Körperspenderin aus Bad Liebenzell erzählt

Warum Menschen ihren Körper der Uniklinik Tübingen spenden

Stand
Autor/in
Stefanie Assenheimer
Stefanie Assenheimer

Sie sind tot, haben aber trotzdem noch einen OP-Termin. Denn an den Unikliniken ist es unerlässlich, dass angehende Mediziner an Leichen üben. Und dazu braucht es Körperspender.

Rund 5.000 Menschen sind bei der Uniklinik Tübingen als Körperspender registriert. Das heißt: Sie haben sich zu Lebzeiten entschieden, ihre Körper der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Das ist wichtig für angehende Mediziner und Medizinerinnen. Sie lernen an den Toten - in der Anatomie spricht man von Präparaten - wie der menschliche Körper aufgebaut ist.

Die Vorstellung, nach dem Tod auf dem OP-Tisch zu landen, ist für viele undenkbar. Nicht so für Waldtraut Leucht aus Bad Liebenzell (Kreis Calw). Ihre Wohnung ist wie ein kleines Museum und erzählt aus dem Leben der 76-Jährigen. Schnell wird klar: Mit dem Tod hat sie sich schon früh auseinandersetzen müssen.

Waldtraut Leucht in ihrer Wohnung. Sie steht auf der Liste der Körperspender der Uniklinik Tübingen.
Waldtraut Leucht aus Bad Liebenzell (Kreis Calw) will mit ihrer Körperspende nach ihrem Tod noch was Gutes tun.

Körperspenderin: Frühe Erfahrungen mit dem Tod

Sie lebte als Kind unter der Woche bei den Großeltern, am Wochenende bei den Eltern. Von einem auf den anderen Tag änderte sich das alles, sagt Leucht. Die geliebte Oma starb in ihrer Anwesenheit, da war sie zehn Jahre alt. Ein traumatisches Erlebnis.

Als meine Oma in meiner Anwesenheit starb, das war sehr, sehr schlimm. Ich habe sie sehr gern gehabt.

Mit 20 Jahren verliert Waltraud Leucht den Vater, die Mutter stirbt ein paar Jahre später. Mehrere Freundinnen und Lebenspartner sterben an Krebs. Ein Freund verbrennt bei einem Autounfall. Sie selbst erkrankt mit Ende 40 an Brustkrebs - wird aber geheilt. All die Erfahrungen mit dem Tod sowie ihre Heilung sind Gründe, warum sie sich als Körperspenderin am Anatomischen Institut der Uniklinik Tübingen gemeldet hat.

"Da hat man mir dann die Unterlagen geschickt und dann habe ich erst mal schlucken müssen", so Leucht. Denn der Körper wird rasiert, mit einer Flüssigkeit haltbar gemacht und so zu einem Modell, an dem gearbeitet werden kann. Zwei Jahre bleibt das Präparat im Institut und kann dann erst beerdigt werden. Es habe sie dann aber weiter nicht gestört und sie habe sich angemeldet. "Das war ein ganz schneller Entschluss und ich habe gedacht, da kann ich auch was Gutes tun."

Nach dem Tod der Wissenschaft dienen

Von den Körperspenden profitieren angehende Medizinerinnen und Mediziner. In Präparationskursen lernen sie, wie die Anatomie des Menschen funktioniert. Und dürfen selbst mit Skalpell und Handschuhen an den Körpern der Spender arbeiten. Die Studierenden in Tübingen sind dafür dankbar.

Studentin Leonie Necke kann sich gut an ihren ersten Tag im OP-Saal der Anatomie erinnern. "Das ist auch die erste Berührung für mich persönlich mit dem Thema Tod. Aber es war extrem respektvoll und wir waren alle erst mal ganz vorsichtig und haben uns langsam herangetastet." Das Arbeiten an den Präparaten sei sehr eindrücklich und nachhaltig.

Studierende bedanken sich mit einer Aussegnungsfeier

Die Studierenden erlernten neben den anatomischen auch viele andere Kompetenzen, wie Empathie und Teamwork, so Institutsleiter Professor Bernhard Hirt. Die jungen Leute empfänden die Arbeit an den Präparaten als Privileg und seien dankbar, so Hirt. Das zeigt sich unter anderem in einer jährlichen Aussegungsfeier, die die Studierenden organisieren. Jeder Körperspender wird in der Anatomie zu einer Nummer. In der feierlichen Verabschiedung mit Musik bekommen die Toten ihre Namen zurück.

Waldtraud Leucht aus Bad Liebenzell war vor Jahren bei einer dieser Feiern dabei und wurde so auf das Thema Körperspende aufmerksam. Ein Jahr später folgte die Anmeldung in Tübingen. Seit sie sich dazu entschlossen hat, sei sie innerlich ruhiger geworden. Geholfen habe aber auch eine Therapie, sagt die 76-Jährige. All ihr Schmerz sei besser geworden. "Und ganz am Schluss dachte ich, jetzt kann ich meinen Körper spenden, weil ich jetzt ein anderes Verhältnis zum Tod habe."

Mehr zum Thema Körperspende

Tübingen

Für jeden Verstorbenen eine Kerze Nach Anatomie-Praxis mit Leichen: Tübinger Studenten gedenken Körperspendern

In ihrem Studium haben sie Verstorbene seziert. Jetzt haben Medizinstudenten der Uni Tübingen Abschied von ihren Körperspendern genommen. Mit dabei: Angehörige und Menschen, die selbst spenden wollen.

Sonntagmorgen SWR1

Mainz

Leichen als Studienobjekt für Ärzte und Studenten Immer mehr Menschen wollen ihren Körper spenden - Was zu beachten ist

Immer mehr Menschen möchten ihren Leichnam nach dem Tod für Lehrzwecke spenden - so auch an der Mainzer Unimedizin. Wie das funktioniert, was es kostet: alle Infos hier.

Anatomie Körperspenden – Nach dem Tod der Wissenschaft dienen

Heute sind Körperspenden freiwillig, die anatomischen Institute haben ethische Regeln, wie Studierende und Mitarbeiter mit ihnen umgehen. Einige Präparate stammen aus der NS-Zeit.

Das Wissen SWR Kultur

Mehr von SWR Aktuell Baden-Württemberg

Baden-Württemberg

Die wichtigsten News direkt aufs Handy SWR Aktuell Baden-Württemberg ist jetzt auch auf WhatsApp

Der WhatsApp-Kanal von SWR Aktuell bietet die wichtigsten Nachrichten aus Baden-Württemberg, kompakt und abwechslungsreich. So funktioniert er - und so können Sie ihn abonnieren.

Baden-Württemberg

SWR Aktuell - der Morgen in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren: Newsletter mit BW-Nachrichten am Morgen!

Sie wollen morgens auf dem neuesten Stand sein? Dann abonnieren Sie "SWR Aktuell - der Morgen in BW". Die News aus Ihrem Bundesland ganz bequem in Ihrem Mailpostfach.

Reportagen, Shorts und Erklärvideos SWR Aktuell nun mit eigenem YouTube-Kanal am Start

Ab sofort ist SWR Aktuell auch bei YouTube mit einem eigenen Kanal zu finden. Damit ist die Nachrichtenmarke des SWR künftig neben Instagram und Facebook auch auf der wichtigsten Nachrichtenplattform präsent.