Seit Monaten ist bekannt, dass das Milliardenloch im Bundeshaushalt auch die Bahn trifft. Noch ist unklar, wie genau die Bahn das Defizit einsparen möchte. Klar ist aber: Es könnte Projekte im Zusammenhang mit Stuttgart 21 treffen. "Der Spiegel" berichtet von einem neuen Brandbrief des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne). Darin fordert er demnach von der Deutschen Bahn eine Zusage, dass der komplette Ausbau des Digitalen Bahnknotens Stuttgart erfolgen soll. Und auch Experten sagen: Dieser komplette Ausbau inklusive der sogenannten dritten Ausbaustufe sei dringend notwendig, damit Stuttgart 21 überhaupt die Vorteile hat, die immer angepriesen wurden.
Das hat der Digitale Knoten Stuttgart mit S21 zu tun
Der Digitale Knoten soll dafür sorgen, dass der Bahnbetrieb in Stuttgart zuverlässiger und weniger störanfällig läuft. Zwar ist der digitale Ausbau innerhalb Stuttgarts laut Bahn durch das Projekt Stuttgart 21 abgedeckt und gilt daher als gesichert. Aber der Ausbau über Stuttgarts Stadtgrenzen hinaus - die sogenannte dritte Ausbaustufe - wackelt.
Stuttgart 21 befand sich schon mitten im Bau, als 2019 die Projektpartner die finale Entscheidung trafen, den neuen Stuttgarter Bahnknoten nicht mit der herkömmlichen Signaltechnik auszustatten. Stattdessen soll direkt und ausschließlich das neue, modernere Sicherungssystem European Train Control System (ETCS) eingebaut werden. Dieses System soll den Eisenbahnverkehr in Europa vereinheitlichen, vereinfachen, wartungsärmer und weniger störanfällig machen. Das Projekt "Digitaler Knoten Stuttgart" war damit geboren.
Dieser Film zeigt, wie das European Train Control System (ETCS) funktioniert und welche Vorteile das System haben soll:
Digitale Technik im Kern von Stuttgart 21
Der Ausbau der digitalen Technik wird in Stuttgart in drei Abschnitte unterteilt. Die Abschnitte (auch Bausteine genannt) eins und zwei beinhalten das Verbauen der digitalen Technik im Kern von Stuttgart 21, also primär im neuen Tunnelsystem und dem Tiefbahnhof. Sowohl die Bahn als auch die Politik waren sich darin einig, dass ETCS aber nur dann sinnvoll ist, wenn es mit der dritten Ausbaustufe auch in der gesamten Region Stuttgart ausgebaut wird, also bis zu den äußeren Ausläufern des S-Bahn-Netzes. Diese dritte Ausbaustufe ist aber ein eigenständiges Projekt, das offiziell nicht zu Stuttgart 21 gehört und daher eigenständig finanziert werden muss.
Leister: Eine Region, zwei Systeme - das könnte Chaos verursachen
Wird die dritte Ausbaustufe vorerst gestoppt? "Deutschland spart dann an seiner Zukunft", sagt Hans Leister. Er ist ehemaliger Bahnmanager und arbeitet seit Jahren als Berater im Schienenverkehr. Sein Hauptthema: Wie sieht die Bahn der Zukunft aus? Dabei spielt laut Leister die Digitalisierung der Bahn-Infrastruktur eine wichtige Rolle. "Diese Diskussion, hier jetzt einzusparen, ist völlig daneben", sagt er dem SWR. Die dritte Ausbaustufe des digitalen Knotens in Stuttgart sei dringend notwendig.
Kosten von 4,5 auf 11,5 Milliarden Euro gestiegen Urteil: Bahn muss Mehrkosten von Stuttgart 21 alleine tragen
Wer trägt die Mehrkosten von Stuttgart 21? Darüber streiten die Projektpartner seit einem Jahr vor Gericht. Das Urteil sieht die Bahn in der Pflicht. Doch endgültig ist das noch nicht.
Würde die Ausbaustufe nicht umgesetzt, hätte das laut Leister vor allem eine Folge: "Man würde zwei Systeme in einem Bahnnetz betreiben." Man könne sich das so vorstellen: Die Züge im Stuttgarter Netz bräuchten zwei Computer, die aber verschiedene Betriebssysteme hätten. Das neue System ETCS und das alte System - die bisherige Signalsicherungstechnik PZB (Punktuelle Zugbeeinflussung). Und das alte System, das in die Jahre gekommene ist und immer fehleranfälliger wird, müsste auf unbestimmte Zeit weiterhin erhalten, gewartet und instand gesetzt werden.
Durch S21 soll die Störanfälligkeit sinken
Aber ein Parallelbetrieb hätte noch weitere Folgen: "Die beiden Betriebssysteme würden sich immer wieder gegenseitig blockieren", erklärt Leister weiter. Die Störanfälligkeit, ein Netz mit zwei Systemen zu betreiben, sei also größer, als wenn komplett auf ein System umgestellt wird. Dabei soll gerade durch Stuttgart 21 die Störanfälligkeit sinken. Darauf beharrt auch Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne): "Die Digitalisierung soll ja gerade die störanfällige und völlig veraltete herkömmliche Signaltechnik ersetzen und das Netz leistungsfähiger und zuverlässiger machen", sagte er bereits im Februar dem SWR.
S-Bahn soll nach Horb verlängert werden Gäubahn und Pfaffensteigtunnel: Wie geht es weiter?
Die Kappung der Gäubahn soll 2026 erfolgen. Das Verkehrsangebot auf der restlichen Gäubahn soll dann verbessert werden. Doch eine Frage bleibt: Wird der Pfaffensteigtunnel jemals kommen?
Streit um Frage, ob Finanzierung gesichert ist
Bereits damals versuchte Michael Theurer (FDP), Staatssekretär beim Bundesministerium in Berlin, zu beruhigen: "Die Finanzierung des Digitalen Knotens Stuttgart ist gesichert. Die Finanzierungsvereinbarungen für alle drei Baustufen sind unterzeichnet und der Bund stellt die Mittel im vereinbarten Umfang zur Verfügung." Doch so gesichert sieht wiederum der baden-württembergische Verkehrsminister die Situation offenbar nicht, wie der jüngste "SPIEGEL"-Bericht nahelegt.
Ex-Bahnmanager: BW erhielt durch Stuttgart 21 schon viel Geld
Das fehlende Geld zwingt die Bahn zu einer Priorisierung ihrer Baumaßnahmen. Also sollen vorerst die Projekte umgesetzt werden, die dringend notwendig sind. Das Problem ist: "Auch wenn der Digitale Knoten nicht komplett ausgebaut wird, ist ein Bahnbetrieb nach wie vor möglich", erklärt Hans Leister. Weil es theoretisch also auch ohne diese Ausbaustufe geht, könnte nun wegen des Sparzwangs der Beschluss gefasst werden, den finalen Ausbau vorerst nicht durchzuführen.
Eröffnung von Stuttgart 21 wackelt S21: Kopfbahnhof bleibt 2026 in Betrieb - OB drückt wegen Immobilienprojekten aufs Tempo
Stuttgart 21 wird Ende 2025 höchstens teilweise in Betrieb gehen können - wenn überhaupt. Klar ist jetzt auch: Der Kopfbahnhof wird laut Bahn auch ab Ende 2025 weiter genutzt werden.
Ein anderer ehemaliger Bahnmanager, der nicht namentlich genannt werden möchte, erklärte darüber hinaus dem SWR: "Stuttgart ist ja nicht das Drehkreuz in der Eisenbahninfrastruktur von Deutschland. Frankfurt und Hamburg sind da viel zentraler und wichtiger." Daher glaubt er, dass die Neubauprojekte dort am ehesten Chancen haben, realisiert zu werden. "Durch Stuttgart 21 hat Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren schon viele finanzielle Mittel erhalten." Fraglich also, ob das noch einmal passiert und andere Landesverkehrsminister in Deutschland das noch einmal zulassen würden.