Vor einem Jahr, mit 24 Jahren, hatte Helene Schüle eine mild verlaufene Covid-Infektion. Ihre erste Erkrankung und auch die Impfungen zuvor hatte sie ohne Nachwirkungen überstanden. Doch dieses Mal ist es anders: die junge Frau entwickelt Post Covid-Symptome, ist seit einem Jahr krankgeschrieben.
"Heute ist ein mittelmäßiger Tag", sagt die Notfallsanitäterin. "Aber wie er wirklich wird, weiß ich erst, wenn ich vor die Tür gehe und mich belaste." Helene Schüle sitzt am Küchentisch in ihrer Altbau-WG in der Ulmer Oststadt. Auf den ersten Blick sieht man der jungen Frau mit dem offenen Lächeln und dem direkten Blick ihre schwere Erkrankung nicht an. Doch vor ihr liegt ein Therapieplan. Und hinter ihr eine lange Leidenszeit.
Zusammenbruch beim Spaziergang
Die gelernte Notfallsanitäterin hat nach ihrer Infektion Ende Februar 2023 nach ein paar Tagen wieder einen negativen Schnelltest. Trotz eines hartnäckigen Hustens will sie ein paar Schritte vor die Tür. "Ich habe den Husten nicht so ganz ernst genommen. Bis ich dann bei dem Spaziergang zusammengeklappt und nicht mehr von der Stelle gekommen bin. Weil ich keine Luft mehr bekommen habe."
Untersuchungen im Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Ein Freund bringt sie mit dem Auto nach Hause. Am Abend sucht Helene Schüle Hilfe in der kassenärztlichen Notfallpraxis in Ulm. Dort habe man sie nach der Untersuchung wieder nach Hause schicken wollen. Die gelernte Notfallsanitäterin besteht aber auf weitere Abklärung. Sie hat akute Atemnot.
In der Notaufnahme im Bundeswehrkrankenhaus Ulm wird schließlich ein Bild ihrer Lunge gemacht. Die Ärzte entdecken eine massive Lungenentzündung. Helene Schüle bekommt Antibiotika.
Diagnose: die 25-Jährige leidet an Post Covid
Weitere Symptome kommen im Laufe der Zeit hinzu: schlechte Leberwerte, Konzentrationsprobleme und Erschöpfung etwa. Helene Schüle erhält in einer Rehabilitationsklinik im Schwarzwald schließlich offiziell die Diagnose Post Covid. Zum Glück ist sie von ihrem Hausarzt von Anfang an ernst genommen worden, dafür ist sie dankbar. "Es gibt so viele Post Covid-Patienten, die in die Psychosomatik abgeschoben worden sind. Diese Diagnose wieder los zu bekommen, ist fast unmöglich, vor allem als weibliche Person."
Beim längeren Erzählen klingt Helene Schüle leicht atemlos. Das letzte Bild der Lunge ist ein halbes Jahr alt, da waren noch immer Entzündungsherde zu sehen. Helene Schüle erzählt das alles ruhig und gefasst - obwohl sich ihr Leben seitdem radikal geändert hat.
Seit einem Jahr kann sie nicht mehr als Notfallsanitäterin arbeiten. Sie vermisst es, anderen Menschen medizinisch zu helfen. "Ich bin noch nicht so belastbar, dass ich mit Koffer und dem EKG in der Hand in den dritten Stock laufen und dann jemanden reanimieren kann."
Vor ihrer Post Covid-Diagnose trifft sie sich oft mit Freunden, geht gerne tanzen. Auch das geht nicht mehr. Um ihr Gehirn zu trainieren und den Tag zu strukturieren, lernt die 25-Jährige gerade Italienisch und hat sich das Buchbinden beigebracht.
Die junge Frau muss bei allen Aktivitäten immer wieder Pausen machen. Sie wirkt gefasst, als sie von schlechten Tagen erzählt, an denen sie zwölf Stunden schläft. Und sich beim Aufwachen trotzdem gerädert fühlt. "Man hat diese Batterie, die nicht mehr ganz voll ist."
Aufenthalt in einer Reha-Klinik für Post Covid-Patienten
Die junge Frau blättert durch den Therapieplan ihrer Reha vor wenigen Wochen: Ergometer-Therapie steht da drauf, Atemgymnastik, Hirnleistungstraining. Auf diesen Plan muss Helene Schüle in den Wochen in der Klinik ständig schauen. Sie kann sich ihre Termine einfach nicht merken.
Der Aufenthalt in der Klinik habe ihr gut getan. Trotz einiger Rückschläge. Bei der Ergometertherapie etwa habe eine alte Dame mit Sauerstoffzufuhr in der Nase neben ihr auf dem Fahrrad eine deutlich höhere Wattzahl geschafft. "Das war manchmal schon ein bisschen demotivierend" sagt die 25-Jährige und schmunzelt.
Trotz aller Belastungen bleibt Helene Schüle optimistisch
Doch die 25-Jährige gibt die Hoffnung auf vollständig Genesung nicht auf. Sie werde getragen durch ihre Freunde und ihre Familie, sagt Helene Schüle. Ein Freund sei mit ihr einfach mal in die Berge gefahren. "Wir sind mit der Gondel hochgefahren, weil ich auf keinen Fall hoch laufen konnte. Wir hatten eine wunderschöne Aussicht. Das war eine der schönsten Momente in dieser Zeit, weil es ein bisschen Normalität war."
Solche Augenblicke würden ihr Kraft geben. Wie auch der Austausch mit einer Freundin, die zeitgleich mit ihr an Covid erkrankt war und nun ebenfalls an Post Covid leidet. Der Freundin gehe es aber noch viel schlechter als ihr, erzählt Helene Schüle. Sie sitze inzwischen im Rollstuhl.
Helene Schüle drückt sich künstlerisch aus. Auch das hilft der jungen Frau dabei, den Mut nicht zu verlieren. Ein hoher Stapel Zeichnungen und Drucke liegt auf einem Stuhl in ihrem WG-Zimmer. Ein Wagen mit Stiften, Pinseln und Farben steht bereit, an den Wänden hängen Fotografien und ein Werk ihres Großvaters, ein Künstler.
Auf dem Schreibtisch liegt eine Skizze: Ein liegender Mensch. In seinem Inneren, im Bauchraum, wilde verschlungene Linien. Wie geradlinig ihr weiterer Lebensweg verlaufen wird, ob sie wieder als Notfallsanitäterin arbeiten kann und wieder ganz gesund wird - die Ulmerin weiß es nicht. "Ich habe auch Tage, die nicht gut sind, an denen ich mir denke, das ist alles Scheiße. Anders kann ich das nicht beschreiben. Aber ich versuche, optimistisch zu bleiben."