Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne, Mitgliedschaft ruht) sollte eigentlich über seinen Ansatz in der Migrationspolitik bei der Konferenz sprechen. Dann kam es anders: Studierende hatten Palmer bereits vor dem Unigebäude mit Rassismusvorwürfen empfangen. Sie bezeichneten ihn als Nazi und Rassisten, weil er in der Vergangenheit wiederholt das N-Wort benutzt hat. Es kam zu einem Tumult. Dabei nannte er mehrfach das N-Wort und verglich die Vorwürfe an ihn mit dem Judenstern. Das sorgte für viele Kommentare und Aufregung auf Social Media Kanälen.
Palmer erklärte am Samstagvormittag dem SWR, was er mit dem Judensternvergleich gemeint habe: Er finde die Methode der Protestierenden in Frankfurt ähnlich wie beim Judenstern. "Es geht mir um die Ausgrenzung. Dass man mich deshalb ächtet, weil ich das N-Wort sage, und deshalb als Nazi bezeichnet werde. Das ist ähnlich wie das Aufkleben eines Judensterns."
Lautstarke Proteste vor Konferenzgebäude
Er sei nicht nach Frankfurt gefahren, um diese Diskussionen zu führen, so Palmer gegenüber dem SWR. "Ich bin da auf eine echte Aggression der Leute gestoßen". Im Saal gab Susanne Schröter, die Leiterin der Migrationskonferenz und Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam an der Goethe Universität, Palmer die Möglichkeit, sich zu den Vorfällen vor dem Gebäude zu äußern. Palmer erklärte den rund 100 Gästen, warum über das N-Wort diskutiert wurde. Dabei nannte er es erneut mehrfach.
Der Tübinger Oberbürgermeister betonte, es komme ihm auf den Zusammenhang an, in dem das N-Wort genannt wird. "Wenn ich eine Person, die vor mir steht, als N**** bezeichne, weil sie eine schwarze Hautfarbe hat, ist es eine justiziable Beleidigung. Da brauchen wir auch nicht darüber zu diskutieren. Wenn man aber beispielsweise die Frage debattiert, ob Astrid Lindgrens Roman in Zukunft Südseekönig oder N****könig schreiben soll, dann ist es eine vollkommen legitime Verwendung des Wortes N*****."
Im Raum erhielt Palmer teilweise Zuspruch von den geladenen Gästen. Es wurde geklatscht. Aber auch klare Kritik gab es: Der Moderator verließ den Raum und distanzierte sich. Der Islam-Experte Ahmad Mansour sagte, er "habe Schwierigkeiten, das Wort zu hören" und bekam ebenfalls Applaus für seine Aussage.
In einem Facebook-Post am Freitagabend erläuterte Palmer, er sage das "N-Wort", weil er Sprachvorschriften nicht akzeptiere. "Das hoch umstrittene Wort" gehöre jedoch nicht zu seinem aktiven Wortschatz. "Ich benutze es nur, wenn darüber diskutiert wird, ob man schon ein Rassist ist, wenn man es verwendet. Darüber entscheidet für mich der Kontext."
Konferenzleiterin: Palmers Verhalten habe Tagung "schwer beschädigt"
Palmer bat noch im Konferenzsaal um Entschuldigung: "Es ist nicht meine Absicht gewesen, die Konferenz in Misskredit zu bringen." Die Ethnologin und Konferenzleiterin Susanne Schröter distanzierte sich am Samstagmittag von Palmers Äußerungen. Sein Verhalten habe die sehr gute und differenziert geführte Tagung "schwer beschädigt" und das sei nicht akzeptabel, schrieb sie auf Twitter. Im Interview mit dem Hessischen Rundfunk sagte Schröter, es sei ihr unverständlich, dass Palmer sich von demonstrierenden Studenten provozieren lassen und dann einen Kampf anfange, der alle Vorurteile gegen ihn bestätige.
Die Organisatorin der Migrationskonferenz Susanne Schröter im HR-Info-Interview am Samstagmittag:
Das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) an der Goethe Universität Frankfurt hatte Boris Palmer zu der eintägigen Konferenz am Freitag eingeladen. Der Titel der Veranstaltung lautete: "Migration steuern, Pluralität gestalten. Herausforderungen der Einwanderungspolitik in Deutschland".
Wochenlange Kritik an der Migrationskonferenz
Die Veranstaltung war seit Wochen umstritten gewesen. Die Studierendenvertretung ASta der Goethe Universität Frankfurt hatte den Veranstaltern vorgeworfen, die Referentinnen und Referenten seien einseitig ausgewählt. Auch die Einladung des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer hatten sie kritisiert.
Unter den Teilnehmenden der Konferenz waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Politikerinnen und Politikern, Polizeibeamte und Lehrkräfte, zum Beispiel der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, die Gesamtschullehrerin Birgit Ebel von der Initiative "extremdagegen" und Islam-Experte Ahmad Mansour.
Politiker kritisieren Palmers Aussagen
Der hessische Justizminister Roman Poseck (CDU) hatte in einem Grußwort am Freitag zum Auftakt der Konferenz in Frankfurt dazu aufgerufen, die komplexe Debatte über Einwanderung und Integration nicht den "lautstarken Rändern links wie rechts" zu überlassen. Auch Poseck distanzierte sich von Palmers Äußerungen. Er erklärte am Samstag in Wiesbaden, diese seien indiskutabel.
Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, nahm Bezug auf Palmers ruhende Mitgliedschaft bei den Grünen und schrieb bei Twitter, dieser Schritt sei "nicht ohne Grund" erfolgt. "Der neuerliche Tiefpunkt von Boris Palmer kann trotzdem nicht so stehen bleiben." Rassistische Äußerungen und die Relativierung des Leidens von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus seien aufs Schärfste zu verurteilen.
Präsident der Universität empört
Auch der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, zeigte sich empört und forderte eine öffentliche Entschuldigung Palmers. "Jede explizite oder implizite den Holocaust relativierende Aussage ist vollkommen inakzeptabel und wird an und von der Goethe Universität nicht toleriert - dies gilt gleichermaßen für die Verwendung rassistischer Begriffe", sagte Schleiff in einer Stellungnahme auf der Universitäts-Website.
Am Samstag meldete sich Palmer erneut über Facebook zu Wort und sprach den Präsidenten der Universität direkt an. Palmer schrieb, er sei enttäuscht, dass Schleiff nicht die Studierenden kritisiert habe, die den Eklat bewusst provoziert hätten und Palmer in "äußerst aggressiver und verletzender Weise" begegnet seien. "Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich zunächst bei mir nach dem Ablauf erkundigen, bevor Sie öffentlich innerhalb weniger Stunden Verurteilungen aussprechen und Entschuldigungen verlangen", kritisierte Palmer in dem Beitrag.
Palmer sorgt immer wieder für Kontroversen
Palmer hatte bereits im Mai 2021 in einem Facebook-Beitrag über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, der einen nigerianischen Vater hat, das sogenannte N-Wort benutzt. Dies hatte massive Kritik auch bei seinen damaligen grünen Parteikollegen ausgelöst. Ein Parteiausschlussverfahren endete vor einem Jahr mit dem Kompromiss, dass Palmer seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende dieses Jahres ruhen lässt. Im Oktober 2022 war er in Tübingen dann als unabhängiger Kandidat angetreten und im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit - unter anderem gegen die Kandidatin der Grünen - für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden.
Palmer ist seit 2007 Oberbürgermeister in der Universitätsstadt. Mit Äußerungen etwa zur Flüchtlingspolitik sorgte er immer wieder für Kontroversen und sah sich Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Bundesweites Aufsehen und Anerkennung brachte aber auch sein Management während der Corona-Pandemie.