Forschungsprojekt "Cormoran" läuft noch bis Jahresende

Ist Freiburg im Besitz von Raubkunst aus Ozeanien?

Stand
Autor/in
Nikolaus Rhein

Ein Freiburger Museum hat seine Sammlung auf Raubkunst untersucht. An einigen Gegenständen klebt vermutlich Blut. Sie stammen aus Pohnpei - einer ehemaligen deutschen Kolonie.

"Forschungsprojekt Cormoran" - unter diesem Titel hat das Freiburger Museum Natur und Mensch seine Ethnologische Sammlung auf Raubkunst untersucht. Rund 400 Objekte aus der Sammlung stammen aus Mikronesien im Pazifik. Von 1885 bis 1914 war das Gebiet Teil des deutschen Kolonialreichs.

Der Ethnologe Godwin Kornes hat sämtliche Sammlungsstücke erfasst, auf ihre Herkunft untersucht, dokumentiert und digitalisiert. Im vergangenen Jahr war Kornes mit einer Kollegin zudem zwei Mal in Mikronesien. Das Ziel der Reisen: Rekonstruieren, wie bestimmte Gegenstände vor mehr als einhundert Jahren in den Besitz des Freiburger Museums gelangt sind.

Wieviel Raubkunst befindet sich im Besitz der Sammlung?

Inwiefern befinden sich einige Stücke unrechtmäßig in Freiburger Besitz? Welche Gegenstände sind problematisch und direkt mit einem Gewaltkontext verbunden, und welche eher unproblematisch? Diesen Fragen ist Kornes nachgegangen.

Eher problematisch ist der Fall Paul Werber. Der gebürtige Rastätter war 1910 Teil einer Strafexpedition der kaiserlichen Flotte. Sie fuhr nach Mikronesien, in die deutsche Kolonie Pohnpei. Als Offizier des Kriegsschiffes "SMS Cormoran" half er mit, einen Aufstand der einheimischen Bevölkerung niederzuschlagen. Nach dem Kriegseinsatz brachte er Sammlungsstücke nach Deutschland. Sie befinden sich heute im Depot des Museum Natur und Mensch in Freiburg.

Raubkunst aus Ozeanien - was befindet sich unrechtmäßig im Museum? Kornes zeigt auf einem Bildschirm auf eine alte Fotografie
Forschung zur Raubkunst in Freiburger Besitz: Der Rastätter Paul Werber hat wahrscheinlich einige Sammlungsstücke von der Insel Pohnpei im Pazifik nach Deutschland gebracht.

Viele dieser Objekte sind laut Kornes unbedenkliche Reiseandenken. Doch einige Werke scheinen die Besatzungsmitglieder der Cormoran nicht durch gewöhnlichen Handel in ihren Besitz gebracht zu haben. "Bei den Objekten der Paul-Werber-Sammlung aus Pohnpei würde ich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie aus dem Zusammenhang dieses Krieges stammen", sagt Kornes.

Eine digitalisierte Aufnahme des Kreuzers "Cormoran" - Untersuchungen zur Raubkunst im Freiburger Museum Natur und Mensch
Mit der "SMS Cormoran" soll Werber die Beutekunst aus Ozeanien nach Deutschland zurückgebracht haben. Wieviel davon befindet sich im Besitz des Freiburger Museums?

Forschungsprojekt zur Raubkunst läuft noch bis Jahresende

Bei einem Grasrock aus Hibiskusfasern, den einige Menschen in Pohnpei bei zeremoniellen Anlässen auch heute noch tragen, liege der Verdacht der Raubkunst besonders nahe. Ein Gewalt- und damit Unrechtskontext sei bei diesem Stück "sehr plausibel", wie Kornes sagt. Und trotzdem: "Wir können diese Aussagen nie in letzter Konsequenz treffen. Dafür ist die Quellenlage meistens zu schlecht."

Das Projekt "Cormoran" läuft noch bis Januar nächsten Jahres. Oftmals ist das Ziel einer solchen Provenienzforschung klar: Die Forscher wollen herausfinden, welche Objekte sich europäische Akteure in der Kolonialzeit gewaltsam angeeignet haben. Dadurch soll die Rückgabe dieser Objekte an die Herkunftsländer ermöglicht werden.

Raubkunst aus Ozeanien: Rückgabe nach Pohnpei ungewiss

Doch ob auch der Grasrock aus Pohnpei an seinen Ursprungsort zurückkehren wird, ist ungewiss. Dies hänge laut Kornes auch davon ab, was die Menschen in Pohnpei möchten. "Wenn sie bestimmte Gegenstände wieder haben wollen, wird man das mit der Stadt Freiburg aushandeln und dann eine Übereinkunft treffen", sagt Kornes.

Grundsätzlich habe die Stadt sich bereit erklärt, Sammlungsstücke bei Bedarf auch zurückzugeben. Doch ist dieser Bedarf auf Pohnpei auch wirklich vorhanden? Kornes ist sich da nicht so sicher. "Es ist nicht so, dass wir von Anfragen überrannt werden, gewisse Gegenstände zurückzugeben - anders, als manchmal in der Öffentlichkeit angenommen wird."

Mehr zu Raubkunst aus der Kolonialzeit:

Kultur Ethnologische Museen im Umbruch – Wie mit kolonialer Raubkunst umgehen?

Mit der Rückgabe der Benin-Bronzen hat 2022 in Berlin eine museale Revolution begonnen. Die Völkerkundemuseen wollen sich neu erfinden. Nur den Namen ändern, wird nicht reichen.

SWR2 Wissen SWR2

Geschichte Deutscher Kolonialismus in Tansania – Der Streit um Raubkunst

Etwa 10.200 geraubte Objekte aus Tansania befinden sich bis heute in Berlin. Bei der Frage, ob sie zurückgegeben werden sollen, geht es um mehr als nur um Wiedergutmachung.

SWR2 Wissen SWR2

Mannheim

Um Herkunft der Objekte zu klären Rückgabe von Raubkunst: Mannheimer Museen fordern mehr Geld

Die ethnologischen Museen sind im Umbruch: Objekte aus der Kolonialzeit sollen gesichtet und zurückgegeben werden. Aus Sicht der Reiss-Engelhorn-Museen braucht es dafür mehr Mittel.

Berlin

Leben Wunden heilen – Die emotionale Seite der Restitution

Können koloniale Wunden heilen? Die geplante Rückgabe von über tausend Benin Bronzen in deutschen Museen soll ein Schritt in Richtung Aufarbeitung von Kolonialgeschichte sein.

SWR2 Leben SWR2

Stuttgart

Gespräch Die Rückgabe geraubter afrikanischer Kulturgüter - Fiona Siegenthaler, Kuratorin am Linden-Museum in Stuttgart

Ende des Jahres wird das Linden-Museum in Stuttgart einige seiner insgesamt 70 Objekte, die im 19. Jahrhundert im Königreich Benin - heute Nigeria - geraubt wurden, zurückgeben. Im Laufe des nächsten Jahres werden weitere Teile nach Nigeria überführt und einige werden als Dauerleihgabe in Stuttgart bleiben. 

SWR2 Tandem SWR2

SWR2 Leben Traum – Ein Künstler aus Burkina Faso über afrikanische Raubkunst

Die Museen der westlichen Welt sind voll von afrikanischer Raubkunst, gestohlen unter kolonialer Besatzung. Über viele Jahrzehnte waren diese Besitztümer ganz selbstverständlich.  Von Mimpamba Thomas Combari und Ulrich Lampen

SWR2 Leben SWR2

Stand
Autor/in
Nikolaus Rhein

Mehr von SWR Aktuell Baden-Württemberg

Baden-Württemberg

Die wichtigsten News direkt aufs Handy SWR Aktuell Baden-Württemberg ist jetzt auch auf WhatsApp

Der WhatsApp-Kanal von SWR Aktuell bietet die wichtigsten Nachrichten aus Baden-Württemberg, kompakt und abwechslungsreich. So funktioniert er - und so können Sie ihn abonnieren.

Baden-Württemberg

SWR Aktuell - der Morgen in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren: Newsletter mit BW-Nachrichten am Morgen!

Sie wollen morgens auf dem neuesten Stand sein? Dann abonnieren Sie "SWR Aktuell - der Morgen in BW". Die News aus Ihrem Bundesland ganz bequem in Ihrem Mailpostfach.

Reportagen, Shorts und Erklärvideos SWR Aktuell nun mit eigenem YouTube-Kanal am Start

Ab sofort ist SWR Aktuell auch bei YouTube mit einem eigenen Kanal zu finden. Damit ist die Nachrichtenmarke des SWR künftig neben Instagram und Facebook auch auf der wichtigsten Nachrichtenplattform präsent.