Immer mehr Stuttgarter Unternehmen ärgern sich über die Verzögerungen bei der Ausländerbehörde Stuttgart, von Tech-Firmen bis zum Robert-Bosch-Krankenhaus. Dort müssen Angestellte um ihre Jobs bangen und die Firmen um ihre Arbeitskräfte, weil sich bei der Ausländerbehörde die Arbeit staut.
Die Schlange vor dem Ausländeramt ist täglich schon früh morgens 100 Meter lang. Viele stehen hier mit Eil-Anliegen, hoffen eine Nummer für den Tag ziehen zu können. Ein Mann erzählt dem SWR, er stehe seit 18 Uhr am Vorabend an - trotzdem sind sogar 25 Leute noch vor ihm.
Die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer (IHK) haben dem Amt jetzt konkret Unterstützung angeboten, weil sie etwas tun wollen, damit Betriebe schneller ausländische Arbeitskräfte einstellen können, die dringend gebraucht werden.
Krankenhaus: weniger Personal heißt mehr OP-Kürzungen
Das Robert-Bosch-Krankenhaus ist mit der Lage sehr unzufrieden. Dort arbeiten viele Mitarbeitende aus Nicht-EU-Ländern, die immer wieder zur Ausländerbehörde müssen, um ihren Status verlängern zu lassen. "Wir sind auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen, vor allem in Spezialbereichen wie Intensivmedizin und im Operationssaal", sagt der medizinische Geschäftsführer Mark Dominik Alscher. Es sei ein Problem, dass jetzt Aufenthaltserlaubnisse nicht verlängert würden.
Sie würden ihre Ansprechpartner beim Ausländeramt nicht mehr erreichen und könnten Personal nicht weiter beschäftigen, so Alscher. Die Folge: "Engpässe!" Weniger Kapazität an freien Betten und weniger Operationen. Die ausländischen Kräfte würden dann eben in ihre Heimatländer zurückkehren.
IT-Firma: Verlängerung ein Tag vor Visa-Ablauf - kann man so arbeiten?
In der IT-Firma Zoi.tech, die Unternehmens-Software entwickelt, kommt etwa ein Drittel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ausland. Ihre Erfahrung mit dem Ausländeramt hier: bescheiden. Virag Rastogi aus Indien arbeitet seit 2021 bei der Firma in Stuttgart und musste in den vergangenen beiden Jahren sieben Mal zur Ausländerbehörde, jedes Mal mit sechs bis sieben Stunden Wartezeit.
Für seine Kollegin Enas Hussameldin Hanafy Abdelmaqsod aus Ägypten wurde es in diesem Jahr richtig eng, als sie ihr Visum verlängern musste. Auf ihren Erstantrag im November letzten Jahres bekam sie nach vier Monaten eine Mail, um ihre Unterlagen einzuschicken. Danach passierte trotz Nachfrage nichts mehr. Eine Woche vor Ablauf ihres Visums fragte sie wieder vergeblich nach, am Tag vor dem Visa-Ablaufdatum dann endlich der Bescheid. Allerdings nur eine Fiktionsbescheinigung bis Dezember. Damit kann sie nicht ins Ausland - weder zu Dienstreisen noch zu ihrer Familie.
IT-Chef verärgert: "So kann man nicht mit Leuten umgehen"
Ihren Chef bei Zoi.tech, Benjamin Hermann, ärgert das extrem. Dass die Mitarbeiter so knapp ihre Bescheide bekämen, so könne man nicht mit Leuten umgehen. Man müsse sich in die Lage dieser Arbeitnehmer versetzen. "Wenn ich zum Beispiel in Ägypten arbeiten würde und dort so behandelt werden würde, würde ich heimfliegen", so Hermann. Einen Mexikaner habe er jetzt zum September nicht einstellen können, weil dieser zwar eine Aufenthalts-, aber keine Arbeitserlaubnis habe, und das, obwohl er in Stuttgart studiert und promoviert hat.
Wegen der Probleme in Stuttgart mit der Ausländerbehörde habe Zoi.tech nun eher Leute in Berlin und Spanien eingestellt. Dort laufe es besser, sagt Hermann. Dann würden die Steuern für diese Leute aber eben dort gezahlt und nicht in Stuttgart. Mit Kampagnen wie The Länd würde Baden-Württemberg ja Fachkräfte aus dem Ausland locken wollen. "Werbekampagne wie The Länd nützen nichts, wenn man Leute nicht herkriegt", kritisiert Hermann.
Und noch sei Deutschland, beispielsweise wegen kostenloser Bildung, auch bei jungen, ausländischen Fachkräften und deren Familien noch interessant. Aber wenn sich solche Schwierigkeiten mit den Behörden wie aktuell herumsprächen, dann würden die Bewerber weg bleiben, glaubt Hermann. "Die Behörden sind weit weg von den Bedürfnissen der Firmen."
IHK und Handwerkskammer wollen Ausländerbehörde helfen
Ab September läuft nun eine Vereinbarung zwischen der Stadt, der IHK und Handwerkskammer Stuttgart, um die Ausländerbehörde zu unterstützen. "Die langen Verfahrensdauern sind derzeit das größte Problem der Betriebe, wenn sie ausländische Fachkräfte einstellen wollen", betont Susanne Herre, Hauptgeschäftsführerin der IHK Region Stuttgart.
Die Kammern unterstützen ausländische Arbeitnehmer jetzt bei der Zusammenstellung von wichtigen Unterlagen für ihre Anträge. Diese geschnürten Pakete würden dann der Ausländerbehörde übergeben werden, die das Anerkennungsverfahren startet.
Was die Stadt Stuttgart aus IHK-Sicht tun könnte?
Die IHK-Hauptgeschäftsführerin für die Region Stuttgart Susanne Herre fordert, die Stadt müsse investieren, um die Verfahren zu digitalisieren und zu automatisieren. "Wir brauchen eine Willkommenskultur - und eine lange Schlange, in der man sich nachts anstellen muss, gehört dazu nicht", sagt Herre. "1,2 Milliarden Euro Gewerbesteuer, die jetzt im Doppelhaushalt zu verteilen sind, sind doch ein guter Ansatz, wenn man überlegt, wo die hinfließen - in ein Powerprojekt Ausländerbehörde", so Herres Vorschlag.
Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse können teilweise nicht angetreten werden, weil Aufenthaltsgenehmigungen nicht rechtzeitig da sind. Die Fachkräfte werden aber gebraucht, so Sophia Hatzelmann, Chefin der Stuttgarter Projektmanagement-Firma ahc: "Die schnelle Besetzung von offenen Stellen ist aufgrund des schwierigen inländischen Bewerbermarktes und des demographischen Wandels essenziell für den Erfolg unserer Wirtschaft."
Was ist los bei der Ausländerbehörde Stuttgart?
Nach Angaben der Stadt sind im Moment ein Drittel der 170 Stellen bei der Ausländerbehörde unbesetzt. 33.000 Meldungen in Fachverfahren liegen dort aktuell unbearbeitet. Die Ausländerbehörde in der Eberhardstraße 39 ist mittlerweile bewacht. Dort kommt nur rein, wer schriftlich zum Termin eingeladen wurde. Frühestens sieben Tage vor Ablauf eines Visums oder einer Aufenthaltserlaubnis dürfen Antragsteller auch ohne Termin zum Amt kommen.
Die Sorge um die ausstehenden Meldungen zu ihren Anträgen ist aber vermutlich der Grund, warum die Menschen auch vorher schon zum Amt kommen und lange anstehen, um einen Termin zu erhalten. Dabei werden nach Berichten der "Stuttgarter Zeitung" täglich nur etwa 20 bis 30 Wartende eingelassen. Laut Stadt variiert diese Zahl aber stärker. Wer sich wegen der Zustände beschweren möchte, könne beim Verwaltungsgericht klagen. In diesem Jahr wurden bereits 73 Fälle angeklagt, im vergangenen Jahr waren es insgesamt 16.
Über die enormen Schlangen vor dem Amt hatte der SWR bereits im Juni berichtet:
Linken-Stadtrat: Ablehnungskultur statt Willkommenskultur
Zuletzt hatte Stadtrat Luigi Pantisano (Die Linken) der Ausländerbehörde eine Ablehnungskultur statt einer Willkommenskultur vorgeworfen. Der Vorwurf sei ein Schlag ins Gesicht aller Mitarbeitenden, so der Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler). Dass es in der Ausländerbehörde Engpässe gibt, hängt laut Maier vor allem daran, dass Personal fehlt und stetig neue Kunden dazukommen. Pantisano wirft der Stadt dagegen vor, dass die Ausländerbehörde zu selten ihren Ermessensspielraum nutzt, um Gesetze zugunsten der Antragstellenden auszulegen.
Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) will sich zusammen mit dem Ordnungsbürgermeister Maier in der kommenden Woche ein Bild von der aktuellen Lage bei der Ausländerbehörde machen. Am Montag soll über die Problematik noch einmal intensiv intern im Rathaus beraten werden. Am Dienstag stellen sich Maier den Fragen des SWR.