Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, nimmt an einer Presskonferenz zur Reform der Notfallversorgung teil.

Lauterbach bestätigt Missstände in der SWR-Doku

Bundesweite Standards für den Rettungsdienst angekündigt

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Jan Russezki
Jan Russezki
SWR Data Lab
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Das Bundeskabinett beschließt die “überfällige” Notfallreform. Auch bundesweite Mindeststandards im Rettungsdienst sollen 2025 kommen. Eine SWR-Recherche belegt, das könnte tausende Menschenleben künftig retten.

Als gesundheitspolitische „Aufholjagt“ – so bezeichnete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seine Reformbestrebungen bezüglich der Notfallversorgung bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Von der Prävention bis hin zum unterversorgten ländlichen Raum zählte er Defizite auf, die mit der vom Bundeskabinett beschlossenen Notfallreform angegangen werden sollen. Er formulierte auch das Ziel 2025 “bundesweit einheitliche Mindeststandards” für die Rettungsdienste einführen zu wollen. Bisher waren die im Gesetzesentwurf kaum berücksichtigt. 

Wie genau diese Standards aussehen, blieb vorerst offen. Auf Nachfrage des SWR erklärte Lauterbach: “Wir haben die Rettungsdienstmaßnahmen abstrakt beschrieben, weil die entsprechenden Spezifika noch im parlamentarischen Verfahren geregelt werden.” Weiter versprach er: “Aber am Ende der Reform werden wir einen funktionierenden, deutschlandweit relativ einheitlichen Rettungsdienst und eine deutlich bessere Notfallversorgung haben.” Der Minister hält die Reform für „überfällig“. 

SWR berichtete: Defizite im Rettungsdienst kosten Leben 

Die Dringlichkeit zeigt sich auch in einer am Vorabend veröffentlichten exklusiven Recherche: Der SWR hat massive Missstände und Versäumnisse in der Notfallrettung dokumentiert. In Notfällen sind die Überlebenschancen in Deutschland regional sehr unterschiedlich, weil wissenschaftlich anerkannte Standards nicht erfüllt werden. Tausende Menschen sterben unnötig am Herzstillstand. Das zeigt eine bundesweite investigative Recherche des SWR in der ARD-Doku "Notfall Rettung - wenn die Hilfe versagt". Wie gut die Notfall-Rettung bei Ihnen vor Ort ist, finden Sie im Netz unter notfallrettung.swr.de.

Der SWR zeigt detailliert, dass Leitstellen in den Rettungsdienstbereichen noch immer zu oft keine strukturierten oder standardisierten, also software-gestützten Notrufabfragen nutzen. Diese helfen, Herzstillstände schnell zu erkennen und überlebenswichtige Herzdruckmassagen am Telefon anzuleiten. 

Lauterbach reagiert auf Missstände 

Lauterbach reagierte in der Pressekonferenz auf diesen Missstand: “Wir werden bei der Abfrage, was das hier eigentlich für ein Notfall ist, Software nutzen, sodass die schweren Notfälle nicht – wie auch in Ihrer Dokumentation gezeigt – falsch eingeschätzt werden. Das ist ein Problem, das haben Sie [Anm.d.R.: der SWR] zurecht beschrieben.” 

Fehler könnten Leitstellen mit Qualitätsmanagementsystemen identifizieren und verbessern. Tatsächlich verfügen nur gut die Hälfte der Rettungsdienstbereiche über eine Leitstelle mit einem solchen System, um Prozesse zu messen und zu optimieren. 

Rettungsdienste zu oft zu spät 

Die SWR-Recherche zeigt auch, Rettungskräfte brauchen zu oft zu lange zu zeitkritischen Notfällen wie Reanimationen. Helfen könnten First-Responder-Apps. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand alarmieren manche Leitstellen automatisch über diese Apps zusätzlich freiwillige Helfer in der Nähe des Einsatzorts. Doch auch da fehlen einheitliche Standards. Befindet sich ein Helfer an einer Ortsgrenze, an der ein anderes App-System im Einsatz ist, wird er im Notfall nicht benachrichtigt - obwohl er helfen könnte. 

#Notfall Rettung Ersthelfer-Alarmierung via App: Deutschland riskiert Leben

Apps, die für eine Reanimation Ersthelfer alarmieren, können Leben retten. Trotzdem sind diese in Deutschland wenig verbreitet. Experten finden das problematisch.

Fehlt all das, können Reanimationspatienten nur hoffen, in den ersten Minuten von Laienhelfern wiederbelebt zu werden. Die Quote, dass das passiert, ist im europäischen Vergleich jedoch unterdurchschnittlich. 

Auch auf dieses Defizit will Lauterbach mit der Notfallreform reagieren: “Wir werden die Laienreanimation fördern. Das ist in Deutschland nicht wirklich gut gemacht.”

Probleme seit zehn Jahren bekannt 

Die Probleme der Notfallversorgung seien, so Lauterbach, seit zehn Jahren bekannt. Er wolle neben der Rettungsdienstreform das ländliche Kliniksterben verhindern und die “nicht optimale” Versorgung in Notfallambulanzen verbessern. 

Alles hänge mit allem zusammen, erklärte auch Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen gegenüber dem SWR. Es sei geplant gewesen, mit einem eigenständigen Gesetz für den Rettungsdienst eine Reform auf den Weg zu bringen. “Jetzt ist es so, dass wir schon in einem fortgeschrittenen Stadium der Legislatur sind und es klug und richtig ist, den Rettungsdienst jetzt nicht weiter auf die lange Bank zu schieben.” Sein Vorschlag: Finanzielle Anreize zur Verbesserung der Notfallversorgung.  

Rettungsdienste sind in Deutschland allerdings Ländersache. Laut Bundesgesundheitsministerium sei deshalb “eine Konkretisierung der Qualität der Leistung durch den Bundesgesetzgeber nicht möglich”.

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Ob eine Wiederbelebung gelingt, entscheidet sich häufig schon in der Leitstelle. SWR-Recherchen zeigen, dass nicht alle Notrufzentralen mit den modernsten Mitteln arbeiten. Das kostet Leben.

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