"Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch!" Ein Schild mit dieser Aufschrift vor einer Arztpraxis in Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen) hat vor einigen Wochen Wellen geschlagen. Sprachbarrieren im Gesundheitsbereich sind nicht nur für Ärztinnen und Ärzte ein Problem, weil sie dann keine vernünftige Diagnose stellen können. Auch Patientinnen und Patienten, die sich nicht richtig ausdrücken können, was ihnen fehlt, sind beim Arztbesuch ein Stück weit hilflos.
So geht es auch dem achtjährigen Velican, der mit seinem Vater in die Sprechstunde der Kinderklinik in Göppingen (Alb Fils Klinikum) gekommen ist. Die beiden stammen aus der Türkei und wohnen derzeit in einer Flüchtlingsunterkunft. Deutsch sprechen sie noch nicht. Velican hat eine chronische Darmkrankheit und muss alle paar Wochen untersucht werden. Kinderklinik-Chefarzt Fabian Kaßberger greift dann zum Telefonhörer und wählt die Nummer des Übersetzerdienstes "Triaphon".
Kinderklinik in Göppingen nutzt Telefonübersetzung
Per Knopfdruck wählt er Türkisch als eine von zehn verfügbaren Sprachgruppen aus. Nach wenigen Sekunden meldet sich eine Frauenstimme, eine Dolmetscherin, die irgendwo in Deutschland sitzt. Der Arzt nennt lediglich die Eckdaten: Kinderklinik, Junge mit Darmkrankheit, Vater spricht kein Deutsch. Dann beginnt das Arztgespräch, die Frau übersetzt hin und her. "Ich würde gerne als erstes mit dem Papa, der kein Deutsch spricht, abklären wollen, welche Medikamente er eingenommen hat."
Übersetzungsdienst spontan und flexibel einsetzbar
Der Dienst ist 24 Stunden, sieben Tage die Woche verfügbar. Namen werden nicht genannt, die Übersetzung erfolgt anonym, um den Datenschutz der Patienten zu wahren. Für Kinderarzt Fabian Kaßberger ist die Telefonübersetzung eine große Erleichterung. "Ich bin einfach auf meine Geschäftsführung zugetreten und habe gesagt, ich brauche dieses Tool, um das Problem Sprache zu lösen, um eben die Behandlung bestmöglich durchführen zu können. Und das ist auch ein Aspekt der Patientensicherheit. Stellen Sie sich vor, ich mache die Anamnese falsch und es passiert dem Patienten irgendwas, das wäre ja unverzeihlich gegenüber dem Kind, gegenüber uns."
"Triaphon" wurde von Ärzten gegründet
Vor allem nachts, wenn Kinder mit akuten Beschwerden kommen, wird das System gebraucht. Die Klinik zahlt eine monatliche Grundgebühr von 450 Euro und zwei Euro pro übersetzter Minute - eine finanzielle Zusatzbelastung, die aber momentan alternativlos sei. Für niedergelassene Ärzte fällt die Grundgebühr weg. Gewinn will der Übersetzerdienst nach eigenen Angaben damit nicht machen. Das Geld fließe in Technik, Organisation und die Sprachmittler, inzwischen deutschlandweit 130 Personen.
Das System wurde von einer Kinderärztin und einem Allgemeinarzt gegründet, erklärt "Triaphon"-Geschäftsführerin Marthe Hammer: "Die beiden Gründer haben selbst im klinischen Alltag festgestellt, dass es an spontan verfügbaren Dolmetschern mangelt und haben mit "Triaphon" dann eine schnelle Lösung geschaffen, um rund um die Uhr spontan Sprachmittlung hinzuzuschalten." Etwa 2.000 Anrufe gehen im Monat deutschlandweit ein. Kurz nach der Gründung vor sechs Jahren seien es gerade mal 100 pro Monat gewesen.
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Sprachmittlung keine Krankenkassenleistung
Die Alternative: Dolmetscher vor Ort. Sie werden von Kommunen und dem Land vermittelt. Für Asylbewerberinnen und Asylbewerber ist es in den ersten drei Jahren kostenfrei, sich bei einem Arztbesuch begleiten zu lassen. Danach wird es schwieriger. Sprachmittlung ist keine Krankenkassenleistung - weder vor Ort noch telefonisch.
Die AOK Baden-Württemberg erklärt dazu: "Die Übersetzung für Versicherte im Rahmen einer ambulanten oder stationären ärztlichen Behandlung kann daher nicht als Kassenleistung abgerechnet und durch die Krankenkasse erstattet werden." Bereits 1995 habe das Bundessozialgericht geurteilt, dass die Dolmetscherleistung nicht Teil der ärztlichen Behandlung sei, weil der Arzt sie aufgrund seines ärztlichen Fachwissens weder leiten noch kontrollieren und somit auch nicht verantworten könne.
Die Bundesregierung will das ändern und Sprachmittlung beim Arzt ins Sozialgesetzbuch aufnehmen. Dann müssten die Krankenkassen die Leistung übernehmen. Das Vorhaben wird laut Bundesgesundheitsministerium aber noch geprüft.
Landkreis Karlsruhe finanziert Übersetzungsdienst projektbezogen
Dem Landratsamt Karlsruhe hat das zu lange gedauert. Bis Ende 2025 finanziert es die Nutzung des Telefonübersetzungsdienstes "Triaphon" für niedergelassene Ärzte im Landkreis selbst. Das geht, weil das Land befristet Geld dazugibt, erklärt Kathrin Haas, Leiterin des Amts für Integration in Karlsruhe: "Aktuell nutzen das zwölf Arztpraxen. Das sind vor allem Kinder- und Frauenärztinnen und -ärzte. Die Rückmeldung ist sehr positiv. Und wir haben bei uns im Landkreis Karlsruhe versucht, die großen Hürden beim Thema Gesundheit und Migration herauszupicken. Und da ist eben das Thema Sprache eines der zentralen."
Der telefonische Übersetzungsdienst sei eine unbürokratische, niederschwellige Möglichkeit, Sprachbarrieren beim Arzt zu überbrücken. Solche Dienste landesweit zu finanzieren, lehnt das zuständige Landessozialministerium in Baden-Württemberg ab und verweist auf die geplante Sozialgesetzbuchänderung des Bundes.
Land setzt auf landesweite Dolmetscher-Pools
Die Strategie der baden-württembergischen Landesregierung lautet, das Dolmetscher-Angebot vor Ort auszubauen. 200.000 Euro will sie zusätzlich in die Qualifizierung von Sprachmittlern im Gesundheitsbereich stecken. Kommunen und freie Träger, wie Verbände oder Vereine, seien aufgerufen, Förderanträge zu stellen. Laut Ärzten und Wohlfahrtsverbänden ist der Ausbau solcher Dolmetscher-Pools grundsätzlich gut.
Karsten Braun, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, nahm im SWR Stellung zu dem Problem:
Doch in der Kinderklinik in Göppingen ist und bleibt die Telefonübersetzung "Triaphon" die erste Wahl. Dolmetscher, die Patientinnen und Patienten begleiten, bringen laut Kinderarzt Fabian Kaßberger momentan eher wenig Erleichterung: "Meistens ist es mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden. Meistens ist es mit einer hohen Nachweispflicht verbunden, die Abrechnung wird nicht einfach, also der Aufwand steigt dann und was wir brauchen, ist nicht irgendein neues Gesetzesvorhaben oder eine komplizierte Novelle, sondern wir brauchen praktikable Lösungen, die funktionieren, und da ist 'Triaphon' ein Beispiel."