Rund 5.000 Menschen sind bei der Uniklinik Tübingen als Körperspender registriert. Das heißt: Sie haben sich zu Lebzeiten entschieden, ihre Körper der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Das ist wichtig für angehende Mediziner und Medizinerinnen. Sie lernen an den Toten - in der Anatomie spricht man von Präparaten - wie der menschliche Körper aufgebaut ist.
Die Vorstellung, nach dem Tod auf dem OP-Tisch zu landen, ist für viele undenkbar. Nicht so für Waldtraut Leucht aus Bad Liebenzell (Kreis Calw). Ihre Wohnung ist wie ein kleines Museum und erzählt aus dem Leben der 76-Jährigen. Schnell wird klar: Mit dem Tod hat sie sich schon früh auseinandersetzen müssen.
Körperspenderin: Frühe Erfahrungen mit dem Tod
Sie lebte als Kind unter der Woche bei den Großeltern, am Wochenende bei den Eltern. Von einem auf den anderen Tag änderte sich das alles, sagt Leucht. Die geliebte Oma starb in ihrer Anwesenheit, da war sie zehn Jahre alt. Ein traumatisches Erlebnis.
Mit 20 Jahren verliert Waltraud Leucht den Vater, die Mutter stirbt ein paar Jahre später. Mehrere Freundinnen und Lebenspartner sterben an Krebs. Ein Freund verbrennt bei einem Autounfall. Sie selbst erkrankt mit Ende 40 an Brustkrebs - wird aber geheilt. All die Erfahrungen mit dem Tod sowie ihre Heilung sind Gründe, warum sie sich als Körperspenderin am Anatomischen Institut der Uniklinik Tübingen gemeldet hat.
"Da hat man mir dann die Unterlagen geschickt und dann habe ich erst mal schlucken müssen", so Leucht. Denn der Körper wird rasiert, mit einer Flüssigkeit haltbar gemacht und so zu einem Modell, an dem gearbeitet werden kann. Zwei Jahre bleibt das Präparat im Institut und kann dann erst beerdigt werden. Es habe sie dann aber weiter nicht gestört und sie habe sich angemeldet. "Das war ein ganz schneller Entschluss und ich habe gedacht, da kann ich auch was Gutes tun."
Nach dem Tod der Wissenschaft dienen
Von den Körperspenden profitieren angehende Medizinerinnen und Mediziner. In Präparationskursen lernen sie, wie die Anatomie des Menschen funktioniert. Und dürfen selbst mit Skalpell und Handschuhen an den Körpern der Spender arbeiten. Die Studierenden in Tübingen sind dafür dankbar.
Studentin Leonie Necke kann sich gut an ihren ersten Tag im OP-Saal der Anatomie erinnern. "Das ist auch die erste Berührung für mich persönlich mit dem Thema Tod. Aber es war extrem respektvoll und wir waren alle erst mal ganz vorsichtig und haben uns langsam herangetastet." Das Arbeiten an den Präparaten sei sehr eindrücklich und nachhaltig.
Studierende bedanken sich mit einer Aussegnungsfeier
Die Studierenden erlernten neben den anatomischen auch viele andere Kompetenzen, wie Empathie und Teamwork, so Institutsleiter Professor Bernhard Hirt. Die jungen Leute empfänden die Arbeit an den Präparaten als Privileg und seien dankbar, so Hirt. Das zeigt sich unter anderem in einer jährlichen Aussegungsfeier, die die Studierenden organisieren. Jeder Körperspender wird in der Anatomie zu einer Nummer. In der feierlichen Verabschiedung mit Musik bekommen die Toten ihre Namen zurück.
Waldtraud Leucht aus Bad Liebenzell war vor Jahren bei einer dieser Feiern dabei und wurde so auf das Thema Körperspende aufmerksam. Ein Jahr später folgte die Anmeldung in Tübingen. Seit sie sich dazu entschlossen hat, sei sie innerlich ruhiger geworden. Geholfen habe aber auch eine Therapie, sagt die 76-Jährige. All ihr Schmerz sei besser geworden. "Und ganz am Schluss dachte ich, jetzt kann ich meinen Körper spenden, weil ich jetzt ein anderes Verhältnis zum Tod habe."