Als das Studium der Islamischen Theologie in Tübingen 2011/2012 mit einem Professor und 36 Studierenden begann, hat wohl niemand mit einem Neubau dieser Größenordnung gerechnet. Das 23 Millionen Euro teure Zentrum ist seit wenigen Monaten in Betrieb. Am Donnerstagabend wurde der Neubau feierlich von BW-Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Finanzstaatssekretärin Gisela Splett (beide Grüne) der Universität übergeben.
Kretschmann forderte in seiner Rede unter anderem dazu auf, den Islamismus als gewaltbereiten politischen Fanatismus und den Islam als friedlichen Glauben klar voneinander abzugrenzen. In Hinblick auf eine zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft sagte er: "Heute müsste die Frage nicht mehr lauten: 'Gehört der Islam zu Deutschland', sondern: 'Gehören Religion und Glaube überhaupt noch zu Deutschland?'".
Kretschmann: Zentrum für Islamische Theologie wichtig für säkulare Gesellschaft
Gerade für die säkulare Gesellschaft sei das Zentrum für Islamische Theologie als Bildungseinrichtung bedeutsam. "Es ist wichtiger denn je, dass unsere muslimischen Religionslehrkräfte und der wissenschaftliche Nachwuchs der Theologie eine anspruchsvolle und zeitgemäße pädagogische Ausbildung bekommen", so der Ministerpräsident.
Muslimische Verbände seien in ihrer Funktion als Beirat des Instituts gefordert, so Kretschmann. Nicht um ihre eigenen Vereinsinteressen zu vertreten - und schon gar nicht, um politische Agenden eines Herkunftsstaates zu verfolgen, sondern um theologische Fragen zu beantworten. Dies sei wichtig, da der Staat und staatliche Hochschulen selbst weltpolitisch neutral sind.
Christliche und Islamische Theologie in Tübingen
Etwa 170 Studierende und Doktoranden und sieben Professorinnen und Professoren der Islamischen Theologie lehren, lernen und arbeiten im Neubau. In ihm finden auf 2.600 Quadratmetern Büros, Seminarräume und eine große Bibliothek Platz. Aber auch Studierende der Evangelisch- und Katholisch-Theologischen Fakultäten und des Fachbereichs Psychologie nutzen den Neubau.
Ein offener Innenhof, ein Campus, verbindet den Neubau mit dem "Theologicum", dem Gebäude der Evangelisch-Theologischen und der Katholisch-Theologischen Fakultäten. Dadurch erhoffen sich die muslimischen Theologinnen und Theologen eine intensivere Zusammenarbeit, sagt Professor Erdal Toprakyaran. Er hat mehrere Jahre lang das Zentrum geleitet und ist dort Professor für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur.
Kritik wegen Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden
Seit das Zentrum für Islamische Theologie in Tübingen gegründet wurde, gibt es immer wieder Bedenken, dass islamische Verbände wie die DITIB zu viel Einfluss auf die Lehre und Forschung nehmen. Zum Beispiel bei der Auswahl der Professorinnen und Professoren. Zu dem Vorwurf sagte Toprakyaran dem SWR: "Wir lassen uns auf keinen Fall beeinflussen. Wir sind natürlich sehr vorsichtig, dass wir in unserer Forschung und Lehre unabhängig bleiben."
Zeitweise stand das Zentrum auch unter dem Verdacht, mit Islamisten zu kooperieren, die frauenfeindliche oder antisemitische Positionen vertreten. Das Zentrum und die Uni mussten Stellung beziehen und Richtlinien erarbeiten, um zu verhindern, dass Islamisten in Tübingen ein Podium bekommen.
Studium auch für Seelsorger in Krankenhaus und Gefängnissen
Wer Islamische Theologie in Tübingen studiert, lernt dort sowohl historisch-theologische Ansätze als auch aktuelle Entwicklungen in den Koranwissenschaften kennen. Außerdem geht es im Studium um die Überlieferungen von Prophet Muhammad, islamische Glaubenslehre und islamisches Recht - Themen, die auch im Religionsunterricht an Schulen angesprochen werden. Seit mehreren Jahren gibt es in Tübingen auch den Studiengang "Praktische Islamische Theologie für Seelsorge und Soziale Arbeit". In ihm werden Studentinnen und Studenten auf die Arbeit in Krankenhäusern, Gefängnissen und der Flüchtlingsarbeit vorbereitet.