Das Großprojekt Stuttgart 21 kostet Milliarden und strapaziert die Nerven von Bahnreisenden. Da ließen es sich viele nicht entgehen, mal zu gucken, wie es eigentlich mit den Bauarbeiten vorangeht und eines Tages aussehen könnte am zukünftigen Stuttgarter Hauptbahnhof. Über das Osterwochenende hatte der Verein Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V. zum achten Mal seit Baubeginn dazu eingeladen und erreichte mit 115.000 Besucherinnen und Besuchern die bisherige Bestmarke, wie der Verein am Montag mitteilte. Im vergangenen Jahr waren rund 90.000 Menschen gekommen.
Der Zuspruch zum Projekt unter den Besucherinnen und Besuchern, die aus ganz Baden-Württemberg angereist waren, sei überwältigend gewesen, resümiert Vereinsvorsitzender Bernhard Bauer. Das positive Feedback motiviere nochmals alle Beteiligten, die gesamte Kraft in eine baldige Fertigstellung zu stecken.
Auch S21-Kritiker erfreut über hohes Besucherinteresse
Doch es gab nicht nur positive Stimmen vor Ort. Auch das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 war auf der Baustelle vertreten. Zu wenig habe sich im Bonatzbau getan, die Kelchstützen im Tiefbahnhof seien mangelhaft gebaut, so die Kritiker. Ihre Bilanz: Besucherinnen und Besucher hätten deutlich interessierter auf ihre Kritik am Großprojekt reagiert als in den Jahren zuvor. Auch die Infofahrten mit dem historischen Schienenbus Roter Flitzer entlang der von Abkopplung bedrohten Gäubahnstrecke hätten am Ostermontag großen Anklang gefunden.
Bei einer nicht repräsentativen SWR-Umfrage unter den Besucherinnen und Besuchern am Samstag waren dementsprechend die unterschiedlichsten Meinungen vertreten.
Genervt von S21-Baustelle - und trotzdem von Projekt überzeugt
Eigentlich ist Günther Schunn von der derzeitigen Baustelle am Stuttgarter Hauptbahnhof oft genervt. Denn für ihn bedeutet sie, dass er einen langen Fußweg von der S-Bahn zu den Zuggleisen gehen muss. "Ich komme mit der S1 im Bahnhof an und laufe dann eine Viertelstunde", berichtet er. Trotzdem ist er gerne zu den "Tagen der offenen Baustelle" gekommen, denn er sei schon immer ein Befürworter des Projekts S21 gewesen, sagt er.
"Ich finde es ein tolles Projekt für Stuttgart - auch, um den Kessel zu entlasten", sagt Schunn über Stuttgart 21. Es werde Raum für den zunehmenden Autoverkehr geschaffen. Die hitzigen Diskussionen habe er verfolgt, als er gerade in Barcelona lebte. Die Stadt verfüge bereits über eine unterirdische Schieneninfrastruktur. Dass dieser "Switch", wie er sagt, zwischen der S-Bahn und den Zügen auch in Stuttgart entstehen soll, habe ihn schon damals begeistert.
Die Staus in Stuttgart seien ein weiterer Grund gewesen, berichtet er: "Man kann entweder die Autos oder die Züge unter die Erde verlegen - und da die Züge auf Schienen verlaufen, ist es vermutlich sicherer, wenn sie da durchfahren". Dass so viele Besucherinnen und Besucher am Samstag zum "Tag der offenen Baustelle" gekommen sind, habe ihn überrascht, die Veranstaltung habe ihm jedenfalls gut gefallen.
S21-Anhängerin zweifelte am Großprojekt
Auch Brigitta Bauer aus Stuttgart-Mühlhausen ist gekommen, doch sie findet die Baustellenbesichtigung über Ostern schlecht organisiert. Zu wenige Zugänge, kritisiert sie - und bis man die Treppen nach oben oder unten komme, dauere es ewig. Doch die neue Bahnhofshalle finde sie toll, sagt sie.
Sie hatte zwischenzeitlich Zweifel am Sinn von S21. "Ich war ein begeisterter Anhänger dieses Projekts und zwischendrin habe ich gedacht: 'Naja, ob das wirklich nötig war?'". Doch die Zweifel seien verflogen. Sie freue ich sich drauf, dass der erste Zug in den Bahnhof einrollt und ihn wieder verlässt. Die immer wieder gestiegenen Kosten für S21 sieht sie nicht als Argument gegen das Projekt - das sei schließlich bei einem Hausbau genauso zu erwarten, findet Bauer.
Philipp Glanz fände Fahrten von Budapest nach Paris toll
"Mal schauen, was sich in letzter Zeit auf der Baustelle getan hat", sagt Philipp Glanz. Denn er war schon in den vergangenen Jahren beim "Tag der offenen Baustelle" zu Gast. "Letztes Mal war ja noch ganz viel offen nach oben hin und sie haben diese Tulpen gebastelt - da ist also viel weitergegangen seit dem letzten Jahr". Er stammt aus Herrenberg (Kreis Böblingen), lebt aber seit 20 Jahren in Wien.
Stuttgart 21 findet er toll. "Ich freue mich auf den technischen Fortschritt und die Möglichkeiten, die sich vielleicht auch im innereuropäischen Reiseverkehr ermöglichen", sagt Glanz. "Wenn es tatsächlich mal von Budapest nach Paris in einem durchgeht ohne umzusteigen und umzudrehen, wäre das schön", sagt er über die geplante Anbindung an die sogenannte Magistrale.
Kritik an den hohen Kosten für S21 stimmt er nicht zu. "Ich finde es gerechtfertigt. Ja, es wird immer teurer, aber dass es von Anfang an nicht so kalkuliert war wie es dann zum Schluss werden wird, ist ja, glaube ich, bei jedem Großprojekt heutzutage so." Rückblickend findet er, bei dem Bauprojekt sei zuviel Rücksicht auf den streng geschützten Juchtenkäfer genommen worden. "Solche Sachen solchen Projekten in den Weg zu stellen - ich finde es unnötig", sagt Glanz.
Baustelle am Stuttgarter Hauptbahnhof: "Ein sehr cooler Ort"
Ian Gilbert hat schon mal in den Medien Informationen über Stuttgart 21 aufgeschnappt - als seine Eltern die Tagesschau sahen, erzählt der Neunjährige aus Stuttgart-Bad Cannstatt. Er wisse zum Beispiel, dass hier ein unterirdischer Durchgangsbahnhof entstehen soll. "Wir waren bei der Baustelle unten. Und wir waren auch bei einem Wagen von der Tunnelrettung, der kann in beide Richtungen fahren", berichtet er begeistert. "Das ist ein sehr cooler Ort", sagt er über die Baustelle.
Für seine Familie sei der Zugverkehr wichtig, berichtet Ians Mutter Simone Gilbert. Denn die Familie habe kein Auto und fahre gerne mit dem Zug in den Urlaub. "Ich hoffe, dass hier mal Züge fahren, bis mein Sohn Abitur hat", sagt sie lachend.