Weil jedes Jahr bundesweit rund 1.800 Paketzustellerinnen und -zusteller von Hunden angegriffen werden, schult die Deutsche Post ihre Mitarbeitenden im Umgang mit den Vierbeinern. In Göppingen üben rund 20 von ihnen, wie sie auf einen Hundeangriff richtig reagieren können.
Wichtigste Regel für die Zusteller: Abstand halten
Trainingssituation: Polizei-Schäferhund "Roggo" sieht eigentlich ganz lieb aus - bis die Frau in Gelb mit dem Paket vor ihm steht. Auf Kommando soll er den Ball zwischen Janine Schorstädts Beinen klauen. Die Aufgabe der Zustellerin: Das Paket nutzen, um "Roggo" davon abzuhalten. Zum Glück ist das nur eine Übung, bei der der Hund nicht beißt.
Um in realen Situationen richtig zu reagieren, trainiert Michael Deißler die rund 20 Zustellerinnen und Zusteller. Mehr als 30 Jahre lang hat der ehemalige Polizist Polizeihunde ausgebildet. Er hilft den Zustellern dabei, "die Chance auf einen Unfall zu minimieren". Auf Null kann er die Wahrscheinlichkeit nicht drücken, so Deißler. Aber zumindest könne er wichtige Tipps geben. Die wichtigste Regel: Abstand halten und sich gar nicht erst in Gefahr bringen.
Keine Chance gegen aggressiven Hund
Janine Schorstädt weiß, wie sich eine solche Attacke anfühlt. Seit 2016 arbeitet sie für die Deutsche Post und fährt Pakete rund um Göppingen aus. Im April wurde sie dabei angegriffen. "Es war einfach schlimm, was anderes kann man dazu nicht sagen", erinnert sich die Postmitarbeiterin. Sie habe damals an einem Haus geklingelt, doch niemand habe geöffnet. Darum habe sie sich entschieden, das Paket am vereinbarten Ablageort zu hinterlassen. Dann hätte sich die Haustür doch geöffnet, "ab da war alles zu spät", sagt die Zustellerin.
Mehrmals sei sie gebissen worden, der Hund habe sie immer wieder umgeworfen. Janine Schorstädt habe keine Chance gehabt: "Irgendwann habe ich gerufen: 'Nehmt doch den Hund weg, tut doch irgendwas'". Doch die Besitzer seien selbst vollkommen verängstigt gewesen. Irgendwann konnte Janine Schorstädt sich befreien. Schmerzen habe sie bis heute.
Ehemaliger Polizist: Zusteller müssen ihre Rechte wahrnehmen
Trainer Deißler erklärt, dass Postboten die Zustellung auch verweigern dürfen, wenn die Gefahr eines Angriffs bestehe. In diesen Momenten sollte man Abstand wahren und die Hundehalter aus sicherer Entfernung ansprechen. Als Zusteller habe man außerdem das Recht, die Bewohner dazu aufzufordern, den Briefkasten oder den Ablageort so zu positionieren, dass der Hund keinen Zugriff habe.
Auch dürften Zusteller einen höheren Zaun einfordern, sollte der existierende für den Hund keine Barriere darstellen, betont der Hundetrainer. Würden Hundehalter dem dann nicht nachkommen, könne sogar das Ordnungsamt eingeschaltet werden. Und: Bei einem Angriff sofort die Polizei rufen, denn ein Hundeangriff sei eine fahrlässige Körperverletzung, erklärt der ehemalige Polizist.
Das "Post-Zusteller-Syndrom"
Marc Deißler glaubt, dass selbst die beste Vorbereitung der betroffenen Janine Schorstädt damals nicht geholfen hätte. Stattdessen zeige der Fall, dass Hundehalter lernen müssten, ihren Hund richtig zu "lesen". Denn laut Deißler würden viele Hunde gerade auf Postboten aggressiv reagieren, selbst wenn sie es normalerweise nicht sind.
"Meiner Meinung nach liegt das am 'Post-Zusteller-Syndrom'", sagt der Hundetrainer. Aus Sicht der Hunde dringt der Postbote immer wieder in deren Territorium ein, verschwinde aber wieder, nachdem der Hund ihn angebellt oder angegriffen habe. Die Hundehalter würden sich dabei nichts weiter denken, so Deißler. Doch der Hund entwickle dabei nach und nach eine Aggression gegen den Boten, "die der Hund dann auch voll ausleben möchte", wie der ehemalige Polizist aus eigener Erfahrung weiß. Selbst "Roggo", sein rund sechs Monate alter Schäferhund, gehe mittlerweile die Postboten an.
Deutsche Post: Freiwillige Schulungen und Tetanus-Impfungen
Und was macht die Deutsche Post, um ihre Mitarbeitenden künftig besser zu schützen? In Baden-Württemberg will sie die Zustellerinnen und Zusteller noch mehr schulen, erklärt Pressesprecher Marc Mombauer. Bisher sind die Schulungen freiwillig, dafür aber bezahlt. Die Hundeattacken bedeuten auch Personalausfälle. Denn viele der angegriffenen Zusteller können danach eine Zeit lang nicht mehr arbeiten. In Baden-Württemberg alleine sind dieses Jahr 220 Zusteller angegriffen worden, so Mombauer. Zum Schutz bietet die Deutsche Post ihren Mitarbeitenden außerdem eine freiwillige Tetanus-Impfung an. Darüber hinaus gäbe es in den Paketscannern eine integrierte Hundekarte, die die Zusteller auf gefährliche Hunde hinweise.
Angegriffene Postbotin arbeitet wieder
Janine Schorstädt begrüßt, dass sich die Deutsche Post um die Mitarbeitenden kümmere. Seit dem Vorfall liefert sie weiterhin Pakete aus, auch dort wo sie vor einem halben Jahr attackiert wurde. Seit dem Hundeangriff hätten die Besitzer einen neuen Zaun aufgebaut und der Ablageort sei jetzt außerhalb des Grundstücks. Trotzdem bekomme sie heute noch Herzrasen, wenn sie an den Briefkasten gehe. Darum sei sie froh, dass ihre Kolleginnen und Kollegen durch die Schulung auf die reale Gefahr eines Hundeangriffs vorbereitet werden würden.