Faktencheck von fünf Aussagen

Versuchte Entführung in Böblingen - was stimmt, was sind Fake News?

Stand
Autor/in
Deborah Kölz
Porträt Reporterin Deborah Kölz

Am Mittwoch konnte in Böblingen wohl die Entführung eines Kindes verhindert werden. Online und in Chatgruppen kursieren dazu viele Nachrichten. Einiges davon stimmt nicht, anderes nur halb.

Am Mittwochmorgen konnten Bauarbeiter in Böblingen einen Entführungsversuch verhindern. Ein 51-jähriger Mann hatte einen zehnjährigen Jungen schon in sein Auto gezogen, als drei Bauarbeiter ihm zu Hilfe eilten. Sie konnten das Kind befreien und hielten den mutmaßlichen Entführer fest, bis die Polizei kam.

Entführung eines Kindes vereitelt? Gerüchte verbreiten sich wie ein Lauffeuer

Am Mittwoch und am Donnerstag verbreitete sich die Nachricht des Vorfalls schnell über Soziale Netzwerke im Internet und über Chatgruppen. Dabei wurden teilweise falsche Informationen geteilt, beispielsweise dazu, was mit dem mutmaßlichen Entführer jetzt passiert.

Was stimmt davon und was nicht? Stimmt es, dass die Medien "nicht Klartext reden", wie es in manchen Postings heißt? Wir haben fünf Aussagen überprüft, klären noch eine Frage und hätten zum Schluss noch einen Tipp:

Aussage 1: Der Tatverdächtige wurde freigelassen

Das stimmt nicht. Der Tatverdächtige wurde von der Polizei in Böblingen am Mittwoch in Gewahrsam genommen. Am Donnerstag wurde er einem Haftrichter vorgeführt. Das haben das zuständige Polizeipräsidium Ludwigsburg und die Staatsanwaltschaft Stuttgart bestätigt. Der Haftrichter hat entschieden, dass der 51-jährige Tatverdächtige in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden soll.

Die Polizei erklärt, dass man sich in diesem Fall nicht wie bei einem gewöhnlichen Aufenthalt im Krankenhaus selbst entlassen kann. Es ist eine sogenannte "amtliche Unterbringung". Das bedeutet, der Tatverdächtige kann nur durch eine Richterin oder einen Richter wieder entlassen werden und bleibt ansonsten in der Klinik.

Aussage 2: Der Mann wurde sofort verurteilt

Das stimmt nicht. Dieses Gerücht könnte irrtümlich entstanden sein, weil man das Wort "Richter" hier falsch eingeordnet hat. Denn ein Tatverdächtiger kommt in Baden-Württemberg nach einer Verhaftung spätestens am Ende des nächsten Tages frei oder er wird einem "Haftrichter" (auch "Ermittlungsrichter" genannt) vorgeführt, erklärt ein SWR-Rechtsexperte. Das ist aber nicht der Richter, der später den Prozess durchführt und am Schluss das Urteil spricht.

Der Haftrichter entscheidet, ob ein Haftbefehl erlassen wird, also ob der Tatverdächtige in Untersuchungshaft (U-Haft) muss. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein dringender Verdacht besteht, dass eine Person ein Verbrechen begangen hat. Auch ob Fluchtgefahr besteht oder wenn man befürchtet, dass ein Tatverdächtiger Zeugen einschüchtern könnte, spielt dabei eine Rolle.

Wenn ein Tatverdächtiger psychische Probleme hat, kann ein Haftrichter anordnen, dass die Person in einer Klinik untergebracht wird, solange die Ermittlungen laufen. Bei einer U-Haft muss der Tatverdächtige in ein Gefängnis. Aber noch getrennt von dem Gefängnis, in dem Verurteilte ihre Strafe absitzen. Während der U-Haft sammelt die Staatsanwaltschaft Beweise und erhebt dann eine Anklage. Erst wenn dann ein Prozess stattfindet, kann jemand zu einer (Haft-)Strafe verurteilt werden. Im Fall des 51-Jährigen in Böblingen kann es bis zu einem Prozess also noch dauern. Draußen frei herumlaufen kann er in der Zeit aber nicht.

Aussage 3: Die Retter bekommen Anzeige wegen Körperverletzung

Das stimmt nicht. Die Kriminalpolizei Ludwigsburg teilte mit, dass es keine Anzeige gegen die Retter aus Böblingen gibt, weil sie den Tatverdächtigen festgehalten haben. In anderen Fällen kam so etwas schon mal vor, dass ein Tatverdächtiger die Menschen, die ihn aufgehalten haben, wegen Körperverletzung angezeigt hat. In diesem Fall war es bisher nicht so. Selbst wenn so etwas passiert, wird ein Verfahren meistens eingestellt, sagt die Polizei. Denn es handelt sich zum Beispiel um Nothilfe.

Aussage 4: Es wurden zwei Leben gerettet

Das stimmt halb. Anfangs kursierte in vielen Chatgruppen die Nachricht, dass zwei Kinder entführt werden sollten. Der Tatverdächtige hat wohl auch zwei Jungen angesprochen, die zusammen unterwegs waren. Dann hat er aber nur einen in sein Auto gezogen, der andere konnte wegrennen und Hilfe holen. Die Bauarbeiter haben also auch nur einen Jungen aus dem Auto befreit, aber durch das Festhalten des Mannes so zusagen zwei Kinder beschützt.

Aussage 5: Der Fall hat etwas mit Donaueschingen zu tun

Das ist noch unklar. Die zuständigen Polizeipräsidien schauen sich die beiden Fälle aktuell an, arbeiten zusammen und überprüfen, ob es da einen Zusammenhang gibt.

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Warum sagen Medien "mutmaßlicher Täter" und nicht bloß "Täter"?

Dies liegt an der Unschuldsvermutung: Diese gilt für jeden Menschen so lange, bis er oder sie wirklich vor einem Gericht von einem Richter verurteilt wurde.

Das bedeutet: Selbst wenn eine Person mit einem Messer in der Hand neben einer Leiche sitzen würde und es völlig offensichtlich scheint, dass diese Person die Tat begangen hat, wird die Person nicht vorverurteilt. Das Urteil ist Sache des Gerichts. Deshalb schreiben Medien "Tatverdächtiger", "mutmaßlicher Täter" oder vage Formulierungen wie: "Er soll dies oder das getan haben".

Polizei: Fake News und Gerüchte beim Teilen verhindern

Wie bei dem Flüsterspiel "Stille Post" können manchmal Informationen falsch weitergegeben werden - besonders wenn es so ein emotionales Thema ist wie eine versuchte Entführung. Deswegen appelliert die Polizei, immer wieder Informationen zu prüfen, auf die Meldungen von vertrauenswürdigen Medien oder der Polizei zu warten und andere auf falsche Infos hinzuweisen. "Lieber zweimal hinschauen und nicht sofort weiterteilen", sagt eine Polizeisprecherin aus Ludwigsburg.

Außerdem gilt auch für Tatverdächtige der Schutz des Persönlichkeitsrechts: Personen sollten auf geteilten Bildern also nicht erkennbar sein, beziehungsweise die Bilder sollten dann nicht geteilt werden. Die Beamten warnen ausdrücklich davor, Verdachtsfälle über die sozialen Netzwerke zu melden, sondern immer bei der Polizei.

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