Zwei Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland wurden schon einmal im Internet gemobbt. Das zeigen die Ergebnisse der neuen deutschlandweiten Cyberlife-Studie des Bündnis gegen Cybermobbing. Ein Beispiel aus Karlsruhe:
Ein Tanzvideo reiht sich an das nächste auf den Social-Media-Plattformen. Für eine Schülerin aus Karlsruhe ist so ein Video zum Albtraum geworden: Cybermobbing. Ein Video von ihr und vier ihrer Freundinnen kursierte erst in der Klassen-Whatsapp-Gruppe, dann auf TikTok und YouTube. Eine Mitschülerin hat das Video hochgeladen und ihre Gesichter unter anderem mit Tierstickern verdeckt. Beleidigende Kommentare begleiten die Betroffene in den folgenden Tagen in der Schule und im Internet.
Die Schülerin aus Karlsruhe ist Opfer von Cybermobbing geworden. Zwei Millionen Kinder und Jugendliche wurden in Deutschland schon im Internet drangsaliert. Das zeigt das Ergebnis der aktuellen Cyberlife-Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing mit Sitz in Karlsruhe. Das sind deutlich mehr als in der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2022. Während damals noch 16,7 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler angaben, schon einmal von Cybermobbing betroffen gewesen zu sein, sind es jetzt 18,5 Prozent. Vor allem Jugendliche in der Pubertät sind demnach betroffen.
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Cybermobbing-Betroffene können den verletzenden Kommentaren kaum entkommen, sie erreichen sie in allen Lebensbereichen und verbreiten sich rasend schnell. Bei dem Fall in Karlsruhe sei das Video nicht in der Klassenstufe ihrer Tochter geblieben, berichtet die Mutter. Klassenübergreifend sei sie auf das Tanzvideo angesprochen worden. "Sie kam tagelang weinend von der Schule nach Hause, weil sie dann auch dort gemobbt worden ist. Das Video wurde über Whatsapp auch an andere Klassen verteilt", erzählt die Mutter.
Uwe Leest ist Vorsitzender des Bündnis gegen Cybermobbing. Er warnt vor den gefährlichen Folgen von Cybermobbing. Die seien weit schlimmer, als Eltern vermuten könnten. Die Cyberlife-Studie zeigt:
Eltern und Schulen gleichermaßen überfordert
Tatort für das Mobbing ist dabei das Internet, aber auch die Schule. Deshalb ist die auch oft der erste Ansprechpartner. Auch die Mutter der Karlsruher Schülerin suchte Hilfe bei der Schulleitung. Die habe sie aber erst überzeugen müssen, überhaupt tätig zu werden. Das Video sei ja nicht in, sondern vor der Schule gedreht worden, außerdem außerhalb der Schulzeit, hieß es von der Schulleitung.
Die Mutter aus Karlsruhe und die Eltern der anderen Betroffenen fühlten sich allein gelassen mit dem Cybermobbing gegen ihre Kinder. Die Lehrer hätten sich nicht verantwortlich gefühlt und wären selbst überfordert gewesen, berichtet die Mutter.
Das passe zu den Ergebnissen der Cyberlife-Studie, so Uwe Leest. Obwohl 80 Prozent der Lehrkräfte angeben, dass Cybermobbing an ihrer Schule ein Problem ist, sind nur wenige der Meinung, dass die eigene Schule verantwortungsvoll mit diesem Thema umgeht. Uwe Leest kritisiert, dass das Thema schon immer unterschätzt worden sei. Die Gesellschaft sage zwar immer, es sei wichtig, etwas dagegen zu tun - aber die Zahlen zeigten leider das Gegenteil.
Cybermobbing kaum strafrechtlich verfolgt
Spätestens, nachdem das Video klassenübergreifend in Whatsapp-Gruppen geteilt worden sei, hätte sich die Schule nicht mehr heraushalten können, sagt die Karlsruher Mutter - und das tat sie auch nicht. Es gab ein Gespräch mit der Täterin, deren Eltern, der Schulleitung und der Polizei, die dabei auch über strafrechtliche Konsequenzen aufgeklärt hat.
Cybermobbing wird in Deutschland kaum strafrechtlich geahndet. Auch das macht die Cyberlife-Studie klar. Grund dafür könnte die unzureichende Gesetzeslage sein, heißt es vom Bündnis gegen Cybermobbing. Seit Jahren setzt sich das Bündnis daher für ein Cybermobbing-Gesetz ein. In Frankreich und Österreich gibt es das schon, in Deutschland nicht.
Cybermobbing und Künstliche Intelligenz
Das Bündnis gegen Cybermobbing betont in ihrer aktuellen Studie auch den immer größer werdenden Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI). Schülerinnen und Schüler würden sie verwenden, um beispielsweise Fake-Profile, Fake-Bilder anzulegen und Fake-Chatverläufe zu erstellen. Das sei dann noch schwieriger zu kontrollieren und einzudämmen.
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jugendschutz.net hat seinen Bericht 2023 zum Jugendschutz im Netz vorgelegt. Der zeigt: Niemand sollte sich beruhigt zurücklehnen. Und: Künstliche Intelligenz verschärft die Risiken.
Bündnis gegen Cybermobbing: Prävention an Schulen hilft
80 Prozent der Cybermobbingfälle passieren laut der Studie an Schulen. Uwe Leest hält es deshalb für sinnvoll, vor allem da anzusetzen. Das hieße, Lehrer befähigen und sie besser auf solche Situationen vorzubereiten. Auch Eltern und Schüler sollten sich mit dem Thema Cybermobbing auseinandersetzen. Das Ziel müsse sein, dass wirklich jeder weiß, wie man bei einem Vorfall damit umgehen solle.
An Schulen, die offensiv gegen Cybermobbing vorgehen, haben die befragten Lehrer das Gefühl, das Problem besser unter Kontrolle haben. Diese Schulen gehen auch erfolgreicher mit Diskriminierung in anderen Bereichen um.
Unterm Strich passiere das aber an zu wenigen Schulen, kommt die Studie zu dem Ergebnis. Da seien sich in der Befragung Schüler, Lehrer und Eltern gleichermaßen einig. Und das, obwohl tendenziell immer mehr Menschen von Cybermobbing betroffen sind.