Christian Kretz und Thomas März sind ein eingespieltes Team: Beide arbeiten in der Johannes-Diakonie in Mosbach (Neckar-Odenwald-Kreis). Beide engagieren sich ehrenamtlich. Regelmäßig führen sie Schulklassen oder Gruppen über den Maria-Zeitler-Pfad. Ein 1,2 Kilometer langer barrierefreier Lehr- und Gedenkpfad auf dem Gelände der Johannes-Diakonie, der an acht Stationen an die NS-Euthanasie-Opfer der damaligen Mosbacher "Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache Mosbach/Schwarzacher Hof" erinnert.
NS-Euthanasie: 263 Opfer aus Mosbach
Mehr als 200.000 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen wurden zwischen 1940 und 1945 Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Programme. Sie galten in der NS-Ideologie als "lebensunwert", wurden vergast oder starben in Pflegeeinrichtungen an Hunger. Viele wurden mit Medikamenten vergiftet. In der Mosbacher "Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwäche", wie die Johannes-Diakonie damals hieß, lebten 263 Menschen, die von den Nazis im Zuge der "Euthanasie-Programme" ermordet wurden.
Eine von ihnen war Maria Zeitler. Als einziges der Opfer wurde sie in Mosbach geboren. 2013 wurde der erste und bislang einzige Stolperstein in Mosbach für sie verlegt. Nach ihr ist auch der Erinnerungspfad benannt.
Maria Zeitler - eines der Mosbacher Opfer
Maria Zeitler, 1911 geboren und von der Familie liebevoll "das Mariele" genannt, erkrankte als Kleinkind an einer schweren Hirnhautentzündung. Sie überlebte die Erkrankung, blieb aber geistig behindert zurück. Auf Druck der Behörden wurde sie mit knapp drei Jahren in der Pflegeanstalt in Mosbach untergebracht. Sie lebte dort 25 Jahre, bis sie - ohne jede Vorwarnung - im September 1940, einen Tag nach ihrem 29. Geburtstag, in eine andere Anstalt verlegt wurde. Wohin, wurde der Familie nicht mitgeteilt.
"Graue Busse" fuhren nach Grafeneck
Einen Monat später bekam die Familie die Nachricht, ihre Tochter sei plötzlich an Typhus gestorben. In Wahrheit waren Todesdatum, Todesort und Todesursache frei erfunden. Maria Zeitler war in der Tötungsanstalt Grafeneck ermordet worden. Sie musste in einen der grauen Busse einsteigen, die Menschen mit Behinderung aus der damaligen Pflegeanstalt nach Grafeneck auf die Schwäbische Alb brachten. Dort wurden sie in einer Gaskammer ermordet. Die Nationalsozialisten erprobten damit die Ermordung von Menschen mit Behinderungen in Gaskammern. Es sei ein "Probedurchlauf" für die spätere Ermordung von rund sechs Millionen Juden gewesen, sagt Thomas März.
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Inklusive Lotsen-Tandems
Christian Kretz und Thomas März sind eines von sieben inklusiven Lotsen-Tandems, die rund drei bis viermal im Monat über den Erinnerungspfad führen. Christian Kretz war schon im Kindergarten der Johannes-Diakonie, hat viele Jahre in Wohngruppen auf dem Gelände gelebt und in den Werkstätten gearbeitet. Thomas März arbeitet seit 22 Jahren als Bautechniker in der Einrichtung. Die beiden haben sich über das Ehrenamt kennengelernt, treffen sich aber auch mal privat. Meist redet Thomas März, aber Christian Kretz recherchiert gerne und hat die Fakten parat.
Die Schulklasse aus Azubis des Berufsbildungswerks Mosbach-Heidelberg, die das Tandem an diesem Tag über den Pfad führt, ist ergriffen und schockiert von dem, was sie hört. Gleich danach wieder in den regulären Unterricht zu gehen - das kann sich nach der Führung erstmal niemand vorstellen.