Im Herbst 2019 schließt sich Valeria Anselm das erste Mal dem Protest der Klimabewegung Fridays for Future an. Seitdem hat die Bewegung sie nicht mehr losgelassen und die 19-Jährige hat zahlreiche Demos in Stuttgart selbst mitorganisiert.
SWR Aktuell: Fridays for Future wird in diesem August fünf Jahre alt. Ist das ein Grund zu feiern? Oder erinnert Sie das auch daran, was Sie in der Zeit alles noch nicht geschafft haben?
Valeria Anselm: Ich habe gemischte Gefühle. Wir sind sehr naiv am Anfang an die Sache rangegangen und dachten bei jedem globalen Klimastreik: Danach verändert sich was. Jetzt sind fast fünf Jahre vorbei und wir sind weggekommen von diesem Denken. Der Kampf für die Klimagerechtigkeit ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Aber wir haben uns in der Zeit eben auch vernetzt und kämpfen zusammen für etwas Gutes und deshalb bin ich froh, dass es die Bewegung gibt.
So schätzen Klimaaktivistin Luisa Neubauer und Vertreter der Parteien die bisherige Wirkung der Bewegung ein:
SWR Aktuell: Sie waren fast von Anfang an bei Fridays for Future dabei. Was hat Sie damals auf die Straße gebracht?
Anselm: Es war das Gefühl, dass so viel Ungerechtigkeit in der Welt passiert und ich deshalb nicht stillsitzen kann. In die ersten Demos bin ich tatsächlich ein bisschen planlos reingestolpert und dann gab es diesen großen, globalen Klimastreik. Ich bin zwischen 30.000 Menschen gestanden, habe die Leute gesehen, die den Streik organisiert hatten, und es gab diese Energie, mit der das Ganze einherging. Da habe ich gedacht: Wir können was verändern und ich will Teil davon sein.
SWR Aktuell: In der Anfangszeit von Fridays for Future gab es an vielen Orten in Baden-Württemberg jeden Freitag Schulstreiks. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Ist die Aufbruchstimmung vorbei?
Anselm: Auch wir als Bewegung mussten irgendwann einsehen: Man kann nicht mit der gleichen Energie jede Woche auf die Straße gehen. Vor allem, wenn eine Ortsgruppe nur aus zehn Leuten besteht, die auch noch ein Leben außerhalb von Fridays for Future haben. Diese bedingungslose Hingabe für den Aktivismus ist auch der Grund, warum sehr viele Aktivist:innen schon im ersten Jahr ausgebrannt sind.
SWR Aktuell: Wie finden Sie die richtige Balance zwischen Ihrem Aktivismus und Pausen, die Sie brauchen?
Anselm: Ich hatte sehr viele Punkte in den vergangenen Jahren, an denen ich gesagt habe, ich steige aus der Bewegung aus. Wenn man eine Pause macht, klopft sofort das schlechte Gewissen an und sagt: Es brennt überall, du kannst doch nicht abends am Lagerfeuer sitzen und irgendwelche Lieder singen! Aber ich glaube, das ist genau das, was es braucht. Es braucht Pausen. Es braucht Gemeinschaft und Freunde, mit denen man darüber reden kann. Das ist eine Form von nachhaltigem und gesundem Aktivismus.
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SWR Aktuell: Wenn Sie nicht auf der Straße sind, was machen Sie dann?
Anselm: Wir geben Workshops an Schulen, reden mit Beschäftigten und haben gerade mehrere Kampagnen am Laufen. Wir arbeiten inzwischen einfach anders als früher. Gleichzeitig ist es immer wieder schön, Demonstrationen zu haben, wo wir uns sehen und gemeinsam laut sein können.
SWR Aktuell: Zuletzt waren oft andere Klimaaktivisten in den Schlagzeilen: Stiehlt Ihnen die "Letzte Generation" die Show?
Anselm: Um Show geht es ja gar nicht, sondern um den Kampf für Klimagerechtigkeit. Diesen Kampf kann man auf unterschiedliche Art und Weise führen. Mir tut es aber weh, zu sehen, mit welcher Wut sich die Menschen teilweise gegenüberstehen. Ich glaube nicht, dass wir mit dieser Wut weiterkommen.
SWR Aktuell: Verprellt die "Letzte Generation" damit Ihrer Meinung nach auch Menschen, die Bewegungen wie Fridays for Future vorher offen gegenüberstanden?
Anselm: Es ist eine andere Art, Aktivismus zu machen. Es gibt "Extinction Rebellion", es gibt "Ende Gelände", es gibt ganz viele verschiedene Arten von Klimagerechtigkeitsgruppen - und die "Letzte Generation" gehört eben auch dazu. Sie schaffen auf jeden Fall Aufmerksamkeit für das Thema. Das muss man denen lassen.
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SWR Aktuell: Aufmerksamkeit ist das eine, das andere ist, wie Politikerinnen und Politiker mit Ihren Botschaften umgehen. Wie würden Sie den Einfluss von Fridays for Future auf die Politik in Baden-Württemberg bewerten?
Anselm: Wir versuchen, Druck aufzubauen. Das ist aber schwierig, weil es zu viele Politiker:innen gibt, die stur an ihren Positionen festhalten. Das ist sehr frustrierend gewesen in den vergangenen Jahren.
SWR Aktuell: Wir haben in Baden-Württemberg mit Winfried Kretschmann einen grünen Ministerpräsidenten. Hat er Ihrer Meinung nach genug fürs Klima getan?
Anselm: Ich finde, die Grünen sind sehr gut im Greenwashing und das gilt meiner Meinung nach auch für Ministerpräsident Kretschmann. Zum Beispiel setzen wir auch hier im Land noch immer nicht genug auf Erneuerbare Energien. Stattdessen läuft in Mannheim-Neckarau ein großes Kohlekraftwerk weiter.
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SWR Aktuell: Sie drücken beim Klima aufs Tempo. Aber die Frage ist doch: Könnte die Politik Ihr Tempo überhaupt durchhalten, ohne die Zustimmung vieler Menschen zu verlieren?
Anselm: Es ist die Aufgabe der Politik, mit den Menschen ins Gespräch zu gehen und ihre Ängste ernst zu nehmen. Politiker:innen sollten die Skeptiker:innen deshalb fragen: Was braucht ihr von uns, damit ihr diese Entscheidung gemeinsam mit uns tragen könnt? Ich wünsche mir viel mehr Räume, in denen Menschen sich aktiv an politischen Entscheidungen beteiligen können. Statt eine Entscheidung mit Biegen und Brechen durchzusetzen, wäre es viel nachhaltiger, wenn alle diese Entscheidung mittragen können.
SWR Aktuell: Ist das nicht eine Utopie?
Anselm: Es ist auf jeden Fall eine Utopie und trotzdem ist es etwas Erstrebenswertes. Uns ist klar, dass es nicht immer ohne Kompromisse geht.
SWR Aktuell: Was wollen Sie in den nächsten fünf Jahren mit Fridays for Future erreichen?
Anselm: Momentan arbeiten wir an der Mobilitätswende und daran, dass Deutschland aus der Kohle aussteigt. Da müssen wir weiter Druck auf die Politik aufbauen. Als Bewegung wollen wir weiterwachsen und auf dem Weg in eine klimagerechte Zukunft so viele Menschen mitnehmen, wie möglich.