Drei Jahre Stuttgarter "Krawallnacht": In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 zogen 400 bis 500 Jugendliche und junge Menschen randalierend durch die Innenstadt, schlugen Scheiben ein und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Geschäfte wurden geplündert, Rettungskräfte angegriffen, Polizeibeamtinnen und -beamte verletzt.
Bundesweite Schlagzeilen und Diskussionen
25 Personen wurden noch in der Tatnacht festgenommen. In der Folge wurde zur Strafverfolgung eine 111-köpfige Ermittlungsgruppe gegründet. Verurteilt wurden seither wenige, viele mutmaßliche Täter sind bis jetzt nicht gefasst.
Die "Krawallnacht" hatte bundesweit für Schlagzeilen und Diskussionen gesorgt: War die Pandemie mit schuld, weil Jugendliche frustriert waren und nicht wussten, wohin sie sollen? Gibt es strukturelle Probleme mit Migration und Integration? Seitdem versucht die Stadt Stuttgart mit diversen Maßnahmen, solchen Ausschreitungen vorzubeugen: etwa mit Kameraüberwachung, einer Waffenverbotszone in der Innenstadt, dem Ausbau der Jugendarbeit, Sportgeräten und -Veranstaltungen im öffentlichen Raum.
Unterhaltende Events und hohe Polizeipräsenz
So gab es am vergangenen Wochenende etwa ein Volleyball-Turnier auf dem Schlossplatz. Aber spricht das die Jugendlichen in Stuttgart überhaupt an? Ja, meint der 19-jährige Aniss Alik. So ein sportliches Event könne seiner Meinung nach Konflikten vorbeugen: Wenn hier jetzt auf dem Schlossplatz, einem der Haupt-Tatorte der "Krawallnacht", etwas stattfinde, "dann hilft das eigentlich schon. Die Leute gucken alle da hin und werden unterhalten."
Viel Unterhaltung bietet Stuttgart auch in den Augen von vier jungen Tübingerinnen. Wie einige andere vom SWR angesprochene junge Erwachsene auf dem Schlossplatz haben auch sie keinerlei Angst vor erneuten Ausschreitungen und Randale. Besonders die hohe Polizeipräsenz nennen viele junge Erwachsene auf dem Schlossplatz als Faktor, der Sicherheit vermittelt.
Ganz wohl sei ihnen in Stuttgarts Innenstadt dennoch nicht immer, sagt Laura Glennemeier: "Wir als Mädelsgruppe haben festgestellt, dass wir uns hier im Vergleich zu einer Kleinstadt weniger sicher fühlen."
Jugendliche: "So etwas könnte immer wieder passieren"
Sabrina Belhajammar hingegen findet, das Angebot für Jugendliche in Stuttgart könnte besser sein. Etwa auch bei solchen Events wie dem Volleyball-Turnier auf dem Schlossplatz. Die Musik könnte an den Geschmack der Jugendlichen angepasst werden, sagt Belhajammar. Deutsch-Rap zum Beispiel oder Musik aus anderen Kulturen, "weil Ausländer es immer etwas schwierig haben in Deutschland. Überall, nicht nur in Stuttgart. Ich finde, man sollte den Ausländern auch ein bisschen entgegenkommen." Denn ihrer Wahrnehmung nach könnte sich eine Krawallnacht durchaus wiederholen. "Es gibt immer Menschen, denen das Leben hier nicht passt und die einfach hier sind, um eins reinzuwürgen."
"Zu wenige Plätze für Jugendliche im öffentlichen Raum"
Auch Zeko, der sich gerade auf dem Schlossplatz aufhält, hält eine "Krawallnacht" 2.0 für möglich. "Heutzutage dreht alles ein bisschen ab, es gibt so viele Probleme." Zeko findet zwar, dass die Stadt Jugendlichen bereits viel anbiete, aber zwei Dinge gebe es zu wenig: Kioske und öffentliche Plätze, wo Jugendliche einfach nur Spaß haben können.
Mobile Jugendarbeit: Es hat sich sehr viel verbessert
Letzteres sieht auch Simon Fregin als großes Problem, obwohl der öffentliche Raum seit der "Krawallnacht" besser für Jugendliche bespielt wird. Fregin ist Projektleiter der Mobilen Jugendarbeit Innenstadt/Europaviertel. "Wir merken tatsächlich immer wieder, dass diese Stadt sehr beengt ist. Es gibt zu wenig öffentliche Plätze, an denen man insbesondere nachts mal lauter sein darf", sagt er. Zudem seien Inflation und Armut ein viel drängenderes Thema geworden: Wo können Jugendliche hin, ohne konsumieren zu müssen, und wie erfahren sie von Angeboten?
Fregin betont aber auch: "Es ist ein riesiger Prozess, in dem wir da immer noch sind. Dass junge Menschen selbst Verantwortung übernehmen können, ist ein Gewicht, auf das wir setzen müssen. Ich glaube, wir haben gemeinsam diese Stadt in ganz vielen Punkten zu etwas ganz arg Positivem verändert. Es gibt viele Angebote für junge Menschen, es gibt Mitmach-Aktionen, es gibt viel Beteiligung." Wichtig sei, mit den Jugendlichen zusammen etwas zu entwickeln. Aber nicht nur sichtbar und niedrigschwellig im öffentlichen Raum, sondern Rückzugsorte zu bieten, sei genauso wichtig.
Stadt Stuttgart plant mehr niedrigschwellige Sport-Angebote
Ordnungsbürgermeister Clemens Maier sieht in der schnellen Aufstockung der mobilen Jugendarbeit einen zentralen Grund, dass sich die Situation in der Innenstadt nach der "Krawallnacht" recht schnell wieder entspannt habe. Durch die "Krawallnacht" sei aber auch klar geworden, dass die Stadt mit der Jugendarbeit reden müsse, auch viel mehr mit der Polizei. Maiers Ansicht nach gibt es bereits viele Angebote für Jugendliche im öffentlichen Raum ohne Konsum-Zwang. Ein nächster Schritt in der Jugendarbeit sollen Sport-Angebote in den Abendstunden sein: "Wir glauben, Sport verbindet und spricht viele an, auch über Sprachgrenzen hinweg."
Waffenverbotszone und Videoüberwachung am Wochenende
Zwei andere Maßnahmen aus dem Sicherheitspaket sieht Maier ebenfalls als Erfolg in der Präventionsarbeit an: die Videoüberwachung und eine Waffenverbotszone in der Stuttgarter Innenstadt an den Wochenenden.
Die Waffenverbotszone gilt erst seit diesem Frühjahr. Die Stadt Stuttgart ist damit die erste Stadt in Baden-Württemberg mit einer Waffenverbotszone in den Nächten auf Samstag und Sonntag. Bei Verstößen drohen Geldstrafen bis zu 10.000 Euro. Allerdings kontrolliert die Polizei Menschen in dem definierten Gebiet nicht gezielt auf die Einhaltung des Verbots.
Unabhängig von der "Krawallnacht" und den Einzelvorhaben der Sicherheitspartnerschaft spielte die Schaffung einer Waffenverbotszone aber auch noch eine Rolle in der Landespolitik. Das Vorhaben, messerfreie Zonen zu schaffen, geht auf das baden-württembergische Innenministerium zurück. Das Ressort von Minister Thomas Strobl (CDU) wollte nach dem tödlichen Messer-Angriff auf einen 22-Jährigen in Stuttgart-Feuerbach im Oktober 2021, bei dem dieser in einen Hinterhalt gelockt und von vier Männern attackiert wurde, solche Taten erschweren. Es sollte Kommunen erleichtert werden, gegen Messerangriffe präventiv vorgehen zu können. Eine entsprechende Kabinettsvorlage für eine Verordnung wurde daher im Sommer 2022 abgestimmt und auf den Weg gebracht.
Zahl der Messerangriffe in BW war zuletzt gestiegen
"Das ist eine sinnvolle präventive Maßnahme", so Ordnungsbürgermeister Maier. "Wir wollen einfach, dass keine Messer mit in die Innenstadt gebracht werden. Denn jedes Messer stellt eine potenzielle Gefahr dar." Wer ein Messer mit sich führe, benutze es tendenziell eben auch. Laut Innenministerium war in Baden-Württemberg bei jedem zehnten der 15.000 Fälle von Gewaltkriminalität im Jahr 2021 ein Messer eingesetzt. Fast 1.200 Menschen wurden dabei verletzt, 24 starben. Im Jahr 2022 sind bei Messerangriffen in Baden-Württemberg 19 Menschen tödlich verletzt worden. Die Behörden erfassten insgesamt 2.727 Angriffe mit einem Messer und dabei mehr als 3.300 Opfer. Das geht aus der Kriminalstatistik 2022 hervor.
Stadt Stuttgart: "Videobeobachtung bringt allen mehr Sicherheit"
Eine andere gute präventive Maßnahme ist für die Stadt Stuttgart die Videoüberwachung. Erst Mitte Mai beschloss der Stuttgarter Gemeinderat, diese in der Innenstadt fortzusetzen. Im Frühsommer 2022 hatte eine Testphase begonnen. Die Videoüberwachung findet an zentralen Orten in der Innenstadt statt. Inzwischen seien 30 Kameras an acht Standorten installiert. Alle Videoaufnahmen würden nach 72 Stunden gelöscht, soweit sie nicht im Einzelfall als polizeilich relevante Beweismittel benötigt würden.
Die Videoüberwachung richtete sich zunächst lediglich auf Teile des Stuttgarter Schlossplatzes und des Oberen Schlossgartens, da dies die Orte gewesen waren, an denen sich in der "Krawallnacht" die späteren Straftäter versammelt haben sollen. Hinzu kamen Planie, Königsstraße und der Kleine Schlossplatz.