In Baden Württemberg leben aktuell rund 1,5 Millionen Menschen in Armut. Das geht aus dem Armutsbericht 2024 hervor, den der Paritätische Wohlfahrtsverband am Dienstag in Karlsruhe vorgestellt hat. Armut sei ein ungelöstes Problem, betroffen seien vor allem Frauen, sagt Sabine Wild vom Landesverband. Rein statistisch sei die Armutsquote gegenüber 2021 sogar leicht zurückgegangen um 0,6 Prozent. Im Vergleich zum Jahr 2005 sei sie aber um 28 Prozent angestiegen.
Mutter aus Karlsruhe konnte sich nicht vorstellen, arm zu sein
Von Armut betroffen ist auch die 41 Jahre alte Michaela Engels aus Karlsruhe. Dass sie jemals selbst arm sein würde, konnte sich die Mutter von zwei Kindern nie vorstellen. Früher sei sie manchmal an bettelnden Frauen vorbeigegangen.
Natürlich habe sie ihr Schicksal angerührt, aber hinterher habe sie nicht weiter darüber nachgedacht, erzählt sie. Heute muss Michaela Engels mit den 550 Euro der Grundsicherung plus einem kleinen Zuverdienst aus dem Tagestreff für Frauen "TafF" vom Verein SOZPÄDAL in Karlsruhe auskommen.
Von Armut Betroffene fühlen sich wie Menschen zweiter Klasse
Besonders geschockt habe sie der Umgangston bei der Agentur für Arbeit, wenn man als Bittstellerin dort hinkomme, berichtet Michaela Engels. Der erste Betreuer sei noch nett gewesen, aber schon der nächste habe sie mit der Frage begrüßt, ob sie der deutschen Schriftsprache mächtig sei, weil sie zwei Minuten zu spät zu ihrem Termin erschienen war. Eine Entschuldigung, dass sie sich im Gebäude geirrt habe, habe der Sachbearbeiter mit der Bemerkung quittiert: "Also können Sie doch nicht lesen, oder?"
Das seien mit die schlimmsten 40 Minuten gewesen, die sie seit langem erlebt habe, berichtet die zweifache Mutter über den Termin mit dem Sacharbeiter. Sie hatte ihre Kinder nach der Trennung bei ihrem Mann in Hessen zurücklassen müssen, weil sie nicht für sie aufkommen konnte. Das war vor acht Monaten. Bis heute sei sie nicht in der Lage, wie früher einem geregelten Job nachzugehen.
Der Verein SOZPÄDAL in Karlsruhe und die Beratung durch Expertinnen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband seien für sie ein großes Glück gewesen. Beim ersten Besuch habe sie sich fast nicht in die Beratungsstelle getraut, berichtet Michaela Engels. Aber schon beim nächsten Besuch in der Agentur für Arbeit habe sie eine Sachbearbeiterin vom "TafF" begleitet. Auf einmal sei der ganze Vorgang überhaupt kein Problem mehr gewesen.
Viele Betroffene trauen sich nicht aufs Amt
Was Michaela Engels in Karlsruhe erlebt hat, halte viele Menschen davon ab, staatliche Hilfen und Zuschüsse in Anspruch zu nehmen, berichtet Sabine Wild vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Baden Württemberg. Scham sei ein entscheidender Faktor für die sogenannte verdeckte Armut, also die Dunkelziffer, die der jährliche Armutsbericht nicht erfasse.
Im Grunde hätten sich die Voraussetzungen seit Jahren kaum verändert. Armut, vor allem Altersarmut, sei weiblich. Beschämend für ein reiches Bundesland wie Baden-Württemberg findet Sabine Wild dabei vor allem die hohe Zahl von armen Kindern und Jugendlichen. Jedes fünfte Kind sei von Armut betroffen.
Paritätischer fordert bezahlbaren Wohnraum für arme Menschen
Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert deshalb vom Land deutlich größere Anstrengungen bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Genauso wichtig sei aber auch kostenloser Nahverkehr für Leistungsempfänger. Nur so könnten viele ihre Arbeitsstelle erreichen. Wichtig sei außerdem, den Zugang zu Hilfsangeboten zu erleichtern. Viele arme Menschen hätten keinen Zugang zum Internet und die Anträge auf Unterstützung seien zudem mit enormer Bürokratie verbunden.
Armutsbericht 2024: Altersarmut betrifft vor allem Frauen ab 65
Ältere Frauen ab 65 seien besonders häufig von Armut betroffen, berichtet auch Christian Braunnagel, Leiter der paritätischen Regionalgeschäftsstelle in Mittelbaden. Ihr Anteil liege bei fast 20 Prozent. In Karlsruhe sei zudem das Wohnungsproblem besonders groß, auch wenn die Stadt versuche, gegenzusteuern.
Und Armut sei oft gar nicht mehr so einfach zu erkennen: Der Mittelstand gerate immer häufiger in Existenzkrisen. Auch Menschen, die vorher nie Hilfe in Anspruch genommen hätten, tauchten auf einmal bei Tafeln oder Beratungsstellen auf, so Braunnagel. Das könnte in Zukunft das größte Problem werden, befürchtet der Paritätische Wohlfahrtsverband.