Am 25. Januar soll ein 18-jähriger Schüler des Löwenrot-Gymnasiums in St. Leon-Rot (Rhein-Neckar-Kreis) eine gleichaltrige Mitschülerin mit einem Messer angegriffen haben. Das Mädchen starb noch vor Ort. Der mutmaßliche Täter wurde am selben Tag von der Polizei festgenommen.
Bei dem 18-Jährigen soll es sich um den Ex-Freund des getöteten Mädchens handeln. Das Mädchen hatte ihn im November 2023 bereits wegen Körperverletzung angezeigt. Daraufhin gab es eine sogenannte "Gefährderansprache". Das ist eine Art Ermahnung, mit der die Polizei signalisiert, dass die Person streng beobachtet wird, weil eine realistische Chance besteht, dass sie eine Straftat begeht. Darin wurde unter anderem ein Kontaktverbot auch in der Schule ausgesprochen.
Nach Angaben eines Sprechers der Schule gegenüber dem SWR waren darüber alle Lehrer, inklusive Pausenaufsichten, informiert. Von Seiten der Schule habe es auch keine Anzeichen für einen Verstoß gegen dieses Kontaktverbot gegeben. Der 18-jährige mutmaßliche Täter habe sich unauffällig verhalten.
Zweite Gefährderansprache war notwendig
Laut Polizei hatte der 18-Jährige allerdings trotzdem versucht, Kontakt zu seiner früheren Freundin aufzunehmen - deshalb gab es eine zweite Gefährderansprache. Ob das der Schule bekannt war, ist unklar.
Was genau sich dahinter verbirgt und was für Maßnahmen damit einhergehen können, darüber hat der Leiter der Mannheimer Polizei-Pressestelle, Patrick Knapp, mit dem SWR gesprochen.
SWR Aktuell: In welchen Situationen kommt es normalerweise zu einer sogenannten Gefährderansprache?
Patrick Knapp: Wenn die Polizei die Vermutung hat, dass wir eine Person haben, die eine Körperverletzung oder eine andere Straftat verüben will, dann haben wir die Möglichkeit, mit dieser Kontakt aufzunehmen, um ihr zu sagen: Das geht so nicht! Es gibt einen rechtlichen Rahmen, in dem sie sich bewegen kann, und der Person auch aufzuzeigen, welche Maßnahmen kann die Polizei treffen, um diese Straftaten zu verhindern.
SWR Aktuell: Wer führt die Gefährderansprache durch? Das ist ja eine Polizeimaßnahme…
Knapp: Richtig. Wir als Polizei können diese Gefährderansprache durchführen, in der Regel eben die Sachbearbeiter, die mit einem Sachverhalt vertraut sind: Jugendsachbearbeiter oder Sachbearbeiter für den Bereich der häuslichen Gewalt.
SWR Aktuell: Was sagen Sie in so einer Ansprache? Können Sie ein Beispiel geben?
Knapp: Ein klassisches Beispiel wäre eine Straftat, eine Körperverletzung. Der Mann hat seine Frau zu Hause geschlagen, und die Polizei will mit dieser Gefährderansprache an den Ehemann eben verhindern, dass es zu weiteren Straftaten kommt. Ihm wird aufgezeigt, welches Verhalten man von ihm erwartet, welche Konsequenzen ihm drohen. Bei Körperverletzungsdelikten kommt vielleicht ein Wohnungsverbot hinzu. Die Polizei hat hier Möglichkeiten, einen Straftäter der Wohnung zu verweisen.
Polizei: Bei Gefährderansprachen mit vielen Beteiligten sprechen
SWR Aktuell: Wenn wir jetzt über Jugendliche sprechen, die so eine Gefährderansprache bekommen, sind dann da noch andere Stellen involviert, die informiert werden? Wenn es jetzt zum Beispiel um Kontaktverbote geht, müssten dann nicht auch Vereine, die Schule, die Eltern und so weiter informiert sein?
Knapp: Das kommt immer auf den Einzelfall drauf an: Was haben wir für Konstellationen? Wo gibt es diese Kontaktpunkte zwischen Täter und Geschädigter. Ganz klar ist auch: Wir sprechen hier auch mit anderen Beteiligten, sprich Schule, gegebenenfalls mit Sportvereinen, mit dem Jugendamt, um den bestmöglichen Schutz für den oder die Geschädigte zu gewährleisten.
SWR Aktuell: Was passiert, wenn der mutmaßliche oder der mögliche Täter dann trotzdem Kontakt aufnimmt?
Knapp: Er wird natürlich zunächst zu einem weiteren Gespräch gebeten. Also es ist oftmals nicht mit einer Gefährderansprache erledigt, sondern es folgen dann weitere, um ihm auch einfach zu zeigen: Hier, wir haben dich auf dem Schirm, du bist im Fokus. Wenn es Hinweise gibt, dass mit einer neuen Straftat zu rechnen ist, dann gehen auch unsere Maßnahmen natürlich weiter. Und es wird hier auch der Kreis erweitert, mit dem Gespräche geführt werden.
SWR Aktuell: Was sind denn Hinweise darauf, dass eine Lage eskalieren könnte?
Knapp: Wenn wir schon eine Straftat hatten: Die Schwere der Straftat, die Intensität, natürlich die persönliche Einschätzung des Täters. In welcher Beziehung stehen die beiden? Ist das eine sehr emotionale Beziehung? So fließen hier ganz viele Eckpunkte in diese Beurteilung der Lage mit ein, um zu schauen: Was haben wir denn zukünftig für eine Gefährdung? Und es ist natürlich so, dass jedes Handeln, das auf weitere Taten des Täters hindeutet, von uns bewertet wird. Und wenn er sich den Weisungen, eben auch einem möglichen Kontaktverbot, widersetzt und immer wieder den Kontakt sucht, dann werden auch durch die Polizei sehr, sehr schnell weitere Maßnahmen ergriffen, weil es zeigt ja, dass die Einsicht beim Täter nicht besteht.
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Polizei: Keine Hinweise auf weitere Eskalation in St. Leon-Rot
SWR Aktuell: Man kann aus dem, was Sie jetzt erklärt haben, rückschließen, dass es solche Hinweise im aktuellen Fall nicht gegeben hat, dass es eskalieren könnte. Richtig?
Knapp: So ist aktuell unsere Einschätzung, dass wir eben diese Hinweise auf eine weitere Eskalation nicht hatten.
SWR Aktuell: Ist das so ein Fall, in dem man sagt: "Hinterher ist man immer schlauer?“
Knapp: Sehr schwierige Frage. Das würde implizieren, dass die Tat absehbar war. Ich glaube nicht, dass die Tat in dieser Art und Weise absehbar war, sonst hätte die Polizei anders gehandelt.