Studentenwohnheim am Mannheimer Hafen

"Wir erleben eine neue Form sozialer Auslese"

Start ins Wintersemester 2024: Wohnraum fehlt - was Studierendenwerke jetzt fordern

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Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild

Bald startet das Wintersemester an den Hochschulen, der Wohnzuschlag beim BAföG wurde angehoben. Trotzdem finden längst nicht alle eine Wohnung oder ein WG-Zimmer. Woran das liegt - und was helfen könnte.

Kurz vor Beginn des Wintersemesters fehlt es an bezahlbarem Wohnraum für Studierende in Baden-Württemberg. Die Wartelisten für ein Wohnheimzimmer sind lang, an den großen Hochschulstandorten ist die Lage angespannt. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Landesweit gibt es nach Angaben des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums 46.661 Wohnheimplätze für Studierende. Doch die reichen nicht aus. Erwartet werden über 60.000 Studienanfänger.

Konkurrenz um bezahlbare Wohnungen

"Das Problem ist: Wir haben einfach zu wenig bezahlbaren Wohnraum", sagt Clemens Metz, Geschäftsführer des Studierendenwerks Freiburg und Sprecher der Studierendenwerke in Baden-Württemberg. Vor allem in Uni-Städten müsse etwas passieren, die Politik sei gefordert. 

Weil zu Beginn des Wintersemesters viele gleichzeitig eine Bleibe suchen, werden bestehende Engpässe auf dem Wohnungsmarkt verstärkt. Denn auf dem privaten Wohnungsmarkt konkurrieren Studierende letztlich mit jungen Familien, Auszubildenden, Asylbewerbern und anderen Gruppen mit geringen Einkommen. Wohnheimplätze können diese Problematik mildern, aber nicht lösen, heißt es aus dem Wissenschaftsministerium. Und die Mieten steigen in Hochschulstädten bundesweit, wie zuletzt der Studentenwohnreport des Finanzdienstleisters MLP und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) gezeigt hat. Ein Grund laut Report: An 29 der 38 bundesweit untersuchten Standorte ging die Zahl der inserierten kleinen Wohnungen und WGs im Vergleich zum Vorjahr zurück. Weil die Lage am Wohnungsmarkt insgesamt so angespannt ist, fänden Vermieterinnen und Vermieter bereits im privaten Umfeld neue Mieterinnen und Mieter, Wohnungsanzeigen blieben aus.

Studierende: Mehr als die Hälfte des Haushaltseinkommens fürs Wohnen

Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts wenden Studierende und Auszubildende in Deutschland einen weit überdurchschnittlich großen Anteil ihres Haushaltseinkommens fürs Wohnen auf. 54 Prozent geht bei Studierenden im Schnitt für Wohnkosten drauf, bei Azubis sind es 42 Prozent. Zum Vergleich: Im bundesweiten Mittel geben die Deutschen rund ein Viertel ihres Haushaltseinkommens fürs Wohnen aus. Auch deshalb gelten laut Statistischem Bundesamt mehr als ein Drittel aller Studierenden in Deutschland als armutsgefährdet. Zwar wird der Wohnzuschlag beim BAföG ab diesem Wintersemester auf 380 Euro angehoben - in Baden-Württemberg aber liegt bereits die errechnete Durchschnittsmiete überall über diesem Betrag.

Heidelberg, Mannheim, Stuttgart: Lange Wartelisten

In Karlsruhe stehen über 40.000 Studierenden 4.400 öffentlich geförderte Wohnraumplätze gegenüber. Bis zu sechs Prozent des Bedarfs kann das Studierendenwerk mit 18 Wohnheimen decken. Rund 800 Wohnheimplätze fehlen. "Die Wartelisten für ein Wohnheimzimmer sind lang, daher braucht es mehr studentische Wohnanlagen", heißt es dort.

Auch in Mannheim sucht man für 24.000 Studierende dringend bezahlbaren Wohnraum. 3.000 "Bettplätze" hat das dortige Werk. Über 660 Bewerber stehen auf der Warteliste für Oktober. In Heidelberg (2.900 "Bettplätze") sind fast 2.500 auf der Warteliste. Nicht ausreichend sind auch die 5.650 Wohnheimsplätze in Freiburg. Private Vermieterinnen und Vermieter sind aufgerufen, Zimmer zu vermieten.

Das Studierendenwerk Stuttgart, das 58.000 junge Menschen an 15 Hochschulen betreut, bietet 5.800 Wohnplätze in Stuttgart, Ludwigsburg, Esslingen und Göppingen. Beim Campus Stuttgart und in Stuttgart-Vaihingen stehen rund 900 Leute auf der Warteliste, in Ludwigsburg und Esslingen 30 beziehungsweise 20. In Göppingen, dem Außenstandort der Hochschule Esslingen, waren Ende September noch ein paar Wohnplätze frei.

Wie schwierig es derzeit für Studierende ist, eine Wohnung zu finden, zeigt auch das Beispiel eines angehenden Studenten aus Heidelberg:

Wohnungsnot als Dauerproblem: Was Studierendenwerke jetzt fordern

Studierendenwerke-Sprecher Metz hofft auf die Wirkung des Programms "Junges Wohnen"; dabei gab der Bund den Ländern Fördergelder. 500 Millionen Euro waren das 2023, um Wohnheimsplätze damit zu schaffen und bestehende Wohnheime zu modernisieren. "Das muss man verstetigen", so Metz. Auch das Studierendenwerk Stuttgart pocht auf eine zuverlässige Förderung für Neubau und Sanierungen sowie auf die Bewilligung zinsloser Darlehen für Wohnbauprojekte der Studierendenwerke. Ausreichend bezahlbare Wohnplätze trügen maßgeblich zur Attraktivität einer Hochschulregion bei. 

Und auch das Land Baden-Württemberg ist nicht untätig. 464 Wohnheimplätze wurden im vergangenen Jahr geschaffen, weitere 1.000 Plätze sind im Bau oder in Planung. Im CDU-geführten Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen betont man das vergleichsweise gute Verhältnis von Wohnheimplätzen zur Studierendenenzahl: Mit 14,62 Prozent Unterbringungsquote liege man deutlich über dem Bundesdurchschnitt (9,61 Prozent). Die Universitätsstädte Freiburg, Heidelberg und Konstanz weisen demnach sogar Quoten von rund 20 Prozent auf. 

Studierendenwerk-Sprecher Metz begrüßt die Anstrengungen, hält die Quote aber für ausbaufähig. Denn, so sagt er: "Ein Drittel der Studierenden hat zu wenig Geld." Wie viele Studierendenzimmer- oder Wohnungen landesweit fehlen, ist unklar. Das Ministerium weist darauf hin, dass Wartelisten nicht unbedingt den tatsächlichen Bedarf widerspiegeln: Zahlreiche Interessenten würden sich an unterschiedlichen Orten auf Wohnheimplätze bewerben. "Dieses Verhalten führt zu langen Wartelisten, die die Nachfrage verfälschen."

Deutsches Studierendenwerk: "neue Art sozialer Auslese"

Angesichts durchschnittlicher Kosten für ein WG-Zimmer an deutschen Hochschulstandorten von 489 Euro im Monat pendeln manche lieber. Nach einer Sozialerhebung wohnten 24,3 Prozent der Studierenden im Jahr 2021 noch bei den Eltern - wobei natürlich auch die Corona-Pandemie eine Rolle gespielt haben dürfte. Zum Zeitpunkt der Befragung lagen drei Semester hinter den Studierenden, an denen an den Hochschulen pandemiebedingt nur wenig vor Ort passierte. "Wir erleben eine neue Form der sozialen Auslese: Die Frage, ob ich ein Studium an einer bestimmten Hochschule aufnehmen kann, hängt für viele Studierende davon ab, ob sie sich die Miete in dieser Stadt überhaupt leisten können", sagt Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks (DSW). Das sei eine bildungs- und sozialpolitische Bankrotterklärung. Auch hinke die BAföG-Wohnkostenpauschale trotz ihrer jüngsten Erhöhung hinter der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt hinterher.

Das Ministerium sieht dagegen keine "expliziten Hinweise" auf eine vermehrte Hochschulwahl am Heimatort. Die Statistik zeige im Gegenteil, dass teure Studienstädte wie Heidelberg und Tübingen weiter stärker nachgefragt seien als Hochschulstandorte in weniger studentisch geprägten Regionen. Relevant für die Wahl des Orts seien vor allem das Studienangebot sowie der Ruf von Hochschule und Stadt.

Not macht erfinderisch

Überall gibt es Aufrufe an Privatleute, Zimmer zu vermieten. Mancherorts stehen sogar schon Notunterkünfte bereit. Und es gibt findige Lösungen: So baut der Discounter Aldi Süd in Tübingen auf eine neue Filiale weitere Studentenwohnungen. In Karlsruhe, Freiburg und Konstanz gibt es Modelle von Mehrgenerationenwohnen wie "Wohnen für Hilfe". Mit 30 Wohnpartnerschaften spricht man in Karlsruhe von einem sozialen Win-Win-Projekt". In Freiburg werden jährlich bis zu 60 derartige Partnerschaften vermittelt. In Mannheim und Heidelberg wurden solche Vorhaben jedoch nicht gut angenommen.

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"Wohnen für Hilfe ist ein klasse Projekt, welches ältere Menschen und Studierende zusammenbringt und ihnen wichtige, auch interkulturelle, Erfahrungen bringt", so DSW-Chef Matthias Anbuhl . Es löse allerdings nicht das eklatante Strukturproblem von viel zu wenig bezahlbarem Wohnraum.

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