Erst der Hagelschauer im Kreis Calw, nun Überflutungen und große Wassermassen innerhalb kurzer Zeit im Raum Karlsruhe - der Sommer in Baden-Württemberg ist von heftigen Gewittern und Unwettern geprägt. Das liegt vor allem an der hohen Feuchtigkeit in der Luft, erklärt Prof. Dr. Michael Kunz, Hagelforscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Und die nehme durch den Klimawandel massiv zu. Ab Mittwochnachmittag warnt der Deutsche Wetterdienst (DWD) erneut vor Gewitter. Kunz will dieses Gewitter für seine Forschung verfolgen.
SWR Aktuell: Herr Kunz, zur Hagelforschung verfolgen Sie Gewitterzellen als Stormchaser - wo geht es hin und was ist Ihr Ziel?
Michael Kunz: Im Moment sieht es so aus, dass auf der Schwäbischen Alb die Bedingungen für Hagel am besten sind, vielleicht auch noch im Rheintal. In der Forschung interessiert uns der Aufwind in den Gewitterzellen, denn die Breite und Stärke des Aufwinds sind entscheidend für die Intensität der Gewitter. Wir versuchen spezielle Messsonden in den Aufwind reinzubringen. Bei der Hagelentstehung gilt: Je länger Eisteilchen in dem Aufwind verbleiben, desto größer können sie werden. Dabei spielt auch eine Rolle, wie sich diese kleinen Teilchen im Aufwind bewegen. Und das wollen wir mit den Sonden herausfinden. Sie verfolgen im Idealfall genau den Weg der kleinen Hagelkörnchen, die dann zum großen Hagelkorn heranwachsen. Diesen Vorgang möchten wir besser verstehen und kombinieren das mit unseren Modellen. Unser Ziel ist letztlich, durch Messungen vorherzusagen, wie groß der Hagel werden könnte.
SWR Aktuell: Wie entstehen eigentlich Gewitter?
Michael Kunz: Gewitter entstehen unter bestimmten Voraussetzungen: Zum einen braucht es eine relativ hohe Feuchtigkeit. Die hängt mit der Temperatur zusammen, weshalb es im Winter seltener Gewitter gibt. Zum anderen braucht es eine instabile Luftschichtung. Instabil heißt, dass die Temperatur mit der Höhe stark abnimmt, es also in der Höhe kalte Luft und am Boden warme Luft gibt. Deswegen bilden sich Gewitter bevorzugt am Nachmittag und in den Abendstunden, wenn die unteren Luftschichten sehr stark erwärmt sind. Dann brauchen Gewitter noch einen Auslöser, also eine Art Hebungsmechanismus. Der ist auch der Grund, warum die Gewittervorhersage so schwierig ist. Hebung entsteht zum Beispiel, wenn ein Luftstrom vom Gebirge mit bodennahen Luftschichten zusammenströmt oder sich der Untergrund stark erwärmt. Oder auch wenn eine Kaltfront oder Konvergenzlinie in der Nähe ist, sorgt das für Hebung. Beim Gewitter kommt es dann zunächst zur Kondensation, also Wolkenbildung, wobei Kondensationsenergie freigesetzt wird. Die Menge an freigesetzter Wärme bei Gewittern ist wirklich viel: Bei schweren Gewittern hat die Energie ein Äquivalent von mehreren 100 Atombomben. Je höher die Luftfeuchtigkeit ist, desto höher ist also die Wahrscheinlichkeit, dass es Gewitter gibt.
SWR Aktuell: Wenn Gewitter entstehen, wann kommt es zu Starkregen, wann eher zu Hagel?
Michael Kunz: Ich habe ja bereits von drei Bedingungen gesprochen, die wir für Gewitter brauchen: Feuchte in den bodennahen Luftschichten, eine instabile Schichtung und einen Auslösemechanismus. Jetzt gibt es noch eine vierte Bedingung und das ist die Änderung des Horizontalwindes mit der Höhe. Diese entscheidet über die Form des Gewitters. Also wenn der Wind mit der Höhe stark zunimmt oder sich die Richtung ändert, dann entstehen andere Gewitterzellen als zum Beispiel am Dienstag im Raum Karlsruhe, wo es kaum Strömungen in der Atmosphäre gab. Da hatte sich das Gewitter sehr langsam verlagert und es hat viel geregnet. Hagel entsteht nicht in diesen einfachen Zellen - wir nennen sie Einzelzellen. Der größte Hagel entsteht in sogenannten Superzellen, das sind auch einzelne isolierte Gewittersysteme, die aber rotieren. Und diese Rotation der Gewitter, die kommt aus der Änderung des Windes mit der Höhe. Das heißt, wenn der Wind stark zunimmt oder sich in der Richtung ändert - das nennt man übrigens Windscherung - dann können Multizellen oder Superzellen entstehen und die Wahrscheinlichkeit für Hagel nimmt zu.
SWR Aktuell: Warum werden Gewitter mit den Folgen des Klimawandels immer wahrscheinlicher?
Michael Kunz: Durch den Klimawandel steigt sowohl die Temperaturzunahme als auch die Feuchtigkeit. Und Feuchtigkeit ist die Energie für Gewitter. Ich habe die Feuchtigkeit für den süddeutschen Raum mit einem Vertikalprofil berechnet. Dafür gibt eine Radiosondenstation in Stuttgart und da hat die Feuchtigkeit in den letzten 30 Jahren um rund 15 Prozent zugenommen. Diese 15 Prozent sind wirklich richtig viel, wir sprechen hier von riesengroßen Energiemengen. Das heißt, es ist mehr Energie in der Atmosphäre, wodurch sich Gewitter bilden. Gleichzeitig wird durch mehr Feuchtigkeit mehr Niederschlag umgesetzt und auch Niederschlagsextreme nehmen überproportional zu. Das erleben wir seit ein paar Jahren und besonders in diesem Jahr: Gewitter führen vermehrt zu Hochwasser und Sturzfluten - das ist ganz klar eine Folge des Klimawandels.