Die Rotlichtszene ändert sich, auch in Ulm. Doch wie, das ist für Außenstehende schwer zu durchschauen. Im Sommer geisterte diese Schlagzeile durch die Medien: "Ulm hat pro Einwohner die höchste Prostituierten-Rate in Baden-Württemberg." Hintergrund war eine Meldung des Statistischen Landesamtes. Warum das so nicht ganz richtig ist und welchen Wandel es bei der Prostitution gegeben hat, das wissen Beamtinnen und Beamte der Kriminalpolizei Ulm aus ihrer täglichen Arbeit.
- Rund 20 Betriebe für Prostitution in Ulm gemeldet
- Das umstrittene Prostituiertenschutzgesetz
- Wandel: Strengere Vorschriften für Bordellbetreiber
- Mehr Verstöße bei Wohnungs- und Hotelprostitution
- Ziel von Kontrollen: Schutz der Prostituierten
- Zahlreiche Fälle von Zuhälterei und Menschenhandel
Rund 20 Betriebe für Prostitution in Ulm gemeldet
Marco Keim ist einer der Beamten. Er arbeitet seit zehn Jahren im Dezernat für organisierte Kriminalität des Polizeipräsidiums Ulm, seit sieben Jahren bei der Koordinierungsstelle Rotlicht. Der Kriminalbeamte kennt sich in der Szene in Ulm, Heidenheim und Göppingen aus.
In seinem Zuständigkeitsbereich hat er Kontakt zu Bordellbetreibern, aber auch zu Hilfsorganisationen. Er macht in den gängigen Etablissements Kontrollen - manchmal unangekündigt, manchmal angekündigt - mit der Stadt und dem Gesundheitsamt.
In Ulm sind derzeit insgesamt 14 Bordelle, fünf Tantra-Massage-Praxen sowie eine Escort-Agentur offiziell gemeldet. Eine Vielzahl der Betriebe ist in der Blaubeurer Straße angesiedelt. Die Zahl der offiziell gemeldeten Prostituierten lag laut Statistischem Landesamt Ende 2023 bei 241. Zum Vergleich: Stuttgart weist mit 694 die meisten Anmeldungen auf, Heidenheim und Ravensburg mit 13 die wenigsten.
Ulm hat aber deswegen nicht überdurchschnittlich viele Prostituierte, ordnet Marco Keim ein. Wenn die Frauen und Männer sich in Ulm anmelden, heißt das nicht automatisch, dass sie auch hier als Prostituierte arbeiten. Denn das dürfen sie mit der Bescheinigung überall in Deutschland, die Sperrbezirke ausgenommen.
Die Stadt Ulm liege günstig - durch die Nähe zu anderen Ländergrenzen und auch als Grenzstadt zu Bayern. Letzteres sei ausschlaggebend, weil in Baden-Württemberg im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern die Anmeldung kostenlos ist.
Kriminalbeamter Keim und seine Kolleginnen und Kollegen gehen also eher davon aus, dass in der Stadt Ulm derzeit zwischen 120 bis 140 Prostituierte arbeiten. Genau abzuschätzen sei das aber nicht, denn die Branche sei "fluktuativ", das heißt: Es gibt große Schwankungen. Frauen, und es sind laut dem Kriminalbeamten meistens Frauen, bleiben manchmal nur zwei, drei Wochen und ziehen dann in die nächste Stadt.
Und es ist auch schwieriger geworden, die Zahl nachzuvollziehen. Denn Prostitution findet längst nicht mehr nur in den Bordellen statt. Seit ein paar Jahren macht die Rotlichtszene einen Wandel durch: Sie verschiebt sich mehr und mehr ins Private. Gründe, oder genauer gesagt: Beschleuniger gebe es dafür einige, sagt Keim.
Das umstrittene Prostituiertenschutzgesetz
Einer der Beschleuniger sei beispielsweise das Prostituiertenschutzgesetz, das 2017 in Kraft getreten ist, - scharf diskutiert und immer wieder in der Kritik. Bewerten möchte Kripo-Beamter Keim das Gesetz nicht: "Das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, dass sich alle an das Gesetz halten und das gibt uns unseren Handlungsrahmen vor."
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Wandel: Strengere Vorschriften für Bordellbetreiber
Bereits 2001 trat ein Gesetz in Kraft, das die rechtliche Stellung der Prostitution als Dienstleistung regelt. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz von 2017 werden die Bordellbetreiber mehr in die Pflicht genommen, sich an die Vorschriften zu halten. Das soll in erster Linie dem Schutz der Prostituierten dienen.
Dazu gehört etwa, dass Prostituierte angemeldet sein müssen. Zudem muss es in jedem Raum Notfallknöpfe geben und Zimmer dürfen nicht abschließbar sein. Bei einem Verstoß drohen Bußgelder von bis zu mehreren Tausend Euro.
Zu den Vorschriften für die Betreiber kam das Internet: "Früher musste ein Freier ins Bordell, um sich Sex zu erkaufen. Heute hat jeder, auch von den älteren Herrschaften, einen Internetzugang und ein Handy", sagt Marco Keim. "Es ist immer einfacher geworden, sich zu vernetzen und sich in einem Hotelzimmer oder daheim zu treffen." 2020 kam dann noch die Corona-Pandemie, zeitweise mussten die Bordelle komplett schließen.
Dies alles habe einige Bordellbetreiber dazu bewogen, aufzuhören, sagt Keim. Kurzum: Die Hotel- und Wohnungsprostitution spielt also seit vielen Jahren eine immer größer werdende Rolle, beschleunigt durch das Gesetz sowie durch Pandemie und Internet. Und das mache Kontrollen umso herausfordernder, berichtet der Ulmer Kriminalbeamte.
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Mehr Verstöße bei Wohnungs- und Hotelprostitution
"Bei Bordellen habe ich eine Adresse und einen Ansprechpartner", sagt Keim. Kontrollen seien hier einfacher und fänden routinemäßig statt. "Verstöße sind hier kaum zu erwarten, weil für die Betreiber zu viel auf dem Spiel steht."
Bei Kontrollen im privaten Bereich, in Hotel- oder Termin-Zimmern braucht die Polizei Hinweise. Hinweise von Anwohnern, Hotelbesitzern oder Freiern. Das kann von Parkverstößen über Missachtung der Hygienevorschriften bis hin zum Verdacht auf Zwangsprostitution und Menschenhandel gehen.
Bis es überhaupt mal zu einer Kontrolle kommt, ist es ein weiter Weg. "Im Bereich der Wohnungs- und Hotelprostitution sind mehr Verstöße zu erwarten“, weiß Keim. Sogenannte Zuhälter-Ringe seien eher dort anzutreffen als beispielsweise in Bordellen.
Ziel von Kontrollen: Schutz der Prostituierten
Um mutmaßliche Täter beziehungsweise Zuhälter wegen Menschenhandels und Ausbeutung "dranzubekommen", sind die Ermittler vor allem auf die Aussagen der Prostituierten angewiesen.
"Bei allen Kontrollen, egal in welchem Bereich, nutzen wir die Möglichkeit, nicht nur die Einhaltung der Vorschriften zu kontrollieren, sondern auch mit den Frauen vor Ort zu reden. Etwa um nach Problemen zu fragen und nach Indikatoren für Straftaten zum Nachteil der Prostituierten Ausschau zu halten", so der Ulmer Kripobeamte. Die Zielrichtung der Kontrollen sei immer der Schutz der Prostituierten.
Das ist oft leichter gesagt als getan: Viele Frauen werden auf Polizeibesuche vorbereitet. Sie wollen generell nicht mit den Beamten sprechen - sei es aus Scham oder Skepsis. Und oft ist da noch die Sprachbarriere, die es umso schwieriger macht, Hinweise zu bekommen oder Regelverstöße aufzudecken.
Hinzukommen unterschiedliche Ansichten aus unterschiedlichen Gesellschaftsbildern, etwa über die Rolle der Frau. "Es ist schwierig, es zu einem Strafverfahren kommen zu lassen, wenn die Frau sich selbst nicht als Opfer sieht", sagt Marco Keim.
Zahlreiche Fälle von Zuhälterei und Menschenhandel
Insgesamt zehn Fälle von Zuhälterei verzeichnete das Polizeipräsidium Ulm zwischen 2019 und 2023 in seinem Zuständigkeitsbereich, außerdem fünf Fälle von Menschenhandel. Zur groben Einordnung: In Deutschland wurden allein 2023 insgesamt 113 Ermittlungsverfahren wegen Zuhälterei abgeschlossen und 96 Verfahren wegen Menschenhandels.
Dem Ulmer Kriminalbeamten ist es wichtig, zu betonen, dass es in der Rotlicht-Szene nicht nur schwarze Schafe gibt. Es sei nicht nur "ein Schlag Mensch" anzutreffen, egal ob Bordellbetreiber oder Prostituierte. "Wir kämpfen viel mit Stigmatisierung", so Marco Keim. Vieles laufe aber ganz unspektakulär ab, im Rahmen des Gesetzes und weniger organisiert, als man es mit dem "Milieu Prostitution" oft verbinde.