Zwischen TikTok-Hoch und Umfrage-Tief

Reichinnek will Rechtsruck mit Sozialpolitik bekämpfen

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Autor/in
Jan Frédéric Willems

Bei TikTok ist Heidi Reichinnek on top – aber ihre Partei steht schlecht da. Wie sie Die Linke retten will und welche Tipps sie dem Kanzler gibt, verrät sie im Interview der Woche.

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Markus Söder ist dabei. Friedrich Merz auch. Genauso wie der Kanzler. Sie alle sind bei TikTok. Kein Wunder: Die Plattform ist im Moment das Medium der Jugend schlechthin. Und in Deutschland nutzt kaum ein Politiker TikTok so erfolgreich wie Heidi Reichinnek, die Co-Vorsitzende der "Die Linke"-Gruppe im Bundestag. Mit der Kettensäge in der Hand erklärt sie Rentenpolitik, im Fußballtrikot ihre Kritik an der UEFA – und Hunderttausende liken es. Auf einem Medium, das sonst vor allem Rechte und Rechtsextreme dominieren.

Ihr Rat an den Kanzler? Mehr Inhalte

Was Reichinneks Erfolg ausmacht? "Ich habe mir nie überlegt wie werde ich besonders erfolgreich oder was muss ich machen, damit mich alle toll finden. Sondern ich wollte schauen: was will ich rüberbringen? Und eben die Augenhöhe. Also wirklich die Kommentare ernst nehmen, Fragen ernst nehmen, entsprechend reagieren und den Leuten zeigen: Was möchte ich politisch für euch verändern? Und das funktioniert gut."

Und ihre Stilkritik für Olaf Scholz‘ TikTok-Account? "Ich finde, der Kanzler setzt viel zu viel Fokus auf seine Aktentasche und viel zu wenig Fokus auf seine Politik. Was wahrscheinlich daran liegt, dass er keine Politik zu verkaufen hat, die wirklich gut ist."

Heidi Reichinnek (Vorsitzende der Gruppe Die Linke) und Jan Willems (ARD Korrepondent)
Heidi Reichinnek (Vorsitzende der Gruppe Die Linke) und Jan Willems (ARD Korrepondent)

TikTok-Erfolg ist nicht gleich Wahlerfolg

Angriffslustig ist die Linken-Politikerin – nur hat das ihrer Partei bisher noch nicht geholfen. Bei der Europawahl unter drei Prozent, in den Umfragen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg – wo im Herbst Landtagswahlen sind – nur noch halb so stark wie bei der letzten Wahl. Teilweise unter der Fünfprozenthürde. Dass Die Linke bei der Europawahl mit 2,7 Prozent baden gegangen ist, will Reichinnek nicht beschönigen: "Das war ein Schlag ins Gesicht, dieses Ergebnis. Da gibt es auch nichts schönzureden. Wir haben es nicht geschafft, die Inhalte, die uns von anderen unterscheiden, nach vorne zu stellen. Und wir haben scheinbar auch nicht die Personen gehabt, die das authentisch vermitteln können. Und daran müssen wir arbeiten."

"Die AfD nutzt den Osten aus"

Aktuell arbeitet Heidi Reichinnek mit ihrem Co-Vorsitzenden Sören Pellmann daran, indem sie auf Ost-Tour über die Marktplätze der Kleinstädte und Dörfer tingelt. Was sie da erlebt? "Sehr viel Frust mit der Politik, was ich total verstehen kann, weil ich bin auch mega frustriert. Auch ich bin ja nicht glücklich mit dem, was die Regierung macht. Und ich finde es total wichtig, das abzufangen."

Bisher profitiert von diesem Frust allerdings nicht Die Linke – sondern vor allem die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht BSW. Heidi Reichinnek dazu: "Die nutzen den Osten aus, um Stimmen zu generieren. Die nutzen diesen Frust, um Wählerstimmen zu bekommen." Dabei sei die Wut der Menschen im Osten laut Reichinnek "vollkommen berechtig". Seit der Wende gebe es immer noch viele strukturelle Probleme, etwa ein riesiger Lohn- und Rentenunterschied und marode Infrastruktur. Wer daran schuld ist, ist laut Reichinnek klar: "Der Staat hat sich sehr zurückgezogen aus der Daseinsvorsorge im Osten. Und auch aus den Angeboten, die es im Osten für die Zivilgesellschaft gibt. Und das war natürlich ein riesengroßer Fehler."

Reichinneks Rezept: Soziale Politik gegen Rechtsruck

Wie Reichinnek den Rechten jetzt das Wasser abgraben will? Mit sozialer Politik: "Die beste Sozialpolitik ist das Einzige, was gegen die Tendenz, rechts zu wählen, hilft. Da gibt es massenhaft Studien, die ganz deutlich zeigen: Wenn man ein Prozent in den Sozialausgaben kürzt, dann steigen die Rechten um drei Prozent. Also sollte man sich vielleicht langsam mal Gedanken machen, ob man die Leute immer nur dazu aufruft, sich auf die Straße zu stellen und gegen rechts zu sein. Oder ob man einfach mal eine soziale Politik macht."

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Jan Frédéric Willems