Unternehmen werben immer offensiver mit Homeoffice, um Arbeitskräfte an sich zu binden. 2019 wurde nur in 3,7 Prozent aller Online-Stellenangebote in Deutschland die Möglichkeit zum Homeoffice eröffnet. Seither hat sich der Anteil der Bertelsmann-Studie zufolge auf knapp 18 Prozent erhöht. Auch nach dem Ende der Pandemie setzte sich dieser Trend fort.
In Rheinland-Pfalz lag der Anteil 2019 bei 2,8 Prozent und stieg auf 11,7 Prozent im Jahr 2023.
Dass Homeoffice vor der Pandemie selten in Stellenangeboten auftauchte, bedeutet jedoch nicht, dass es die Möglichkeit damals noch nicht gab. Das Wirtschaftsministerium betont: Homeoffice sei schon vor der Pandemie in Rheinland-Pfalz recht stark verbreitet gewesen. Darauf wiesen Ergebnisse des sogenannten Mikrozensus der Statistischen Ämter hin. Schon vor der Pandemie hätten 15 Prozent der Beschäftigten die Möglichkeit wahrgenommen, inzwischen liege der Anteil bei rund 25 Prozent.
Große Unterschiede der Homeoffice-Nutzung nach Berufen
Die Studie der Bertelsmann Stiftung hebt die großen Unterschiede je nach Beruf hervor. Besonders oft können demnach IT-Spezialisten im Homeoffice arbeiten. Dort sei das Angebot fast schon Standard. Das zeige die Analyse von 55 Millionen Online-Stellenanzeigen des Jobmonitors seit 2019.
"Homeoffice hat sich in vielen Branchen nicht nur etabliert. Es wird zum wichtigen Argument im Kampf um die Fachkräfte", sagt Gunvald Herdin, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung. "Wenig überraschend" werde Homeoffice vor allem von Unternehmen angeboten, die in den Ballungsräumen der Republik angesiedelt sind.
Firmen auf dem Land ziehen noch nicht mit
Ziehen auch kleinere Firmen, Mittelständler auf dem Land nach? Bieten sie auch verstärkt Homeoffice an? Die Unternehmen im ländlichen Raum ließen diese Chance bisher verstreichen, sagt Professor Wolfgang Dauth vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit.
Dauth ist derzeit an einem Projekt beteiligt, das sich mit der Frage befasst, wie sich Homeoffice auf die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort auswirkt. Auch auf dem Land gebe es ja massive Fachkräfte-Engpässe, sagt er, aber auch durchaus erfolgreiche Unternehmen.
Es sei zu Beginn des Projekts eine der Annahmen gewesen, dass Firmen systematisch ihre Fachkräfte-Engpässe lindern, indem sie den Leuten anbieten, im Homeoffice arbeiten zu dürfen, so Dauth. Der Effekt "Leben im Ballungsraum und Arbeiten auf dem Land" findet sich seinen Erkenntnissen nach nicht in größerem Stil.
ICE-Halte in Limburg/Montabaur: Wirtschaftsboom abseits der Zentren
Dauth nennt ein Beispiel aus einem anderen Zusammenhang, wo dies "super" funktioniert habe: die ICE-Haltepunkte in Limburg und Montabaur. Die Politik versprach sich davon, dass die Arbeitslosigkeit in diesen Regionen sinken würde, weil die Menschen, die dort wohnen, in die Zentren pendeln können, nach Frankfurt und Köln.
Tatsächlich sei aber passiert, dass die lokale Wirtschaft in diesen Städten boomte, weil sie plötzlich Fachkräfte anziehen konnte, die in Frankfurt und Köln wohnen wollten, und davor nie auf die Idee gekommen wären, nach Limburg oder Montabaur zu pendeln.
Aber durch die ICE-Strecken sei es für sie relativ komfortabel möglich geworden. Das habe die Fachkräfte-Engpässe in diesen Städten vermindert, so der Experte für Regionale Arbeitsmärkte. Etwas Ähnliches finde sich mit Blick auf Homeoffice bisher nicht.
Gute digitale Infrastruktur Voraussetzung für Homeoffice
"Immer weniger Menschen müssen für den Job in die Ballungsgebiete ziehen. Das ist eine Chance für ländliche Räume, Menschen in der Region zu binden oder zurückzugewinnen", findet auch Herdin. Allerdings müsse dafür die digitale Infrastruktur passen. In Rheinland-Pfalz sollen bis 2030 alle 1,93 Millionen Haushalte mit einem schnellen Glasfaser-Anschluss versorgt sein, wie Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) im März erklärt hatte. Immer wieder hatten Kommunen den ihrer Ansicht nach zu langsamen Ausbau des Netzes kritisiert.
Mainz ist Spitzenreiter bei Homeoffice-Angeboten
Der Bertelsmann-Untersuchung zufolge liegen bei den Stellenanzeigen mit Homeoffice die Angebote von Firmen aus großen Städten in Rheinland-Pfalz vorn. Die Landeshauptstadt ist Spitzenreiter mit einer Quote von 27,8 Prozent. Dahinter folgen Koblenz und Landau. Am Ende der Skala finden sich der Kreis Bernkastel-Wittlich und der Kreis Bad Dürkheim mit je 5,4 Prozent.
Bundesweite "Homeoffice-Hauptstadt" ist die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf (34,1 Prozent), kurz dahinter folgen Frankfurt am Main (33,6 Prozent) und Stuttgart (32,9 Prozent).
Zugang zu Homeoffice oft abhängig vom Bildungsgrad
Neben dem Stadt-Land-Gefälle sticht eine weitere Besonderheit hervor. Der Zugang zu Homeoffice ist abhängig von Bildungsgrad und Einkommen. So haben Akademiker doppelt so oft die Möglichkeit, von zuhause zu arbeiten, wie Beschäftigte ohne Hochschulabschluss, stellt der Forschungsbericht "MALA - Mobiles Arbeiten auf dem Lande" der Fachhochschule Erfurt fest.
Das belegt auch die Bertelsmann-Studie. Für Menschen mit Diplom oder Master stieg das Angebot für Homeoffice von 2019 bis 2023 besonders stark von 6,6 auf 31,9 Prozent aller Stellen an. Deutlich geringer fällt der Anstieg für Fachkräfte (mit Berufsausbildung) aus - von 1,7 auf 8,1 Prozent. Aber auch in dieser Gruppe nimmt das Angebot kontinuierlich zu.
Anders sieht es bei Helfer- und Anlerntätigkeiten aus. Hier stieg das Homeoffice-Angebot zwischen 2019 und 2022 von 1,2 Prozent auf 3,7 Prozent - und in 2023 ging es sogar auf 3,1 Prozent zurück.
Viele Homeoffice-Angebote für Fremdsprachenlehrer
In welchen Jobs können Mitarbeitende vor allem remote - also egal an welchem Ort - arbeiten? Im Jahr 2023 war das in 62 Prozent aller Stellenangebote der IT-Anwendungsberatung, in 60,5 Prozent der Spezialisten für Medieninformatik und in 58,9 Prozent der Jobs im Bereich IT-Netzwerktechnik der Fall. Noch davor liegen die Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer mit 72 Prozent. Dies liegt laut Studie vermutlich an der Vielzahl virtueller Kursangebote.
Metropolregionen wachsen ins Land hinaus
Zwar profitieren ländliche Regionen noch nicht in hohem Maß von der Homeoffice-Entwicklung. Ein Effekt ist allerdings festzustellen: Das Einzugsgebiet der Ballungsräume wird größer. Wer nur zwei oder drei Mal in der Woche ins Büro muss, der ist bereit, noch weiter hinaus aufs Land zu ziehen.
Die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz nahm in Berufen, die von zu Hause ausgeübt werden können, in den vergangenen Jahren tendenziell zu. Das ist ein Ergebnis von Dauths Forschungen.
Er sagt, die Zentren zögen zusätzlich zu jenen, die ohnehin schon im Umland gewohnt haben, weitere Personen an, die ein Stückchen weiter, aber immer noch im weiteren Umland dieser Städte wohnten. Jetzt könne man diesen Menschen das Angebot machen, dass sie nicht mehr fünf Mal in der Woche ins Büro pendeln müssen, sondern nur noch zwei oder drei Mal. Daher seien sie bereit, an diesen wenigen Tagen diese weitere Entfernung in Kauf zu nehmen, sagt Dauth.
Wird die Verkehrsbelastung in Metropolregionen geringer?
Das hält Dauth für möglich: "Das Einzugsgebiet wird größer, aber dass der Pendelverkehr zunimmt, würde ich nicht vermuten." Denn es gebe zwar Menschen die reinpendeln, "aber nicht jeden Tag". Zugleich vermindere sich auch für die Personen, die näher dran wohnen die Zahl der Tage, "weil sie sagen: Wenn meine Kollegen nur noch zwei Mal die Woche ins Büro kommen, dann mache ich das auch."
Die Auswirkungen auf den Verkehr seien nicht so leicht abzuschätzen, heißt es dazu vom rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium. Bereiche wie Schulen, das Gesundheitswesen, Bauwirtschaft, Industrie oder haushaltsnahe Dienstleistungen würden die "Rush Hour" prägen. Sie böten aber ihren Beschäftigten nur eingeschränkte Möglichkeiten für Homeoffice an.
Das hebt auch Dauth hervor: Mindestens die Hälfte aller Berufe erfordere noch regelmäßige Anwesenheit beziehungsweise lasse sich gar nicht im Homeoffice machen.
Homeoffice wird als Argument bei der Berufswahl wichtiger
Die Menschen würden allerdings zunehmend die Möglichkeit von Homeoffice bei der Berufswahl berücksichtigen. Tendenziell suchten sich viele nun eher einen Job, den man eben auch von zuhause machen könne. Das treffe möglicherweise andere Branchen, wie etwa das Gastgewerbe, wo seit Corona massiv Beschäftigte fehlten. In Berufen, die man von zuhause machen kann, dürften die Fachkräfte-Engpässe daher ein Stück weit geringer sein.
Dauth erzählt von einem Experiment der Universität Erlangen-Nürnberg, das Menschen vor Entscheidungen stellte. Es ging darum, unter welchen Bedingungen sie ihren Job wechseln würden. Ein Ergebnis: Die Möglichkeit, zwei Tage im Homeoffice arbeiten zu können, wird ungefähr so wert geschätzt, wie ein fünf Prozent höheres Gehalt.