Elterninitiative für Volksantrag

Gegen "Turboabi" in BW: Unterschriftensammlung für G9 beginnt

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Zurück zum Abitur in 13 statt 12 Jahren: Das wünschen sich viele in Baden-Württemberg. Nun soll es ein Volksbegehren geben - der Countdown für die Initiative dahinter läuft.

Am Samstag startet die Sammlung von Unterschriften für einen Volksantrag für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9) in Baden-Württemberg. Das teilten Corinna Fellner und Anja Plesch-Krubner von der Elterninitiative "G9 jetzt" am Freitag in Stuttgart mit. Ein Jahr haben sie Zeit, die Unterschriften von mindestens 0,5 Prozent aller Wahlberechtigten im Land zu sammeln. Das entspricht etwa 39.000 Personen.

Elterninitiative für G9 an allen Gymnasien

Eltern in Baden-Württemberg möchten die Politik mit der Initiative "G9 jetzt" zur Rückkehr zum Abitur nach 13 Schuljahren zwingen. Die grün-schwarze Landesregierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag dagegen entschieden. Nach dem Willen der Initiative soll das Abitur im Land wieder generell nach neun statt acht Jahren am Gymnasium abgelegt werden - überall, nicht nur an Modellschulen.

Ein Sprecher des Landtags sagte, der Beginn der Unterschriftensammlung sei angezeigt worden. Anfang November hatte die Initiative den Volksantrag beim Landtag eingereicht. Sollten innerhalb eines Jahres genügend Unterschriften zusammenkommen, wird im Plenum über einen Gesetzesentwurf von "G9 jetzt" beraten. Mit einem Volksbegehren können Bürgerinnen und Bürger eine Volksabstimmung anstoßen.

Kultusministerin: G9 bereits flächendeckend möglich

Landeskultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sagte, es gebe im Land bereits ein flächendeckendes Angebot, um in neun Jahren zum Abitur zu gelangen. "Allein an 275 öffentlichen Standorten ist dies möglich." Das Augenmerk liege aktuell auf der Qualitätsentwicklung an allen Schulen. Plesch-Krubner und Fellner von "G9 jetzt" argumentierten hingegen, dass in vielen Bundesländern bereits zum Abitur nach 13 Schuljahren zurückgekehrt worden sei.

"Wir wollen in Baden-Württemberg keine G8-Enklave sein."

Sie erklärten weiter, dass die Kinder wegen der verkürzten Schulzeit unter einem starken Leistungsdruck stünden und wenig Freizeit hätten. Michael Mattig-Gerlach von der Arbeitsgemeinschaft gymnasialer Elternvertreter im Regierungsbezirk Stuttgart ergänzte, dass unter G8 auch die Qualität der vermittelten Bildungsinhalte leide. Man müsse aufpassen, dass man nicht in die zweite Liga absteige.

Eltern widersprechen alten Pro-G8-Argumenten

Das sogenannte Turboabi, G8, ist in Baden-Württemberg seit dem Schuljahr 2003/2004 Realität. Eingeführt wurde es, um die Schülerinnen und Schüler international wettbewerbsfähiger zu machen. Die Gründe für die Einführung hätten sich nicht bewahrheitet, sagt Plesch-Krubner. Stattdessen litten die Kinder unter permanenter Überforderung: "Man muss erleben, was die Schüler für Alltage haben. Sporttraining bis 22 Uhr - die Vereine leiden darunter." An den Wochenenden würde gelernt und Präsentationen vorbereitet, "Oma besuchen, Fehlanzeige, Freunde treffen nachmittags auch".

Die Pandemie habe ihr Übriges beigetragen. Zwar mache das Land Angebote auch an den Gymnasien, etwa das "Lernen mit Rückenwind", aber die Unterstützungen würden in der Mittagspause stattfinden, ehe es um 14 Uhr wieder in den Unterricht gehe.

Widerstand gegen G8 besteht schon lange

"Unsere Kinder werden schlechter behandelt teilweise als Arbeitnehmer. Die haben mehr zu leisten und die haben keine Gewerkschaft und leider nur eine schwache Lobby. Und diese Lobby, die wollen wir hier stärken", sagte Plesch-Krubner. Sie und Fellner kämpfen seit Jahren für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Eine Petition mit mehr als 60.000 Unterschriften blieb folgenlos.

Keine Lobby hätten auch Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien, so Uli Orth, vierfache Mutter aus dem Rhein-Neckar-Kreis. Sie freue sich über die Initiative "G9 jetzt". Orth ist berufstätige Akademikerin und hat einen Sohn in der siebten Klasse und eine Tochter in der Kursstufe eines Gymnasiums. Viele Kinder blieben auf der Strecke, bedauerte sie. Diejenigen, die G8 absolvierten, seien oft Kinder mit einem starken Rückhalt aus dem Elternhaus, oft Akademikerkinder.

Die Ausgaben für Nachhilfe haben sich vervielfacht, argumentiert die Initiative "G9 jetzt". Bildungsgerechtigkeit gehe anders, heißt es. Wenn die Landesregierung sich schon nicht um die Schülerinnen und Schüler kümmere, müsse man sie mit dem Antrag eben dazu zwingen.

Kritik auch von SPD und FDP

Rund 370 Gymnasien gibt es im Land. G9 gibt es in Baden-Württemberg als Modellprojekt an 44 staatlichen Schulen und an einigen Privatschulen. Aus der Opposition der grün-schwarzen Landesregierung gibt es Rückendeckung für die Elterninitiative:

"Die Eltern wollen mehr G9, und das kann die Landesregierung nicht länger ignorieren!"

Die FDP forderte "echte Wahlfreiheit" zwischen G8 und G9. Dagegen betonte der Grünen-Bildungspolitiker Thomas Poreski, die Rückkehr zum früheren G9 an allen Gymnasien sei angesichts der bildungspolitischen Herausforderungen keine sinnvolle Perspektive. "Sie würde weit mehr als 1.000 zusätzliche Lehrerstellen erfordern und den - im Übrigen bundesweiten - Lehrkräftemangel zusätzlich verschärfen."

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SWR

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