Resteessen - ein toller Trend gegen die Lebensmittelverschwendung oder doch illegal und unhygienisch? Das "Bändern", das Studierende in Freiburg etabliert haben, hat in der SWR-Community auf Instagram gemischte Reaktionen ausgelöst. Manche fanden es löblich, Essensreste selbst zu verwerten, andere wiederum unappetitlich. Und wiederum andere fragten, was am Resteessen denn verboten sein soll?
"Bändern" gegen Lebensmittelverschwendung
2020 wurden laut Statistischem Bundesamt in Deutschland rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle entsorgt. Davon stammen 17 Prozent, etwa 1,9 Millionen Tonnen, aus der Außer-Haus-Verpflegung - also Restaurants, Betriebskantinen oder eben Uni-Mensen. Zu viel, sagen einige, denn ein Großteil des weggeworfenen Essens wäre noch genießbar gewesen.
Um dem entgegenzuwirken, leben Studierende in Freiburg schon seit Jahren quasi vom Band in den Mund - und das im wahrsten Sinne des Wortes: Beim "Bändern" warten sie an der Geschirrabgabe der Mensa und schauen, ob Kommilitonen Essensreste übrig gelassen haben. So stellen sie sich ihr eigenes, kostenloses Menü zusammen. Das schont nicht nur den Geldbeutel, sondern auch Ressourcen - denn die Produktion, der Einkauf, die Zubereitung und die Entsorgung von Lebensmitteln kosten Energie.
"Bändern" - tolle Idee oder Diebstahl?
Dennoch hat das Studierendenwerk Freiburg das "Bändern" in der Mensa schon 2016 offiziell verboten. Man verwies damals auf juristisch ungeklärte Fragen - zum Beispiel, wer bei gesundheitlichen Folgen haftet oder ob das Essen letztendlich nicht doch "geklaut" wird.
Martin Heger, Professor für Strafrecht an der Humboldt-Universität in Berlin, findet nicht, dass sich "Bänderer" strafbar machen. Gegenüber dem SWR erklärt er, dass der Tatbestand des Diebstahls nicht erfüllt sei:
Und was ist mit dem Vor-Eigentümer? Hier ist die Lage laut Heger etwas verschwommen. Beim Kauf des Mensa-Gerichts werde das Gericht zunächst vom Betreiber an einen Studierenden übereignet. Dieser könne frei entscheiden, wie viel er isst und was er mit dem Essen macht. Die Reste könne er entweder selbst mitnehmen, einem Kommilitonen in die Hand drücken oder auf das Geschirrabgabeband der Mensa stellen. Bei letzterem sei es fraglich, ob das Tablett inklusive Inhalt nicht wieder in den Besitz des Betreibers, also des Studierendenwerks gehe. Laut Heger ist dem nicht so, da sich das übrige Essen noch nicht in einem geschützten Bereich des Studierendenwerks befindet, daher dürften die "Bänderer" einfach zugreifen.
Kein Präzedenzfall zum Thema "Bändern"
Eine gerichtliche Entscheidung hat es hierzu laut BW-Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz noch nicht gegeben. Auf SWR-Anfrage heißt es, dass der Mensabetreiber als Lebensmittelunternehmer lediglich die einschlägigen Hygienevorschriften bei Produktion, Verarbeitung und Vertrieb einzuhalten habe. Das umfasse auch den Umgang mit Lebensmittelabfällen, wie Essensresten auf dem Abgabeband. Wolle er das "Bändern" verhindern, zum Beispiel aus Sorge, dass es doch zu einer Infektion kommen könne, müsse er entsprechende Maßnahmen ergreifen oder auf die Risiken hinweisen, um eine Haftungsminderung zu erreichen.
Wie hygienisch ist das "Bändern"?
Speisen von fremden Tellern zu essen klingt für manche vielleicht erst einmal nicht besonders reizvoll. Was, wenn der "Vorkoster" auch noch krank war? Grundsätzlich sei das aber unbedenklich, heißt es beim baden-württembergischen Gesundheitsministerium
Deutlich relevanter seien für eine Übertragung zwischenmenschliche Kontakte. Die Aufnahme von Krankheitserregern durch Essensreste könnten lediglich im Einzelfall eine Rolle spielen. Um dieses Risiko weiter zu minimieren, haben die "Bänderer" in Freiburg stets ihr eigenes Geschirr dabei.
„Bändern“ gegen Lebensmittelverschwendung Meinung: Mein Kotelett von der Geschirrrückgabe
In der Mensa der Universität Freiburg gibt es die Möglichkeit zu "bändern". Studierende nehmen sich Essen von zurückgegangenen Tabletts. Martin Rupps findet die Idee gut.
Wie verbreitet ist das "Bändern" an Unis in BW?
Der Trend an sich ist kein neuer - unter anderem in Dresden und Lüneburg hat er bereits Nachahmende gefunden. Und in Baden-Württemberg?
Beim Studierendenwerk Heidelberg hat das "Bändern" noch keinen Einzug gefunden - auch wenn man es laut Pressesprecher Timo Walther nicht explizit verboten hat. "Wir gehen davon aus, dass dies in erster Linie unseren sehr geringen Lebensmittelabfällen geschuldet ist", so Walther. Die meisten der verkauften Essen in den Mensa-Standorten würden gewogen und grammweise bezahlt. Das habe zur Folge, dass Studierende ihre Portionen bereits bedarfsgerecht portionieren und somit der größte Teil des Rücklaufs leere Teller seien.
Darüber hinaus arbeite man intern daran, ein Food-Waste-System zu etablieren, das es ermöglichen soll, entstandenen Nassmüll zu kategorisieren und damit tiefere Kenntnisse über Menge und Ursachen der verschiedenen Müllkategorien zu erhalten. So könne man weitere Maßnahmen erörtern, um etwaige Lebensmittelabfälle bei der Produktion zu reduzieren.
Reste "fairteilen" oder weiterverarbeiten
Auch in den Mensen des Studierendenwerk Stuttgart ist das "Bändern" bisher kein Thema. Um Essensreste zu vermeiden, teste man derzeit den Einsatz eines KI-unterstützten Planungstools zur Bestimmung der benötigten Essenszahlen, sagte Marketingleiterin Melanie Westphal. Zudem können die Studierenden Speisen aus den Mensen in einer Pfand-Mehrwegschale mit nach Hause nehmen.
Das Studierendenwerk Ulm, das auch Catering-Angebote in Aalen, Schwäbisch Gmünd (Ostalbkreis), Biberach, Aspach (Rems-Murr-Kreis) und Heidenheim betreibt, hat nach eigenen Angaben ebenfalls keine Erfahrung mit dem "Bändern". Doch auch hier arbeite man daran, das Wegwerfen übrig gebliebenen Essens zu reduzieren.
Außerdem habe das Studierendenwerk an einigen Hochschulen einen Stellplatz für einen sogenannten Fairteiler-Schrank zur Verfügung gestellt, der von Studierenden betrieben wird. "Hier werden übrige Lebensmittel hineingelegt, die von anderen mitgenommen werden können", so Schröder.
Resteverwertung wird auch beim Studierendenwerk Tübingen-Hohenheim groß geschrieben. Laut Pressesprecher Philipp Mang werden Gerichte aus möglicher Überproduktion am Folgetag zum günstigeren Preis angeboten. "Weitere übrig gebliebene Restposten werden zu anderen Gerichten weiterverarbeitet", wie zum Beispiel Salate und Suppen. Mit dem Trend des "Bänderns" habe man dementsprechend keine praktischen Erfahrungen gemacht.
Musterbeispiel Karlsruhe?
Spannende Wege, um mit den Themen vorausschauende Produktion und Lebensmittelverwertung umzugehen, hat man am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gefunden. Dort arbeitet das Studierendenwerk Karlsruhe mit dem Start-up Unternehmen Delicious Data zusammen - einem Prognosetool, das für die Speiseplanung in Mensen entwickelt wurde. Das Programm kombiniert und analysiert unterschiedliche Faktoren - sogar das Wetter - und errechnet damit, wie oft welches Gericht potenziell verkauft wird. Damit kann man die Anzahl an Produkten, die man benötigt, besser planen und Überproduktionen reduzieren.
Und selbst dann ist der Abfallkreislauf noch nicht beendet: Seit 2011 setzt man bei der Mensa am Adenauerring auf ein Konzept, das Lebensmittelabfälle nachhaltig weiterverarbeitet. In einem Zentraltank wird die anfallende Biomasse abgepumpt und an eine Biogasanlage zur Stromerzeugung gegeben. So wird aus Essensresten neue Energie.