Ab neun Uhr sollen in der Tübinger Innenstadt mehrere neue Stolpersteine gegen das Vergessen der Opfer des Nationalsozialismus verlegt werden. Insgesamt wurden bereits 122 Stolpersteine in Tübingen gesetzt. Der Erfinder der Stolpersteine, Gunter Demnig, setzt gemeinsam mit der Stolpersteine-Initiative Tübingen nun in der Innenstadt 14 weitere seiner kleinen, bekannten goldenen Kunstwerke in den Boden.
Diese Gedenksteine stehen für Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus ausgegrenzt, verschleppt und getötet wurden. Im Zentrum der Initiative steht das Ziel, diesen Menschen ihre Namen zurückzugeben, die ihnen damals durch die Vergabe einer Nummer genommen wurden.
Ein Jahr nach Überfall der Hamas auf Israel
Dass genau vor einem Jahr der Überfall der Hamas auf Israel stattfand, ist Zufall, sagt Gertrud Sänger von der Initiative. Der Termin für die Stolperstein-Verlegung wurde unabhängig davon auf den 7. Oktober gelegt. Die Tübinger Stolperstein-Initiative will aber bei dieser Veranstaltung neben den Opfern des NS-Regimes auch den Hamas-Opfern gedenken.
Stolpersteine: Eine besondere Art des Gedenkens
Die Steine selbst werden von dem Künstler und seinen Mitarbeitern gefertigt. Die Inschriften werden von Historikern überprüft und von Hand in Messing gearbeitet. Die Verlegung der Stolpersteine ist ein feierlicher Akt, der oft mit Musik und Reden von Angehörigen der Opfer begleitet wird.
Laut Sänger sind die Stolpersteine eine dezentrale Form des Gedenkens und sollen in den Alltag der Menschen integriert werden. Die Steine werden dort gesetzt, wo die Menschen ihren letzten freiwilligen Wohnort hatten, oder werden so ausgerichtet, dass sie in Richtung des Eingangs liegen.
Recherche beginnt mit den Namen der NS-Opfer
Die Tübinger Stolperstein-Initiative wurde 2016 gegründet, nachdem bereits einige Stolpersteine in der Stadt verlegt worden waren. Zunächst war die Zusammenarbeit mit der Stadt schwierig, so Sänger. Die Stadtverwaltung wollte zunächst keine weiteren Steine. Inzwischen sei das Verhältnis aber sehr gut.
Die Recherche nach den Namen der Opfer beginnt im Stadtarchiv. Mitglieder der Initiative haben Listen in der Gedenkstätte und damaligen Tötungsanstalt Grafeneck bei Gomaringen durchforstet, um Tübinger zu finden.
Grafeneck-Opfer stammten aus Tübingen
Dieses Mal werden Steine für folgende Opfer verlegt: drei Steine für eine jüdisch-christliche Familie, die ermordet wurde, vier Steine für Menschen, die aufgrund einer Behinderung ermordet wurden, und sieben Steine für Menschen, die politischer Verfolgung ausgesetzt waren.
Sänger: Kritik an den Stolpersteinen ist unbegründet
Laut Sänger gibt es häufig Kritik an der Arbeit der Initiative. Diese beziehe sich auf die Lage der Stolpersteine - auf dem Boden, wo sie mit Füßen betreten werden können. Sänger weist jedoch darauf hin, dass die meisten Menschen dies wohl eher aus Unachtsamkeit tun und oft sogar innehalten, wenn sie es bemerken.
Der Künstler Gunter Demnig sieht es ähnlich und findet, dass man sich durch die Bodenlage des Steins sogar verbeugen müsse, um die Inschrift des Steins lesen zu können.
Stolpersteine werden in ganz Tübingen verlegt
Die Gedenkveranstaltung beginnt heute um 9 Uhr. Der erste Stolperstein wird in der Gartenstraße verlegt. Dann geht es durch die Tübinger Kernstadt über die Wilhelmstraße bis zur Kronenstraße.
Mit der Verlegung der Stolpersteine soll nicht nur der Vergangenheit gedacht, sondern auch ein Zeichen für eine bewusste und verantwortungsvolle Zukunft gesetzt werden: Erinnern als wichtiger Teil der deutschen Gesellschaft.