Akten liegen auf einem Tisch in einem Büro.

Papierstau im Bürgerbüro

Warum die Verwaltungen in Baden-Württemberg noch immer drucken, faxen und stempeln

Stand
AUTOR/IN
Astrid Meisoll

Die Digitalisierung der Verwaltungen in BW läuft noch immer schleppend. Dabei sah sich das Land vor 30 Jahren in Sachen Technik in einer Vorreiterrolle. Was ist geschehen?

1995 klang die Zukunft vielversprechend: Eine Enquete-Kommission des Landtags in Baden-Württemberg träumte von Heimarbeitsplätzen, flexibler Arbeit, Fern-Unterricht und neuen Impulsen für die Wirtschaft. Der Landtag rühmt sich damals, das weltweit erste Parlament zu sein, das eine Enquetekommission einsetzt, um zu ergründen, welche Chancen und Risiken mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien einhergehen.

Vieles aus dem Bericht der Kommission ist wahr geworden, anderes nicht. Denn 2023, also knapp dreißig Jahre später, werden vor den Rathäusern und Bürgerämtern vieler Städte noch immer Wartemarken gezogen, die Menschen stehen teils stundenlang Schlange. Besonders in der Landeshauptstadt gibt es Probleme, an einen Termin zu kommen.

Ausgedrucktes wird gestempelt und dann wieder eingescannt

Die Bürgerbüros wie in Stuttgart arbeiten viel mit Papier, drucken Anträge aus, stempeln sie und scannen sie dann wieder ein. Mit anderen Behörden wird auch noch gefaxt. Bürgerinnen und Bürger bringen Passfotos mit, die sie ausdrucken, nur damit sie wieder eingescannt werden. Viel Verständnis bringen die Menschen, die in Stuttgart Schlange stehen, dafür nicht auf.

Experten nennen es einen "Medienbruch", wenn etwas, das vorher digital war, auf ein anderes Medium - Papier - wechselt. Medienbruchfrei geht kaum etwas im Land. Auch wegen der Notwendigkeit von Stempeln und Unterschriften. Die Ausnahme: Die digitale Baugenehmigung kommt seit 2023 in Gang, indem auch ein virtuelles Bauamt erprobt wird.

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Wie sieht Digitalisierung in BW aus?

Baden-Württemberg betreibt ein Portal, das theoretisch den Gang zum Bürgerbüro einmal ersetzen könnte: service-bw.de. Das ist Baden-Württembergs Weg, das Online-Zugangsgesetz (OZG) des Bundes umzusetzen. Alle Kommunen können hier ihre Leistungen online anbieten: von der Hundeanmeldung bis zum neuen Personalausweis. Das Ziel war, dass 575 verschiedene Leistungen bis Ende 2022 zugänglich sind. Geklappt hat das in keinem einzigen Bundesland.

Während Kirchheim unter Teck (Kreis Esslingen), Waiblingen (Rems-Murr-Kreis) und Hechingen (Zollernalbkreis) etwa 200 verschiedene Services online zum Jahreswechsel 2022/23 angeboten haben, gab es einen großen Teil von 350 Kommunen, die gerade mal ein einziges Online-Angebot hatten. Als man sich darauf einigte, wenigstens 35 besonders wichtige Leistungen bis 2023 umzusetzen, klappte auch das nicht. Woran liegt das?

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Zu viel Bürokratie - auch in der Digitalisierung

Experten wie E-Government-Professor Ralf Daum sagen, dass die Digitalisierung der Verwaltung von Anfang an falsch angegangen wurde. Statt Prozesse neu zu denken, habe man jeden einzelnen Antrag ins Internet überführen wollen.

Ein Schaubild des Normenkontrollrates zeigt außerdem, wie viele Akteure an der Umsetzung des OZG mitwirken sollten. Der Föderalismus, den die baden-württembergische Enquete-Kommission schon 1995 beschrieb, wurde der Digitalisierung letztlich zum Verhängnis.

Kommunen bei der Umsetzung überlastet

Norbert Brugger vom Städtetag Baden-Württemberg sagt, dass der Abstimmungsbedarf im föderalen System von allen Beteiligten unterschätzt worden sei. Und die Kommunen, welche die Digitalisierung umsetzen müssen, nicht genug mit einbezogen worden seien.

Bisher schaffe die Digitalisierung keine Vereinfachung für die Kommunen, weil Anträge bestenfalls digital eingingen und danach alle Vorgänge im Bürgerbüro wieder analog liefen. Es fehle an Personal, Geld und IT-Dienstleistern.

Nach wie vor liegt es bei den Kommunen, ihre Leistungen auf service-bw.de anzubieten. Da geht es nur langsam voran. Im August 2023 bieten sieben Kommunen mehr als 200 Verwaltungs-Leistungen online an. Rund 60 Kommunen sind mit mehr als 100 Leistungen dabei. Die Nase vorn haben aktuell unter anderem Freiburg, Vaihingen an der Enz und Heilbronn.

Normenkontrollrat in Baden-Württemberg aufgelöst

Dazu kommt: In Baden-Württemberg hat die grün-schwarze Landesregierung zum Jahresende 2022 den landeseigenen Normenkontrollrat aufgelöst. Dieser hatte Vorschläge zum Bürokratieabbau gemacht. Der Rat soll nun neu aufgestellt werden. Bis zur Sommerpause 2023 hat das nicht geklappt.

Der Bund bessert ebenfalls nach: mit einem OZG 2.0. In dem Entwurf, den das Bundeskabinett verabschiedet hat, fehlt jedoch eine Frist zur Umsetzung der Digitalisierung komplett.

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