Um Engpässe bei Arzneimitteln zu vermeiden, wird zuweilen gefordert, die Produktion verstärkt zurück nach Deutschland zu holen. Doch die Pharmabranche in Baden-Württemberg reagiert eher zögerlich auf derartige Forderungen. Ein neues Werk zu bauen dauere drei bis fünf Jahre, sagte ein Sprecher der Verbände der Chemie- und Pharma-Industrie Baden-Württemberg (Chemie.BW) in Baden-Baden. Damit seien Kostensteigerungen verbunden. "Sie investieren aber nur, wenn Sie das Geld hinterher auch wieder reinkriegen."
Spätestens mit der Corona-Pandemie wurde offenbar, dass ein Großteil der Wirkstoffe im Ausland, vor allem in Asien, produziert wird. Gibt es dort Fertigungsprobleme, Verunreinigungen oder einen Produktionsstopp, hat das meist Auswirkungen auf den deutschen Markt. In der Folge waren etwa Fiebersäfte, Hustenmittel, Blutdrucksenker, Magensäureblocker oder Brustkrebsmedikamente schwer bis gar nicht zu bekommen.
Kinderärzte fürchten Knappheit auch im kommenden Herbst und Winter
Das wird auch im kommenden Herbst und Winter wieder so sein, befürchtet der Präsident des Kinderärzteverbands, Thomas Fischbach. Der "Rheinischen Post" sagte Fischbach am Dienstag: "Ich rechne nicht damit, dass die Maßnahmen der Ampel zu einem Ende der Arzneimittelknappheit in diesem Jahr führen werden." Dafür kamen sie zu spät. Daher müssten sich Eltern darauf einstellen, dass dann Fiebersäfte, Zäpfchen und andere Standardmedikamente wieder knapp würden. Er rät daher, die Hausapotheke rechtzeitig aufzufüllen.
Stimmen die Rahmenbedingungen?
Um der Knappheit entgegenzuwirken, fordern viele, die Produktion wieder mehr ins Land zu holen. Das sei generell zu begrüßen, erklärte das baden-württembergische Wirtschaftsministerium in einer Stellungnahme zu einem Antrag der FDP im Landtag. "Jedoch benötigen solche Prozesse Zeit und werden von Unternehmen nur dann umgesetzt, wenn auch die (regulatorischen) Rahmenbedingungen stimmen." Das Ministerium selbst nannte unter anderem steuerliche Aspekte, bürokratische Hürden, die Dauer von Genehmigungsverfahren für klinische Studien, den Zugang zu Fachkräften und Datenschutzvorgaben als Faktoren.
Steigende Energiekosten belasten auch Pharmaindustrie
Laut dem Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie Baden-Württemberg, Winfried Golla, spielt Energie angesichts gestiegener Preise neuerdings auch bei Pharmaunternehmen eine Rolle. Derzeit könnten die Hersteller von Generika - also Nachahmerpräparaten - gerade so kostendeckend produzieren, sagte der Verbandssprecher. Im Juni hatte der Bundestag ein Gesetz beschlossen, wonach unter anderem Hersteller von Kindermedikamenten ihre Abgabepreise einmalig nach bestimmten Vorgaben anheben dürfen.
Das sagte der Heilbronner Apotheker Dieter Harfensteller Ende 2022 im SWR zum Arzneimittelmangel:
Am Wochenende kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein neues Gesetz bis Ende des Jahres an, das die Erforschung und Produktion von Arzneimitteln und Medizinprodukten in Deutschland fördern soll. Corona-Krise, Russlands Krieg in der Ukraine und die Industriepolitik der USA und Chinas stellen dem baden-württembergischen Wirtschaftsministerium zufolge internationale Lieferketten der pharmazeutischen Industrie auf den Prüfstand. Baden-Württemberg als traditionell starker Pharmastandort stelle sich dieser Herausforderung. "Die pharmazeutische Industrie ist die forschungsintensivste Branche in Deutschland mit überdurchschnittlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung, denn sie reinvestiert 13 Prozent ihres Umsatzes", schreibt das Ministerium.
Überhaupt komme ihr eine wichtige Rolle innerhalb der Gesundheitsindustrie zu: Im Jahr 2020 forschten, entwickelten und produzierten in Baden-Württemberg demzufolge 92 Pharmaunternehmen mit fast 23.000 Beschäftigten. Die umsatzstärksten Regionen seien Rhein-Neckar, Donau-Iller und Hochrhein-Bodensee. Im ersten Halbjahr hat die Pharmabranche in Baden-Württemberg nach Angaben von Chemie.BW die Produktion um 9,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erhöht. Die Umsätze seien um 10,6 Prozent gestiegen, die Zahl der Beschäftigten um 9 Prozent. "Die bislang starke Stellung des Pharmaproduktionsstandortes Baden-Württemberg ist keine Selbstverständlichkeit", schrieb Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) in der Stellungnahme. Die Abwanderung der Generikaindustrie nach Asien sei das Ergebnis eines Prozesses der letzten 20 Jahre, durch den zum Beispiel mit Rabattverträgen Einsparungen erzielt werden konnten. Für die Generikaproduktion im Inland sei das aber schlecht gewesen.
Pharmaindustrie investiert Millionen in BW
Das Ministerium verwies auch auf große Investitionen im höheren Millionenbereich in den vergangenen Jahren, etwa von Pfizer in Freiburg, von Boehringer Ingelheim in Biberach und von Teva in Ulm. Der Chemie.BW-Sprecher sagte: "Die Unternehmen glauben noch an den Standort." Die Landesregierung habe die Lage verstanden; das zeige sich zum Beispiel im "Pharmadialog" und im "Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg". Sinnvoll sei auch, dass das Regierungspräsidium Tübingen landesweit für die Arzneimittelüberwachung zuständig sei.