Der AfD-Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel durfte nicht mit Jugendlichen eines Gymnasiums in Reutlingen diskutieren. Er wurde kurzfristig von Schulleiter Thomas Moser ausgeladen. Spaniel kritisierte die Entscheidung daraufhin in einem Video, die AfD verwies auf das Neutralitätsgebot an Schulen. Das Schulamt hat sich mit dem Fall beschäftigt, nun äußert sich das Kultusministerium dazu.
Ministerium: Absage in diesem Fall richtig
Schule habe den Auftrag, Kinder und Jugendliche zu Demokraten auszubilden, heißt es seitens des Ministeriums auf SWR-Nachfrage. "Daher ist es zu loben und zu unterstützen, wenn unsere Schulleitungen ihre Schülerinnen und Schüler schützen und extreme Ansichten - egal ob von links oder rechts - von den Schulen fernhalten wollen."
Sorgen bei Schülern mit Migrationshintergrund
Die Veranstaltung "Kepi trifft Politik" am Johannes-Kepler-Gymnasium in Reutlingen fand am 5. Februar statt. Angehende Abiturientinnen und Abiturienten hatten dafür fünf aktuelle Themen vorbereitet, über die sie mit Bundestagsabgeordneten sprechen wollten - eines davon drehte sich um Migration.
Nach der Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche "Geheimplan gegen Deutschland" hätten sich Jugendliche mit Migrationshintergrund an die Schulleitung gewendet, weil sie beim Wort "Remigration" Angst bekämen. Daraufhin sagte Thomas Moser dem AfD-Vertreter am Mittwoch vor der Veranstaltung ab.
Schulleiter: Behörden im Dilemma
Den Vorwurf der AfD, dass das Gymnasium gegen das Neutralitätsgebot verstoßen habe, nimmt das Kultusministerium in seiner Stellungnahme auf. Es sei zwar richtig, dass Staatsorgane, wie Schulen bei der politischen Willensbildung neutral bleiben müssten. Vor Parteien, die als gesichert extrem oder als Verdachtsfälle eingestuft werden, müsse man die Kinder und Jugendlichen aber schützen.
In Baden-Württemberg beobachtet der Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall. Schulleiter Thomas Moser reagiert im Gespräch mit dem SWR gelassen auf die Stellungnahme des Ministeriums zu seinem Fall. "Die Behörden sind, wie die Schulleitungen auch, bei solchen Fällen in einer Dilemmasituation und werden jeden Fall für sich neu bewerten müssen", sagt Moser.
Verständnis für Schulleiter
Mit Blick auf den sogenannten Beutelsbacher Konsens, der als Standard für den politisch-historischen Unterricht an Schulen gilt, sagt Moser: "Neutral zu sein, ist die eine Sache. Kritisch zu sein, die andere." Im Konsens enthalten sei auch das Kontroversitätsgebot. Dieses besagt, dass Themen, die in Wissenschaft und Politik kontrovers sind, auch im Unterricht kontrovers erscheinen müssen.
Die Entscheidung für die kurzfristige Absage sei mit den angehenden Abiturienten diskutiert worden. Grundsätzlich sei das Verständnis, auch seitens der Behörden, von Beginn an groß gewesen, sagt Moser. Er habe keine Rüge erhalten oder eine Stellungnahme abgeben müssen.
Wahljahr 2024: Ministerium im Austausch
Auch das Kultusministerium verweist auf die Notwendigkeit kontroverser Diskussionen. "Neutralität in diesem Sinn kann nicht bedeuten, dass die Schulleitungen und Lehrkräfte ihre positive Haltung zum Grundgesetz verbergen müssen."
Da in diesem Jahr in Baden-Württemberg die Europa- und die Kommunalwahl ansteht, möchte das Ministerium die Schulleitungen nochmal explizit auf die grundsätzlichen Rahmenbedingungen für Podiumsdiskussionen hinweisen.