gruppe unserer Gemeinde und ich waren da skeptischer. Von den Umfragen her war es eher ein Kopf-an-Kopf-Rennen, und in der Vergangenheit konnte Erdogan dann die Wahl stets für sich entscheiden.

SWR Aktuell: Woher rührt diese deutlich höhere Zustimmung hierzulande? Sind die Deutsch-Türken hier konservativer als in der Türkei?

Günes: Das hat unglaublich viele Gründe. Erdogan ist in der Türkei im wesentlichen von der ländlichen Bevölkerung gewählt worden. In den Großstädten hat er weitgehend verloren. Migranten in Deutschland stammen überwiegend aus den ländlichen Gebieten. Den Wertkonservatismus, den sie qua Erziehung erlebt haben, den führen sie hier fort. Und es ist zwar richtig, dass es in der Türkei eine schlechte wirtschaftliche Lage gibt. Aber man hat Erdogan eher zugetraut, die Situation zu verbessern als den Oppositionsparteien.

SWR Aktuell: Aber müssten nicht viele, die hier pluralistisch-demokratisch sozialisiert wurden, Erdogan-kritischer sein?

Günes: Da muss man auch die Zahlen ein wenig einordnen. Etwa die Hälfte der türkischstämmigen Menschen war überhaupt wahlberechtigt. Von dieser Hälfte ist nur überhaupt die Hälfte wählen gegangen. Und von diesen haben dann zwei Drittel Erdogan gewählt. Man könnte auch sagen: Der überwiegende Teil, der nicht gewählt hat oder wählen durfte, hat sich bereits zur pluralistischen Gesellschaft hier bekannt, weil er die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen und die türkische abgelegt hat. Über die Einstellungen derjenigen, die wahlberechtigt waren, aber nicht hingegangen sind, gibt es keine belastbaren Informationen. Aber was man noch sagen kann: Die Erdogan-Anhänger in Deutschland sind sehr gut organisiert und bestens vernetzt.

SWR Aktuell: Cem Özdemir schrieb auf Twitter, hier würden die Anhänger von Erdogan feiern, ohne für die Folgen ihrer Wahl einstehen zu müssen. Wie sehen Sie das?

Günes: Die Aussage ist zunächst mal zutreffend. Aber es ist zuerst auch einmal nicht verwerflich als Staatsbürger eines Landes zu wählen. Man kann natürlich über die Wahlen in der Türkei denken und schreiben, was man will. Aber soweit wir es verfolgen konnten, sind die Wahlen in Deutschland demokratisch erfolgt. Und dieses Wahlergebnis darf man schon akzeptieren. Es ist nicht in der Form ausgefallen, wie es Herr Özdemir sich vorstellt. Da bitte ich aber auch nochmal zu berücksichtigen, dass wir wahrscheinlich von etwa einem Achtel der Bevölkerungsgruppe reden, das entsprechend gewählt hat.

SWR Aktuell: Wie ist denn die Stimmung in der türkischen Gemeinde in Rheinland-Pfalz?

Günes: Soweit wir das beobachten können, gibt es schon einen Stimmungsgraben. Und da sehen wir als türkische Gemeinde auch die Aufgabe, gesprächsbereit mit allen Gruppen zu sein und die Spaltung zu überwinden. Es bringt ja nichts, andere als undemokratisch abzukanzeln, wenn einfach die Realität eine andere ist. Es ist wichtig, dass man sich bekennt. Für die demokratisch-pluralistische Grundordnung. Und gemäß dieser Vorgabe dann mit den anderen in Kontakt zu treten und die Werte zu verteidigen und versuchen zu vermitteln. Es ist auch Sinnbild innerhalb der türkischen Community, dass man eine sehr emotionale Idenität sucht, wenn man sich insgesamt in unsicheren Zeiten fühlt.

SWR Aktuell: Und in so einer Stimmung bietet jemand wie Erdogan mehr Halt und Stabilität als andere?

Günes: Ja. Man darf nicht unterschätzen: Der Präsident ist ein sehr guter Wahlkämpfer, er ist in der Lage, Stimmungen zu erzeugen. Und er hatte eine unfassbare mediale Kraft hinter sich. Die führenden Kanäle waren nahezu durchgängig zugunsten des Präsidenten eingestellt. Das kann man an den Zahlen ablesen. Die Zeit, die der Opposition innerhalb der öffentlich-rechtlichen Kanäle eingeräumt wurde und dagegen der Partei des Präsidenten - das Verhältnis lag vielleicht bei 1:20.

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SWR Aktuell: Wie sieht denn die türkische Community in Rheinland-Pfalz aus?

Günes: Sie ist nicht homogen. Wir haben eine große kurdische Gruppe, die größte ist die sunnitisch-konservative Gruppe, die vor allem in Ludwigshafen und Germersheim angesiedelt ist. Und genauso natürlich eine demokratisch-sozialdemokratisch gesinnte Gruppierung. Das ist ziemlich durchmischt. Für mich ist wichtig, dass wir mit Hilfe der Landesregierung in Kontakt zueinander stehen und unter Umständen auch zusammenarbeiten, das bringt eine sehr große Entspannung im Umgang miteinander.

SWR Aktuell: Fast reflexhaft wird nach einem solchem Wahlergebnis auch nach einer noch besseren Integration gerufen. Wie sehen Sie das?

Günes: Nun, wir als türkische Gemeinde haben zum Beispiel ein entsprechendes Integrationsprogramm, in dem Ansprechpartner ausgebildet werden, die in ihren Gruppen ein Demokratieverständnis fördern. Wir bilden die Personen entsprechend aus. Man muss natürlich demokratische Prozesse erstmal verstehen, um deren Sinn dahinter zu verfolgen. Das ist Aufgabe von Integrationspolitik. Vor allem auch emotional, zum Beispiel wenn es Vorbilder gibt, die Positionen in Behörden, in Gerichten oder in der Politik einnehmen.

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