
Mehr Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Seit gut drei Jahren arbeitet die von der Diözese Rottenburg-Stuttgart eingesetzte Kommission die Vorwürfe zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche auf. In dem am Donnerstag veröffentlichten Jahresbericht 2024 der Kommission heißt es, seit dem Jahresbericht 2023 seien 34 weitere Beschuldigte bekanntgeworden. Demnach gibt es insgesamt 241 Beschuldigte. Die ersten Fälle gehen zurück bis ins Jahr 1946.
Mehr als 450 Opfer sexuellen Missbrauchs
Unter den Beschuldigten seien 126 Priester, Diakone und Ordensleute "mit Gestellungsvertrag von der Diözese". Weitere 71 Beschuldigte seien Laien, 26 Ordensschwestern und 18 Ordenspriester ohne Auftrag der Diözese. 48 Beschuldigungen fallen den Angaben zufolge unter die bischöfliche Aufsicht, haben sich aber in anderen Zuständigkeiten ereignet, zum Beispiel Diözesancaritasverband, Schulstiftung, Orden oder Jugendverbände.
Auch die Zahl der Opfer hat sich demnach erhöht. Inzwischen sind der Kommission über 450 bekannt. 203 haben dem Bericht zufolge eine Entschädigung beantragt. Bislang habe die Diözese rund 2,9 Millionen Euro gezahlt und etwa 205.000 Euro an Therapiekosten übernommen.
Gab es Täter-"Netzwerke"?
Im Geschäftsjahr 2024 seien erstmalig umfassend Voruntersuchungsakten ausgewertet worden - also Akten aus kirchenrechtlichen Strafprozessen, hieß es nun weiter. Die Kommission veröffentlichte am Donnerstag "erste Zwischenerkenntnisse und Hypothesen", auch unter Auswertung ihrer Gespräche mit zahlreichen Zeitzeugen. Zu untersuchen sei etwa noch, ob Täter-"Netzwerke" existiert hätten, denn unter den Tätern seien einige Intensivtäter, die sich gekannt hätten oder befreundet gewesen seien.
Bei Missbrauchstaten sei oftmals die Ausnutzung eines Überordnungs- und Respektverhältnisses oder die Ausnutzung einer Nähe des Täters zur Familie des oder der Betroffenen festzustellen. Mit Blick auf Überordnungs- oder Respektverhältnisse wurden genannt: Beichte, Firmunterricht, Religionsunterricht, Kommunion, Ministranten, Fahrten mit Jugendgruppen beziehungsweise Jugendfreizeiten, Theologische Tage, Rolle als Hausgeistlicher eines Kinderheims.
Vertuschung in 1950er und 1960er Jahren
Sehr viele Täter oder Beschuldigte seien bei Bekanntwerden der Taten bereits tot gewesen. Vertuschungsfälle seien vor allem in den 1950er und 60er Jahren festzustellen - unter anderem der Versuch, darauf hinzuwirken, dass Vorstrafen nicht im polizeilichen Führungszeugnis auftauchten, hieß es. Es sei beispielsweise "Krankheitsurlaub" erteilt worden oder es seien "günstige Zeitpunkte" für das Inkrafttreten von Strafdekreten gewählt worden, "sodass diese nicht auffielen". Weiter hieß es: "Es fand eine übertriebene Fürsorge für Täter in den 50er und 60er Jahren statt."
Umgang des Bistums mit Tätern und Täterinnen wird untersucht
Die unabhängige Aufarbeitungskommission war im Dezember 2021 durch den damaligen Bischof Gebhard Fürst ins Leben gerufen worden. Ein vorläufiger Abschlussbericht soll bis Dezember 2026 vorlegt werden.
Die Aufarbeitungskommission untersucht neben der quantitativen Erhebung des sexuellen Missbrauchs in der Diözese auch den Umgang des Bistums mit Tätern, Täterinnen und Betroffenen. Ziel sei "die Identifikation von Strukturen, die sexuellen Missbrauch ermöglicht oder erleichtert oder dessen Aufdeckung erschwert haben".