Überfüllte Notaufnahmen und die Sorge, in dieser Situation kranke Kinder nach Hause zu schicken, die eigentlich dringend behandelt werden müssten. Davor haben 23 Kinderkliniken in Baden-Württemberg am Montag in einem offenen Brief an die Politik gewarnt. Klaus-Michael Debatin ist der Ärztliche Direktor der Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Ulm und erklärt, wie eng die Situation dort ist und was seine Hoffnung ist.
SWR Aktuell: Müssen Sie Operationen verschieben oder gar Kinder erstmal abweisen, weil an der Kinderklinik in Ulm Personal und Geld fehlen?
Klaus-Michael Debatin: Die Situation ist in der Tat dramatisch im Moment, da gibt es nichts zu beschönigen. Aber bei uns wird niemand abgewiesen. Wir versorgen alle Patienten, die zu uns kommen - notfallmäßig sowieso. Wir können allerdings im Moment nicht alle Patienten stationär aufnehmen. Das heißt, wir sind oft gezwungen, für Patienten Unterbringungsmöglichkeiten in anderen Kliniken zu finden. Wir haben aber auch vor zwei Wochen Patienten aus München übernommen, weil es in den ganzen Münchener Kinderkliniken keine Intensivplätze mehr gegeben hat. Wir haben eine ausgeprägte Welle an Virusinfektionen - nicht Corona, sondern das RS-Virus, Influenza, Parainfluenza. Unsere allgemeinpädiatrische Station ist überwiegend mit Kindern belegt, die zum Teil erhebliche Atemprobleme haben. Sie müssen intensivmedizinisch überwacht werden, nur wir haben derzeit eigentlich keine Intensivplätze zur Verfügung. Wir tun alles, um die Versorgung auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten und das gelingt uns auch.
SWR Aktuell: Es kommen also Kinder zu Ihnen in die Klinik, die weisen Sie zwar nicht ab. Aber Sie stellen eine Diagnose und müssen dann sagen: 'Wir können das Kind nicht hier behalten, wir müssen einen anderen Platz suchen'. Habe ich das so richtig verstanden?
Debatin: Ja, das ist in seltenen Fällen so. Aber meist gelingt es uns, die Kinder auf irgendeiner Station unterzubringen. Manchmal auch auf einer Station, auf der normalerweise Erwachsene behandelt werden.
SWR Aktuell: Wie sehr kommt inzwischen ihr Personal auf dem Zahnfleisch daher?
Debatin: Das Personal ist trotz allem guten Mutes. Aber wir haben natürlich auch Ausfälle durch die Infektionswelle. Wir verschieben im Moment fast alles, was nicht dringend notwendig ist. Natürlich werden Krebspatienten oder Kinder mit Leukämie behandelt. Auch chirurgische Operationen werden verschoben, weil wir die Betten der Kinderchirurgie für die Patienten mit den Infektionen brauchen.
SWR Aktuell: Aber das ständige Verschieben löst ja das Problem nicht. Haben Sie nicht das gleiche Problem in ein paar Wochen wieder?
Debatin: Wir hoffen, dass die schwere Infektionswelle abebbt. Aber natürlich gibt es dafür keine Garantie. Was brauchen wir? Wir brauchen mehr Betten und wir brauchen mehr Personal. Und natürlich ist es so, dass über die Jahre gerade bei der Kinder- und Jugendmedizin, die ja nicht zu den Gewinnern unseres Finanzierungssystems gehört, eher gespart wurde. Die Betreuung eines Kindes im Krankenhaus ist anders als bei einem Erwachsenen. Das ist jedem klar, aber in der Vergütung spiegelt sich das nicht wider.
SWR Aktuell: Für Donnerstag ist ein Krisengipfel beim baden-württembergischen Sozialministerium geplant. Welche Erwartungen haben Sie daran? Denn kurzfristig ist ja nicht mit mehr Betten und Personal zu rechnen.
Debatin: Die Politik muss anerkennen, welche Situation bei uns im Moment herrscht. Und sie muss anerkennen, dass letztendlich politische Weichenstellungen dazu beigetragen haben, dass wir jetzt da sind, wo wir sind. Bisher gibt es von Herrn Lauterbach ein paar Äußerungen, aber die sind etwas wachsweich.