Beschränkung bei Sozialleistungen für Asylbewerber

Meinung: Die Bezahlkarte für Geflüchtete ist populistisch, bürokratisch und nutzlos

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Autor/in
Iris Volk
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Johannes Böhler
Johannes Böhler

Baden-Württemberg beginnt mit der Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete. Der Nutzen der Karte sei mehr als fraglich, meint Iris Volk aus der SWR-Redaktion Landespolitik.

Grundsätzlich ist gegen digitalen Bezahlverkehr für Asylbewerberinnen und -bewerber gar nichts einzuwenden. Niemand muss mehr für Bargeld anstehen, den Ämtern erleichtert es die Arbeit und mit Karte bezahlen kann man seit der Pandemie tatsächlich in den meisten Geschäften - sogar in Deutschland.

Das Problem sind nicht die Karten. Das Problem ist, dass die Karten eben nicht funktionieren wie normale EC-Karten. Denn die Geflüchteten sollen damit vor allem eines nicht können: Sie sollen über das Geld, das ihnen zusteht, nicht frei verfügen können. Überweisungen sind mit der Karte deshalb nur eingeschränkt möglich. Bargeld abzuheben sollte ursprünglich nur bis zu einer Grenze von 50 Euro erlaubt sein.

Seit Montag werden in BW die Bezahlkarten an Flüchtlinge ausgegeben. Was die Karte kann und was sie bringen soll, steht hier:

Leistungen für Asylbewerber Was man zur neuen Bezahlkarte für Geflüchtete in BW wissen muss

Sie soll Kommunen entlasten und verhindern, dass Geld an Schleuser fließt: Die Bezahlkarte für Flüchtlinge wird nun ausgegeben. Was sie kann und was sie verhindern soll.

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Bezahlkarten-Befürworter hängen fragwürdiger Theorie an

Warum das alles? Team Bezahlkarte verbreitet das Narrativ, Menschen würden gezielt nach Deutschland flüchten, um hier viel zu hohe Leistungen zu kassieren. Wahlweise würden sie dann einen Teil des Geldes unerhörterweise in ihre Heimatländer schicken, oder Schleuserbanden damit bezahlen, wobei unklar bleibt, inwiefern Schleuserbanden auf Kredit schleppen oder ob damit das Schleusen von weiteren Geflüchteten gemeint ist. Die Schlussfolgerung ist jedenfalls: Leistungen für Asylbewerberinnen und -bewerber in ihrer jetzigen Form seien ein Pull-Faktor, den es zu eliminieren gelte.

Die Tatsache, dass ein Land, in dem weder Krieg noch Hunger herrschen und in dem das Gesundheitssystem einigermaßen funktioniert, im Vergleich immer voller Pull-Faktoren ist, wird dabei ignoriert.

Sozialgericht: Bargeld-Obergrenze rechtswidrig

Um die falsche Verwendung staatlicher Leistungen zu unterbinden, begibt sich der Staat stattdessen auf juristisch dünnes Eis. Die ursprünglich geplante Bargeld-Obergrenze von 50 Euro zum Beispiel hat das Hamburger Sozialgericht im Sommer als rechtswidrig eingestuft.

Möglicherweise ein Grund dafür, dass es in Baden-Württemberg jetzt doch anders laufen soll: In Einzelfällen sollen nämlich Behörden den Betroffenen erlauben können, doch mehr als 50 Euro Bargeld abzuheben. Einzelfälle, ernsthaft? In Zeiten der Ämterüberlastung, in denen alle gern von Bürokratieabbau reden, klingt das wie ein schlechter Witz.

Für Überweisungen soll es Positiv- und Negativlisten geben, auch darum muss sich jemand kümmern, aber Hauptsache, es überweist kein Asylbewerber ein paar Euro an seine Familie in der Heimat.

Deutschland bleibt attraktiv genug für Flüchtlinge

Das Absurde ist, dass die Lage für Betroffene zwar unangenehmer wird, wenn Behörden ihren Zahlungsverkehr kontrollieren. Aber das ist immer noch besser als Krieg, Verfolgung und Hunger. Ein funktionierendes Land ist Pull-Faktor genug. Die Menschen werden trotzdem weiterhin kommen, also verschwinden auch nicht die Herausforderungen, die das mit sich bringt.

Warum dann der ganze Aufwand? Die Bezahlkarte ist reine Symbolpolitik, teure und bürokratische Symbolpolitik. Es geht vor allem darum, den eigenen Bürgerinnen und Bürgern zu sagen: Seht her, wir lassen nicht zu, dass es "denen" hier zu gut geht, dass "die" auch nur einen Cent zu viel in der Tasche haben. Man hofft, damit populistische Gelüste zu befriedigen. In Wirklichkeit ist es mit dem Populismus aber wie mit Chips - wenn man einmal angefangen hat, will man immer mehr davon. Leider sind die Folgen beim Populismus deutlich schädlicher als beim Junk Food.

Bezahlkarte ohne Einschränkungen könnte Behörden entlasten

Ich wünsche mir Politikerinnen und Politiker, die sagen: Seht her, wir respektieren das Grundrecht auf Asyl, und zu dem Grundrecht gehört auch, dass die ankommenden Menschen ordentlich versorgt werden. Punkt.

Dann könnte eine Bezahlkarte ohne Einschränkungen die Abläufe nämlich tatsächlich einfacher machen, und Ämter könnten ihre Arbeitskraft dafür nutzen, dass Ankommende schnell arbeiten dürfen oder dass genug Wohnungen gebaut werden oder dass die Kinderbetreuung funktioniert, statt einzelne Bargeldabhebungsfreigaben zu erteilen. Aber wahrscheinlich wäre das dann wieder ein Pull-Faktor.

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