Menschen, die zur Ausländerbehörde in Stuttgart wollen, stehen Schlange bis auf die Eberhardstraße.

Stadt Stuttgart: "Braucht Zeit, bis die Maßnahmen greifen"

Stuttgart: Probleme bei Ausländerbehörde werden erst einmal bleiben

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Werner Trefz
Werner Trefz
Kerstin Rudat
Kerstin Rudat

Die Kritik an der Situation bei der Stuttgarter Ausländerbehörde reißt nicht ab. Draußen werden die Schlangen immer länger, nicht wenige Menschen campieren nachts vor Ort. Die Stadt Stuttgart bittet weiterhin um Geduld. Ein Vor-Ort-Besuch.

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Draußen lange Schlangen und verzweifelte Menschen, drinnen unbesetzte Stellen, überquellende Mail-Postfächer, tausende unbearbeitete Fachverfahren - die Situation bei der Stuttgarter Ausländerbehörde wird immer dramatischer. Jetzt äußert sich die Stadt Stuttgart zu den Zuständen.

Dem SWR ist ein Fall bekannt, bei dem ein Mann, der zuvor hier gearbeitet hat, ausreisen wollte, nachdem er ewig keine Termine bei der Behörde bekommen hat und alles eng wurde. Weil sein Visum just zu dem Zeitpunkt einen Tag abgelaufen war, wurde der Mann am Flughafen aufgehalten und musste noch ein Bußgeld zahlen. Muss alles so kurzfristig sein? Warum bekommen die Menschen bis eine Woche vor Ablauf ihrer Aufenthaltsgenehmigung keinen Termin?

Stuttgarter Unternehmen sind in Sorge und warnen: "Wir verlieren dadurch Personal", sagt beispielsweise Mark Dominik Alscher, medizinischer Geschäftsführer des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart. 

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Stadt Stuttgart: "Ende des Jahres fehlen uns immer noch Leute"

Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) bittet um Verständnis. Das Problem habe verschiedene Ursachen. Es sei schwierig, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, sagt Maier. Zum einen sei da das Problem mit den hohen Mieten und Lebenshaltungskosten in der Landeshauptstadt beziehungsweise langen Pendel-Zeiten für Menschen aus dem Umland. Zum anderen sei das Ausländerrecht eine sehr komplizierte Angelegenheit, und nicht jeder fühle sich dazu berufen.

"Wir werben seit Jahresbeginn massiv auch über soziale Medien für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten und konnten seither schon neun neue Kolleginnen und Kollegen gewinnen. Bis zum Jahresende werden es 17 neue Mitarbeitende sein", erklärt Maier.

Maier: "Arbeitsprozesse aufsplitten ist effizienter"

Dann werden aber 20 Prozent der Stellen immer noch nicht besetzt sein - und 17 neue Mitarbeiter entlasteten zwar langfristig, dies sei aber im Hinblick auf die jetzigen Probleme keine schnelle Lösung. Denn die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten erst einmal eingearbeitet werden, räumt Maier ein.

Verbesserungen bei der Ausländerbehörde verspricht sich Maier von strukturellen Veränderungen: Man habe teilweise die Prozesse neu gegliedert. Das heißt beispielsweise, dass "nicht ein Sachbearbeiter von A bis Z alles zu einer Person bearbeiten muss, bloß weil er die Akte in der Hand hat. Wir wollen die Arbeitsprozesse stärker aufsplitten. Aushilfen können auch fachlich einfachere Arbeit machen", sagt der Ordnungsbürgermeister.

Handwerkskammer und IHK unterstützen und bündeln

Außerdem will die Stadt laut Maier ein Team speziell für die Thematik Arbeitgeber-Wechsel gründen. Denn hier seien die Auflagen für Aufenthaltsgenehmigungen relativ anspruchsvoll. Im Verfahren könnten Dinge standardisiert auch von Aushilfen aus anderen Bereichen des Hauses abgefragt werden.

Hilfe für die Ausländerbehörde genau bei diesem Zusammentragen von Unterlagen gibt es seit Anfang September von der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. Ein entsprechendes Abkommen mit der Stadt Stuttgart wurde Ende August unterzeichnet. Es beinhaltet, dass die Kammern ihre Mitglieder umfassend zum Thema Fachkräfteeinwanderung und beschleunigtes Fachkräfteverfahren beraten sowie bei der Zusammenstellung der erforderlichen Unterlagen unterstützen.

Sofern die Betriebe in Stuttgart ihren Sitz haben, übernehmen die Kammern außerdem die Weiterleitung an die Ausländerbehörde. Auch dadurch sollen die Verfahren beschleunigt werden. Die Idee ist jedoch nicht neu: Eine Task Force der Stadt Stuttgart zur Beschleunigung von Prozessen und zur Personalgewinnung gibt es insgesamt für die Bürgerbüros in Stuttgart bereits seit Sommer 2022, und seit dem Jahreswechsel hatte die Task Force sich auch der Ausländerbehörde angenommen.

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Stadt Stuttgart: "Digitalisierung ist ein größeres Projekt"

Ein Punkt in der Kritik an der Stadt Stuttgart ist immer wieder mangelnde Digitalisierung. Ordnungsbürgermeister Maier glaubt nicht, dass Digitalisierung helfen kann. Das sei ein komplexes Thema, sagt Maier. Grundsätzlich ginge es bei den Anträgen in vielen Aspekten nur persönlich, da müssten die Menschen einfach auf der Behörde erscheinen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stadtverwaltung noch keine elektronische Aktenführung hat. "Das ist ein größeres Projekt, das lässt sich nicht so leicht realisieren." Andere Dinge ließen sich aber vielleicht schneller verbessern. So fehlen immer noch Informationen und Hinweise in verschiedenen Sprachen, sagt Maier.

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Maier: "Menschen müssen auf die Verwaltung vertrauen"

Maier teilt nicht die Befürchtung, dass durch den Personalmangel bei der Stuttgarter Ausländerbehörde Menschen von Abschiebung oder Jobverlust bedroht sind. Die Menschen, die eine neue Aufenthaltsbescheinigung brauchen, würde die Stadt Stuttgart nach wie vor relativ kurzfristig bitten, zur Ausländerbehörde zu kommen, "weil wir so eine Bugwelle vor uns herschieben", so Maier. Den Antrag könne man ja formlos per E-Mail stellen, wenn die Abschiebung droht. "Auf die Frist kommt es aber auch gar nicht so an", sagt Maier. "Der Antrag reicht aus, um weiterhin legal hier sein zu können." Und er müsse auch den Arbeitgebern ausreichen.

Maier rät, man solle darauf vertrauen, dass der Antrag nach der Eingangsbestätigung bearbeitet wird und sich die Behörde wieder bei einem melde. Deswegen sollten Antragsteller auch davon absehen, mehrere Mails zu schreiben und immer wieder nachzufragen, weil sie dann die digitalen Kanäle für die verstopfen würden, die akute Nachfragen haben. Genauso sei es mit der langen Schlange vor der Tür: "Sicherlich muss sich nicht jeder anstellen, der da aktuell steht", so Maier.

Menschen sitzen auf Stühlen und stehen in der Schlange vor der Ausländerbehörde Stuttgart.
Viele haben sich in Stuttgart auf die lange Schlange vor der Ausländerbehörde eingerichtet und bringen neben ausreichend Getränken einen Stuhl mit.

Anwalt: In Mannheim läuft es besser

Engin Sanli ist Anwalt in Stuttgart unter anderem für Ausländer- und Asylrecht und kann über solche Aussagen nur den Kopf schütteln. Er hat viele Mandanten, die sich wegen Problemen mit der Arbeitserlaubnis und dem Aufenthaltsstatus an ihn wenden. Seine Fälle spielen in Stuttgart, aber auch Ludwigsburg, Esslingen oder Mannheim. Sanli sagt, mit der Mannheimer Ausländerbehörde laufe es sehr viel besser. Dort sei man sehr zuvorkommend und kundenfreundlich, mache auf fehlende Unterlagen oder Informationen aufmerksam.

"Ich habe den Eindruck, ein Sachbearbeiter, der einen Fall in der Hand hat, hat mehr Kontrolle über den Fall" - und dann gehe vieles einfach schneller. In der Vergangenheit musste er schon oft an das Regierungspräsidium Stuttgart als Aufsichtsbehörde herantreten, bis etwas passiert.

"Aber das ist ja auch keine dauerhafte Lösung", sagt Sanli. "In der Zwischenzeit sind die Daten veraltet, und wir fangen wieder von vorne an. Oder wir sind an der Grenze der Verlängerung der Arbeitserlaubnis und haben keinen Spielraum mehr. Dann ist der Job für meinen Mandanten weg." In Fällen, wo Menschen aus einer anderen deutschen Stadt nach Stuttgart kommen, würden auch Unterlagen fehlen, weil die elektronische Akte, die woanders schon Standard ist, für Stuttgart erst in Papier-Form übertragen werden muss - und dann beim Verschicken gerne mal was fehle oder verloren gehe. Klar, Klagen ginge noch. Aber auch das hält Sanli für kein gutes Mittel.

Notfalls wegen Untätigkeit klagen?

Was viele nämlich nicht wissen: Wer der Stadt Untätigkeit attestieren will, kann vor dem Verwaltungsgericht klagen - und damit die Verfahren gegebenenfalls beschleunigen. Im vergangenen Jahr waren dies 16, aktuell sind es 73 Fälle. Die Stadt Stuttgart bestätigte diese Zahlen. Untätigkeitsklagen waren schon immer ein signifikanter Anteil, der zwischen fünf und zehn Kammern beschäftigt hat, erklärt das Verwaltungsgericht auf SWR-Anfrage.

Immer schon sei die Ausländerbehörde in Stuttgart als weitaus größte Ausländerbehörde im Mittelpunkt. Wenn Fälle beim Stuttgarter Verwaltungsgericht landen, kann die Ausländerbehörde plötzlich schon mal schneller tätig werden. Allerdings erfordert es eben, sich einen Anwalt zu nehmen, entweder als Privatperson oder der potenzielle Arbeitgeber, sowie Zeit, Geld und Mut. Und bis das Gericht die Fälle aufnimmt, könne es bis zu einem Jahr dauern.

Kritik an Kampagne "the länd" - Was sagt die Landesregierung?

Baden-Württemberg braucht ausländische Fachkräfte. Nicht zuletzt deswegen gibt es die Kampagne "the länd". Benjamin Hermann, Leiter des Tech-Unternehmens zoi.tech, findet, diese stehe im krassen Gegensatz zur Realität. "Werbekampagnen wie 'the länd" nützen nichts, wenn man Leute nicht herkriegt", kritisiert er. Seine Firma schaffe es sehr gut, die Leute aus dem Ausland anzusprechen, aber dann lägen behördlich so viele Steine im Weg. "Die Politik hat sich von der Verwaltung entkoppelt und hat nicht im Blick, was Firmen wie meine brauchen", so Hermann.

Abgesehen davon, dass Prozesse nicht auf Englisch und nicht ausreichend digitalisiert seien. Das sei alles ein Standortnachteil – auch, wenn "the länd" Baden-Württemberg ansonsten attraktiv erscheinen lasse. Aber in Stuttgart stehe man im internationalen Wettbewerb. Die potenziellen Interessenten seien dann einfach weg. Und die Probleme sprächen sich schnell rum.

"the länd" sei eine Dachmarkenkampagne, entgegnet die stellvertretende Regierungssprecherin Caroline Blarr. "Sie kann als Kommunikationsinstrument nicht leisten, alle Hürden, die sich einer Fachkraft aus einem anderen Land stellen, aus dem Weg zu räumen. Hierfür sind auf Bundes-, Landes- sowie kommunaler Ebene viele Akteure verantwortlich." Die Kampagne ziele in erster Linie darauf, internationale Fachkräfte weltweit zu adressieren und den Standort Baden-Württemberg international sichtbar zu positionieren. "Diese Aufgabe erfüllt die Kampagne seit ihrem Start im Oktober 2021 zu unserer Zufriedenheit", sagt Blarr. Selbstverständlich sei das auch nicht in zwei Jahren erledigt, sondern erfordere immer neu Kreativität und Ideenreichtum.

Land plant zentrale Stelle zur Unterstützung der Ausländerbehörden

Blarr räumt jedoch ein, dass das Thema Fachkräftegewinnung - und damit auch die Probleme - die Landesregierung ressortübergreifend beschäftige. Deswegen möchte das Land Baden-Württemberg zur Unterstützung der lokalen Ausländerbehörden eine zentrale Stelle zur Fachkräfteeinwanderung einrichten. Diese solle vernetzen, bündeln und Know-How sichern. Das teilte die Migrationsministerin Marion Gentges (CDU) bereits im Juni mit. Die Verfahren beziehungsweise die Verfahrensdauer bei den 137 Ausländerbehörden des Landes würden demnach geprüft.

"Auf kommunaler Ebene muss sich jedoch sofort etwas ändern", gibt Blarr zu. Auch hierzu sei die Landesregierung mit den Kommunen im Gespräch. Digitalisierung und Bürokratieabbau bei immer neuen Aufgaben der Ausländerbehörden seien aber eine "Daueraufgabe".

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