Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sorgt erneut für Kritik: Anfang September will er im Budapester Mathias-Corvinus-Collegium (MCC) auftreten. Die Einrichtung gilt als eng verbunden mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der in Deutschland kritisch gesehen wird. Der Professor, der Palmer in der Sache eine Einschätzung gegeben hatte, entschuldigte sich nun am Dienstag. Es habe sich um ein Missverständnis gehandelt.
Falsche Empfehlung: Tübinger Professor entschuldigt sich
Palmer hatte schon vergangenes Jahr Reinhard Johler, den Direktor des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft um eine Einschätzung dazu gebeten. Johler gab jetzt in einer Pressemitteilung zu, Palmer eine falsche Empfehlung gegeben zu haben.
Der Professor der Universität sei davon ausgegangen, dass Palmer seinen Vortrag an der Corvinus-Universität halten will - einer international angesehenen Einrichtung. Das Mathias-Corvinus-Collegium hingegen sieht der Professor außerordentlich kritisch. Die Universität Tübingen und Johler bedauern, dass es zu dem Missverständnis gekommen sei.
Palmer bedauert Missverständnis
Von den neuesten Entwicklungen zeigte sich Palmer überrascht. Hätte der Professor damals empfohlen, die Einladung aus Ungarn auszuschlagen, wäre Palmer dieser Einschätzung gefolgt. Er bedauere das Missverständnis. Trotzdem will Palmer seinen Auftritt nicht absagen: "Die Teilnahme nur eine Woche vor der Veranstaltung abzusagen, erscheint mir allerdings unverhältnismäßig." Den Dialog mit anderen politischen Auffassungen in Europa zu suchen, halte er grundsätzlich für richtig.
Schon am Montag wollte die Stadtverwaltung nichts über den Inhalt der Rede bekannt geben. Die Stadtverwaltung teilte lediglich mit: "Es gibt keine Kontakte der Stadt oder des Oberbürgermeisters zum ungarischen Premier."
Auf der Social Media Plattform Facebook reagierte Palmer am Dienstag indirekt auf die Berichterstattung um seinen Auftritt. "Nun ist bekannt geworden, dass ich einen Vortrag auf Einladung des deutsch-ungarischen Instituts in Budapest halten werde. Mehr nicht."
SPD: "Palmer biedert sich bei äußersten Rechten an"
Noch bevor das Missverständnis zwischen Stadtverwaltung und Universität bekannt wurde, gab es Kritik am geplanten Auftritt Palmers. Der SPD-Abgeordnete Nicolas Fink sagte gegenüber dem SWR: "Mit diesem Auftritt in Ungarn biedert sich der Tübinger Oberbürgermeister bei der äußersten Rechten an." Diese gäben nichts auf europäische Werte wie Menschlichkeit und Solidarität und wollten Europa spalten, statt gemeinsame Lösungen zu erarbeiten.
Des Weiteren diskreditiere Palmers Annäherung an die ungarische Regierung berechtigte Sorgen von Städten und Kommunen in Bezug auf Geflüchtete, indem er sie in die Nähe von Rechten rücke, so der SPD-Abgeordnete. Die Zusage Palmers nannte Fink "einen schweren Fehler".
Rülke: "Palmer sucht wohl neue politische Heimat"
Auch der Fraktionschef der FDP im Landtag, Hans-Ulrich Rülke, kommentierte die Pläne des Tübinger Oberbürgermeisters. Nach seinem Austritt bei Grünen sei Palmer wohl auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat - Orbán könnte sie ihm bieten, so Rülke gegenüber dem SWR. Er selbst würde dort nicht sprechen wollen. "Aber ich habe ja auch eine Partei, deren Mitglied ich bin", so der FDP-Fraktionsvorsitzende.
Reaktion auf Kritik an Auftritt in Frankfurt Tübingens OB Palmer tritt bei den Grünen aus und kündigt Auszeit an
Tübingens OB Palmer hat in einer Erklärung auf die Kritik an seinen Äußerungen zum N-Wort reagiert. Er kündigte eine Auszeit an und erklärte seinen Parteiaustritt bei den Grünen.
Die Grünen, bei denen Palmer früher Mitglied war, wollten sich nicht äußern. Das MCC hatte den Auftritt Palmers und seinen Vortrag mit dem Titel "Über die grüne Grenze" am 5. September bereits vorige Woche angekündigt. Laut der Tübinger Stadtverwaltung soll die Ungarnreise Palmers vom 5. bis zum 7. September "dem partnerschaftlichen Austausch und dem Dialog" dienen. Auf dem Programm steht demnach auch die offizielle Bestätigung der Partnerschaft des Tübinger Stadtteils Unterjesingen mit der Gemeinde Iklad.
Tübinger OB sorgt immer wieder für Kontroversen
Boris Palmer ist seit 2007 Oberbürgermeister in Tübingen. Mit Äußerungen etwa zur Flüchtlingspolitik sorgte er immer wieder für Kontroversen und sah sich Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Im Mai war er aus der Partei der Grünen ausgetreten. Bundesweite Anerkennung fanden wiederum sein Management während der Corona-Pandemie sowie seine kommunale Umweltpolitik.
Der ungarische Regierungschef Orbán fährt eine scharfe Asylpolitik, die Metallzäune an den Grenzen, die Nichtanerkennung von Asylgründen und widerrechtliche Rückschiebungen einschließt. Der Europäische Gerichtshof hat Ungarn deshalb bereits mehrfach verurteilt.
MCC gilt als Kaderschmiede der ungarischen Regierung
Laut Wolfgang Vichtl, dem ARD-Chefkorrespondenten für Südosteuropa, gilt das MCC als Kaderschmiede der Regierung des Rechtspopulisten Orbán. Die Einrichtung verstehe sich selbst als "ungarische Eliteuniversität" im Sinne des Orban'schen Politik- und Gesellschaftsverständnisses und werde von dessen Regierung massiv mit Geld unterstützt. Zur Zeit expandiere das Institut auch ins Ausland - zum Beispiel nach Österreich.
Die Bildungseinrichtung und Denkfabrik importiert unter anderen Ideen ultra-rechter Publizisten aus den USA, deren Schriften es in ungarischer Übersetzung veröffentlicht. Zugleich arbeitet es an der internationalen Vernetzung rechts-konservativer und ultra-rechter Kräfte.
Vorsitzender des Stiftungsrats des MCC ist Balazs Orbán, der - mit dem Regierungschef nicht verwandte - politische Direktor des Ministerpräsidentenamtes. Stiftungsrat und Führungsspitze des MCC sind mit handverlesenen Orbán-Loyalisten besetzt.