In Tübingen sind mehrere neue Stolpersteine gegen das Vergessen der Opfer des Nationalsozialismus verlegt worden. Der Erfinder der Stolpersteine, Gunter Demnig, hat am Montagmorgen die ersten drei neuen Steine in den Asphalt gesetzt; vor einem Haus, in dem einst die Familie Löwenstein lebte. Hugo, Ruth und Tochter Pauline Löwenstein wurden von den Nationalsozialisten vertrieben, das Haus beschlagnahmt. Mitglieder der Stolperstein-Initiative Tübingen haben vom Leben der Löwensteins berichtet. Zum feierlichen Akt kamen unter anderem Schüler und Schülerinnen, Gemeinderatsmitglieder und Landrat Joachim Walter.
Walter sagte dem SWR: "Nur durch Erinnerung können wir uns wappnen gegen Gefahren, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus. Und darum finde ich es wichtig, dass die Initiative hier in Tübingen auch wirklich so viele Stolpersteine verlegt hat." Nur einzelne Schicksale würden klar machen, was Schreckliches passiert sei. Daher seien solche Aktionen wichtig, so der Tübinger Landrat.
Rund 120 Stolpersteine auf Tübinger Straßen
Insgesamt wurden in Tübingen bislang rund 120 Stolpersteine verlegt. Diese Gedenksteine stehen für Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus ausgegrenzt, verschleppt und getötet wurden. Im Zentrum der Initiative steht das Ziel, diesen Menschen ihre Namen zurückzugeben, die ihnen damals durch die Vergabe einer Nummer genommen wurden.
Ein Jahr nach Überfall der Hamas auf Israel
Dass genau vor einem Jahr der Überfall der Hamas auf Israel stattfand, ist Zufall, sagt Gertrud Sänger von der Initiative. Der Termin für die Stolperstein-Verlegung wurde unabhängig davon auf den 7. Oktober gelegt. Die Tübinger Stolperstein-Initiative gedachte aber bei der Veranstaltung neben den Opfern des NS-Regimes auch den Hamas-Opfern.
Stolpersteine: Eine besondere Art des Gedenkens
Die Steine selbst werden von Künstler Gunter Demnig und seinen Mitarbeitern gefertigt. Die Inschriften werden von Historikern überprüft und von Hand in Messing gearbeitet. Die Verlegung der Stolpersteine ist ein feierlicher Akt, der oft mit Musik und Reden von Angehörigen der Opfer begleitet wird.
Laut Sänger sind die Stolpersteine eine dezentrale Form des Gedenkens und sollen in den Alltag der Menschen integriert werden. Die Steine werden dort gesetzt, wo die Menschen ihren letzten freiwilligen Wohnort hatten, oder werden so ausgerichtet, dass sie in Richtung des Eingangs liegen.
Recherche beginnt mit den Namen der NS-Opfer
Die Tübinger Stolperstein-Initiative wurde 2016 gegründet, nachdem bereits einige Stolpersteine in der Stadt verlegt worden waren. Zunächst war die Zusammenarbeit mit der Stadt schwierig, so Sänger. Die Stadtverwaltung wollte zunächst keine weiteren Steine. Inzwischen sei das Verhältnis aber sehr gut.
Die Recherche nach den Namen der Opfer beginnt im Stadtarchiv. Mitglieder der Initiative haben Listen in der Gedenkstätte und damaligen Tötungsanstalt Grafeneck bei Gomadingen durchforstet, um Tübinger zu finden.
Sänger: Kritik an den Stolpersteinen ist unbegründet
Laut Sänger gibt es häufig Kritik an der Arbeit der Initiative. Diese beziehe sich auf die Lage der Stolpersteine - auf dem Boden, wo sie mit Füßen betreten werden können. Sänger weist jedoch darauf hin, dass die meisten Menschen dies wohl eher aus Unachtsamkeit tun und oft sogar innehalten, wenn sie es bemerken.
Der Künstler Gunter Demnig sieht es ähnlich und findet, dass man sich durch die Bodenlage des Steins sogar verbeugen müsse, um die Inschrift des Steins lesen zu können.
Mit der Verlegung der Stolpersteine soll nicht nur der Vergangenheit gedacht, sondern auch ein Zeichen für eine bewusste und verantwortungsvolle Zukunft gesetzt werden: Erinnern als wichtiger Teil der deutschen Gesellschaft.