"Es hat mich ganz schön Mut gekostet"

Gegen häusliche Gewalt: Täter bekommen Hilfe in Ulm

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Hannah Schulze
Hannah Schulze

Kommt es zu häuslicher Gewalt, sind meist Anlaufstellen für Opfer im Gespräch. Bundesweit gibt es aber auch etwa 90 Einrichtungen, die Tätern helfen. Wie in Ulm. Ein Beispielfall.

Pro Jahr betreut Mario Stahr bei der Diakonie in Ulm 45 Männer, die zu Hause gewalttätig geworden sind. Stahr ist Vorstand bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt, ein Dachverband für deutschlandweit 90 Einrichtungen, die mit Tätern zusammenarbeiten. Zu wenig, findet Mario Stahr - bei 16.400 Fällen von Partnergewalt im Jahr 2023, allein in Baden-Württemberg. An die Stelle in Ulm hat sich Michael gewandt. Seinen Namen haben wir für seine Geschichte geändert.

Der Fall von Michael aus Ulm

Die Beziehung zwischen Michael und seiner Partnerin war schon immer schwierig. In der Vergangenheit kam es oft zu heftigen Auseinandersetzungen. Letztes Jahr eskaliert dann ein Streit. Sie betrunken, er nüchtern, wie Michael erzählt: "Ich hab sie an den Schultern gepackt und geschüttelt. Das eine kam zum anderen, sie hat mir eine Ohrfeige gegeben, ich hab ihr eine Ohrfeige gegeben." Bevor die Situation noch mehr eskaliert, ruft Michael die Polizei.

Die Situation wäre immer mehr eskaliert, deswegen habe ich selber die Polizei gerufen.

Die zuständigen Polizeibeamten drücken ihm an besagtem Tag eine Broschüre in die Hand – Infos über eine Anlaufstelle bei häuslicher Gewalt, nicht für die Opfer, sondern für die Täter. Er meldet sich freiwillig bei der Diakonie in Ulm. "Es hat mich schon Mut gekostet, ein gewisses Schamgefühl war da", sagt Michael. "Aber ich wusste in dem Moment, dass ich die Notbremse ziehen muss."

Klienten werden von Gericht, Polizei und Jugendamt geschickt

Die Allerwenigsten würden sich freiwillig melden, sagt Mario Stahr. Er hat die Täterarbeit in Ulm vor sieben Jahren aufgebaut. "Die meisten kommen über das Jugendamt, Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht oder den Kinderschutzbund."

In Ulm gibt es eine Anlaufstelle bei häuslicher Gewalt für Täter, die Täterarbeit machen.
Der Diplom-Sozialpädagoge Mario Stahr leitet in der psychologischen Beratungsstelle das von ihm mitaufgebaute Projekt Täterarbeit Häusliche Gewalt.

Ein halbes Jahr lang geht der Gruppenkurs, an dem auch Michael seit Dezember teilnimmt. Jede Woche eine Sitzung, aktuell sind sie sechs Männer. Auch Einzelgespräche bietet die Beratungsstelle an. Immer mit dem Ziel, "dass Menschen, die Gewalt ausüben, für sich erkennen, wann, warum und wie sie Gewalt ausüben, um auf Dauer genügend Strategien zu haben, keine Gewalt mehr auszuüben", erklärt Mario Stahr.

Alle, die einer Beziehung Gewalt ausüben, haben irgendwann selbst schon Gewalt erlebt.

Alle Täter seien selbst schon Opfer von Gewalt geworden, so der Therapeut weiter. Ursachen für Gewalt gibt es jedoch viele - das musste auch Michael schon lernen. Die eigene Biographie wird in den Kursen aufgearbeitet: es geht um die Familie, das Umfeld, persönliche Schicksale. "Man lernt sehr viel über sich selber." Ein "Seelenstriptease", wie er sagt, der ihm hilft. Schon mehrmals kam es zu Streitereien mit seiner Partnerin. "Aber es ist nicht mehr eskaliert. Weil ich hier gelernt habe, wie ich ruhig bleiben kann."

Tabuthema Häusliche Gewalt

"Den" Täter gebe es nicht. Gewalt in einer Beziehung zieht sich durch alle Altersklassen, alle sozialen Schichten, Bildungsgrade und Religionen, sagt Mario Stahr. Es gebe keine Gruppe, die nicht vertreten ist. Umso wichtiger sei es, das Thema zu enttabuisieren.

"Was wir brauchen, ist eine Öffentlichkeit", sagt Mario Stahr. Man solle genauso darüber reden können, wie über beispielsweise Suchtkrankheiten. "Es muss mehr angesprochen werden - unter Freunden, in der Familie. Es bringt nichts, das Thema unter den Teppich zu kehren", bestätigt auch Michael. "Ich hab es selber gemerkt: Gewalt kommt in den besten Familien vor."

In Ulm gibt es eine Anlaufstelle bei häuslicher Gewalt für Täter, die Täterarbeit machen.
Michael ist auf einem guten Weg, sagt er. Er hofft, dass sich alle, die in einer ähnlichen Situation sind, Hilfe holen - bevor es eskaliert.

Wenn er jetzt an die Situation im letzten Jahr zurück denkt, kommen Michael die Tränen: "Ich hab die Bilder vor Augen. Ich könnte einfach nur heulen, weil ich mich selber so nicht kenne." Anderen in seiner Situation wünscht Michael, dass sie sich selber eingestehen, dass sie ein Problem haben und Hilfe benötigen. "Das ist mir am wichtigsten. Dass sie es frühzeitig erkennen, bevor es weiter eskaliert."

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