Symbolbild: Ein Pärchen beim Sex. Eine Firma aus dem Kreis Karlsruhe verkauft Blutkapseln, mit denen Frauen ihre Jungfräulichkeit vorspielen können.

Umstrittenes Geschäft

Blut als Beweis beim Sex: Firma bei Karlsruhe verkauft "Jungfräulichkeit"

Stand
Autor/in
Elisabeth Theodoropoulos
Mirka Tiede
SWR-Reporterin steht in einem Großraumbüro

Eine Firma bei Karlsruhe verkauft Blutkapseln, mit denen Frauen ihre Jungfräulichkeit beim Sex vortäuschen können. Sie sollen zu mehr Selbstbestimmung verhelfen. Ein umstrittenes Geschäft.

"Die Jungfräulichkeit wiederherstellen" - das verspricht das Unternehmen VirginiaCare aus Waghäusel (Kreis Karlsruhe). Es verkauft Blutkapseln, die sich Frauen vor dem Sex einführen können. Nach einiger Zeit sollen sich laut Hersteller die Kapseln vollständig auflösen und eine Blutspur auf dem Laken hinterlassen, um vorzutäuschen, dass man zum ersten Mal Sex hatte.

Einen ähnlichen Effekt sollen laut Unternehmen auch die künstlichen Hymen mit "Jungfernblut-Pulver" haben. Daneben bietet VirginiaCare unter anderem aber auch ein Vagina-Straffungsgel an, welches nach mehrmaliger Anwendung für "eine spürbar straffere und jungfräulich anfühlende Vagina" sorgen soll.

VirginiaCare findet nach eigenen Angaben weltweit Abnehmer. Die Produkte würden aber besonders auf den Märkten in Europa, dem Nahen Osten und Asien gekauft werden. Der Wunsch nach persönlichem Wohlbefinden stehe dabei im Vordergrund, so das Unternehmen. Aber hinter der Vermarktung des Produkts steckt ein weit verbreiteter Irrglaube.

Ein künstlicher Hymen von VirginiaCare wird im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden ausgestellt.
Ein künstlicher Hymen von VirginiaCare wird im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden ausgestellt.

Jungfräulichkeit beim Sex: Gibt es das Jungfernhäutchen?

Der Mythos des Hymens, das beim ersten Sex reißt und blutet, hält sich besonders hartnäckig. Und dass, obwohl es unmöglich ist, am Körper einer Person abzulesen, ob sie schon mal Sex hatte oder nicht. Der Begriff Hymen ist altgriechisch und bedeutet "Häutchen". Häufig wird es auch als Jungfernhäutchen bezeichnet.

Dadurch spiegelt sich der Mythos aber bereits im Namen wider. Denn dieses Hymen soll ein dünnes Häutchen sein, welches den Scheideneingang verschließt und beim ersten Geschlechtsverkehr mit einem Penis zerreißt. Mit dieser Definition stand es bis Anfang 2022 noch in den meisten Schulbüchern. Auch Duden Online vermittelte bis 2019 dieses falsche Bild.

Laut der Gynäkologin Alicia Baier ist das Hymen stattdessen aber ein elastischer Gewebesaum, der den Vaginaleingang ringförmig umgibt. Da es sich anatomisch also eher um einen dehnbaren Hautkranz als um ein verschlossenes Häutchen handelt, kann auch der lateinische Begriff Corona vaginalis verwendet werden.

Sexualität Mythos Jungfernhäutchen – Wie falsche Vorstellungen Frauen schaden

Das Jungfernhäutchen, auch Hymen genannt, soll beim ersten Sex reißen wie eine Folie. Ein Irrglaube, der sich hartnäckig hält und viele Frauen dazu bringt, sich operieren zu lassen.

Das Wissen SWR Kultur

Nicht alle Frauen bluten beim ersten Geschlechtsverkehr

Tatsächlich bluten Frauen nach Angaben von Alicia Bauer nicht zwangsläufig beim ersten Geschlechtsverkehr. "Vielleicht wenn man sehr verkrampft ist, dass es eben an der Corona vaginalis zu kleinen Einrissen kommt, oder aber auch an anderen Stellen in der Vagina", sagt die Gynäkologin. Das müsse aber nicht zwangsläufig beim ersten Mal passieren und könne auch beim zweiten oder dritten Mal vorkommen.

Für die Gynäkologin Alicia Baier seien patriarchale, also männlich geprägte Strukturen, für diesen Irrglauben verantwortlich. Diese Ansicht teilt unter vielen anderen auch die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Der Mythos bestehe in den Augen der Gynäkologin, um die Kontrolle über den weiblichen Körper zu bekommen. Frauen würden in ihre traditionelle Geschlechterrolle zurückgedrängt werden.

Dazu gehöre auch, dass sie ihre Sexualität nicht selbstbestimmt erleben dürften. Stattdessen solle die Frau treu sowie fürsorglich sein, Kinder bekommen und möglichst nicht am öffentlichen Leben teilnehmen. "Das sind alles sehr antifeministische Gedanken", sagt Alicia Baier. Häufig wird die Einstellung mit Religionen in Verbindung gebracht. Es habe aber nichts mit dem Islam oder dem Christentum an sich zu tun.

Das Jungfernhäutchen

Der Name „Jungfernhäutchen“ ist irreführend. Es ist eigentlich eine Hautfalte zwischen Vulva und Scheide, die den Scheideneingang säumt, aber nicht verschließt.

Planet Schule: Du bist kein Werwolf - Über Leben in der Pubertät WDR Fernsehen

Operationen und Blutkapseln als Notlösung?

Der Mythos ist in der heutigen Gesellschaft trotzdem noch so weit verbreitet, dass sich einige Frauen operieren lassen oder Blutkapseln und künstliche Hymen verwenden. Die Medizinethikerin Verina Wild hat in einer Studie aus dem Jahr 2015 untersucht, welche Rolle die Rekonstruktion des Hymens mit einer Operation spielt. Das Fazit der Studie: In einem Umfeld, das Frauen nach wie vor unterdrückt, seien Blutkapseln oder eine Hymenrekonstruktion ein pragmatischer Weg für die Frauen, indem es sie vor Schlimmerem schützt. 

Auf der Website von VirginiaCare werden die Produkte als Werkzeuge beworben, um das Selbstvertrauen und die Würde der Frau wiederherzustellen. Die Produkte sollen Frauen die Kontrolle über ihren Körper und ihre Sexualität zurückgeben, in einer Welt, in der diese oft kontrolliert und reglementiert werden, schreibt das Unternehmen auf der Website.

Auch der Geschäftsführer von VirginiaCare bestätigt dieses Selbstbild. "Wir sehen unsere Produkte jedoch nicht als Verstärkung dieses Drucks, sondern als eine Möglichkeit für Frauen, ihre persönlichen Entscheidungen frei zu treffen", schreibt der Geschäftsführer Horst Lindemann auf Anfrage des SWR.

Alicia Baier: Es braucht eine kultursensible Aufklärung

Die Gynäkologin Alicia Baier kritisiert die Darstellung des Unternehmens. Sie sieht solche Maßnahmen, ähnlich wie die Studie von Verina Wild, als eine pragmatische Notlösung. Es sei eine unmittelbare Hilfe, um Gewalt oder Gefahr abzuwenden und nicht eine selbstbestimmte Entscheidung.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand selbstbestimmt sagt: Ich möchte mein erstes Mal Geschlechtsverkehr mit so einer Blutkapsel, die ich mir erst mal im Internet besorgen muss, um Gefahr abzuwenden.

Um den Frauen in diesen Situationen langfristig helfen zu können, brauche es laut der Gynäkologin eine kultursensible Aufklärung mit verschiedenen Aufklärungsangeboten oder auch Kampagnen, die das klar verurteilen.

Dieses feministische Gedankengut, dass die weibliche Sexualität enttabuisiert wird, das muss vorangetrieben werden.

Auch Schulen könnten dabei mithelfen und im Sexualkundeunterricht Selbstbestimmung und Wissen über die korrekte Anatomie beider Geschlechter vermitteln, so Baier.

Mehr Informationen über den "Mythos Jungfernhäutchen"

Film „Elaha“ von Milena Aboyan: Mythos Jungfernhäutchen

In „Elaha“ von Milena Aboyan geht um eine junge Deutschkurdin, die vor der Hochzeit ihre Jungfräulichkeit wiederherstellen will. Zwischen bedingungsloser Liebe zu ihrer Familie und dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben hin- und hergerissen, muss sie eine schwerwiegende Entscheidung treffen. Ein berührender Film, der mit einem der größten Mythen des Patriarchats aufräumt.

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Gesellschaft Doku-Tipp: Mythos Jungfernhäutchen

Es ist ein anatomischer Mythos: Die Idee vom Jungfernhäutchen, das die Vagina verschließt und beim ersten Sex reißt. Doch Jungfräulichkeit lässt sich so medizinisch nicht nachweisen. Die Doku „Mythos Jungfernhäutchen“ klärt auf und ist in der ARD-Mediathek zu sehen.

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