Graziano Parutto ist immer noch überwältigt. Mit solch einem Erfolg hat er nicht gerechnet. Die erst im Frühjahr neu gegründete Interessengemeinschaft "Pro Bad Mergentheim" hat bei der Kommunalwahl das zweitbeste Ergebnis in Bad Mergentheim (Main-Tauber-Kreis) eingefahren und kommt auf sieben Sitze im Gemeinderat. Sprachlos ist der wortgewandte und umtriebige Gastronom nach eigenen Angaben eher selten. Aber, dass er als Stimmenkönig ins Gremium einziehen wird, "da ist mir schon mal kurz die Spucke weggeblieben", sagt Parutto lachend.
Erst die Glückwünsche, dann das Eis
Auch Tage nach der Wahl nimmt der 45-Jährige hinter dem Tresen statt Eisbestellungen zunächst Glückwünsche seiner Kundschaft entgegen. Viele kommen vorbei, um zu gratulieren. "Aber es war eine Gemeinschaftsleistung", darauf legt Parutto wert. Aus einer Ende Januar gegründeten Whatsapp-Gruppe sei innerhalb von acht Wochen eine Liste mit 28 Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl entstanden, eine "kunterbunte Gruppe" von 26 bis 81 Jahren.
Den Wahlerfolg sieht Mitstreiter Heiko Oertel auch als "Abrechnung mit der derzeitigen Lokalpolitik", weil in Bad Mergentheim doch das eine oder andere im Argen liege. Oertel kritisiert beispielsweise die Verkehrsführung und die Parkplatzsituation in der Stadt. Die vielen Baustellen und auch die Kosten für die Landesgartenschau 2034 seien ein großes Thema in der Stadt, ergänzt Parutto.
"Wir wollen Sprachrohr für die Bürger sein", sagt er. Als Gastronom sei er ganz nah dran an den Menschen, sein Eiscafé sei Anlaufstelle für viele Einheimische und Gäste, die Fragen und Anregungen haben.
Umfrage gab Anstoß für Kandidatur
Dass Handlungsbedarf bestehe, sei ihnen durch eine im Januar gestartete Umfrage bewusst geworden, sagen die beiden künftigen Stadträte. Dabei hätten 160 Teilnehmende ihre Unzufriedenheit mit der Verkehrsführung und vielen anderen Themen in der Stadt geäußert. Gewerbetreibende und Einzelhändler beklagten unter anderem fehlende Parkplätze in der Innenstadt und forderten schnelle Lösungen. Einige sorgten sich um ihre Existenz. Die Umfrage habe letzten Endes den Ausschlag für die Gründung der Interessengemeinschaft gegeben. Jetzt wolle man für mehr Lebensqualität, Transparenz und Kommunikation sorgen.
Das überraschende Abschneiden der neuen Liste ist in den Tagen nach der Wahl noch immer Gesprächsthema in der Bad Mergentheimer Fußgängerzone. "Neue Leute sind immer willkommen, vielleicht bringen sie frischen Wind", meint eine Passantin. Einige hatten das Ergebnis der politischen Neueinsteiger wohl so erwartet. "Die haben die Leute abgeholt mit Themen, die sie interessieren, wie Spielplatzausbau und alles, was Familien angeht", sagt eine junge Frau. Dass der Eisverkäufer zum Stimmenkönig wurde - auch das überrascht sie nicht. "Den Graziano kennt einfach jeder, der hat viele Freunde, viele Fans." Und ein älterer Herr meint augenzwinkernd: "Solange er gutes Eis macht, hat er natürlich auch gute Chancen, Stimmen zu bekommen."
Stimmenkönig bald OB-Stellvertreter?
Bleibt die Frage, ob der Stimmenkönig nun auch Oberbürgermeister-Stellvertreter wird? In vielen Kommunalparlamenten ist dies gängige Praxis. "Das ist zeitlich für mich schier unmöglich, höchstens in den Wintermonaten", sagt Graziano Parutto. Dass der Eisverkäufer angesichts des hohen Amts vielleicht doch kalte Füße bekommen könnte, ist reine Spekulation.