Mehrmals in der Woche muss die Polizei in der Notaufnahme der SLK-Klinik am Gesundbrunnen in Heilbronn anrücken. Immer häufiger kommt es vor, dass Patientinnen und Patienten aggressiv gegenüber Pflegepersonal und Ärztinnen und Ärzten werden, die Hemmschwelle scheint zu sinken. In den allermeisten Fällen geht es, zumindest in Heilbronn, "nur" um verbale Auseinandersetzungen oder Beleidigungen. Handgreiflichkeiten sind die Ausnahme. Doch auch für solche Bedrohungsszenarien will die Klinik ihre Mitarbeitenden vorbereiten, mit einem Kurs für Selbstverteidigung.
Selbstbewusstsein stärken
Da gibt es dann nicht nur trockene Theorie zum Thema Kommunikation. Auch das Zuschlagen wird ganz konkret geübt - genau wie der gezielte Tritt zwischen die Beine. Den beiden Trainern Jan Winkler und Adi Gulczynski ist dabei klar: Um solche Techniken im Alltag einzusetzen, bedarf es viel Übung. Ein Seminartag reicht da noch lange nicht. Aber alleine ein Gefühl dafür zu bekommen und dann im Alltag zu wissen, wie sich so ein Schlag anfühlt, das stärke bereits das Selbstbewusstsein und auch die Körperhaltung. Und helfe so, dass es erst gar nicht zu einer Eskalation komme.
Dieses Selbstbewusstsein fehlt vielen, wissen die beiden Trainer. Manchen Teilnehmenden müssen sie erst einmal erklären, wie man eine richtige Faust macht.
Beschimpfungen gehören zum Alltag
Julia Stutz arbeitet als Krankenpflegerin in der Zentralen Notaufnahme. Beleidigungen und Beschimpfungen gehören für sie zum Alltag, besonders wenn Patientinnen oder Patienten mal etwas länger auf den Arzt oder die Ärztin warten müssen. Unter Alkohol- oder Drogeneinfluss steigt auch die Gefahr eines körperlichen Angriffs. Zum Glück gibt es in dem Fall in Heilbronn einen Sicherheitsdienst und auch generell viel Personal in der Notaufnahme. In einem Fall lagen sie am Ende zu acht auf einem Patienten, um ihn unter Kontrolle zu bringen, erzählt Stutz.
Die langen Wartezeiten sind ein häufiger Auslöser für Aggressionen. Dabei kann hier das Personal am wenigsten dafür; viele Bagatellfälle würden die Notaufnahme einfach unnötig belasten, findet Stutz. Ihr wurde auch direkt nach der Ausbildung gesagt, für den Beruf braucht man ein dickes Fell. Wer zu nah am Wasser gebaut ist, erzählt Stutz, für den sei die Notaufnahme sicher nichts.
Fälle aus dem Alltag der Pflegenden
In dem Kurs kommen ganz konkrete Fälle aus dem Alltag vor. Beispielsweise der eines Mannes, der kurz eine Zigarette rauchen ging, als seine Frau im Kreißsaal lag. Als er zurück kam, war das Baby bereits auf der Welt. Der Mann sah rot, wurde aggressiv, schlug auf Wände ein. Er schrie seine Frau an, warum sie nicht gewartet habe.
Oder ein sehr häufig genanntes Szenario: die Großfamilien. Wenn gleich zehn oder zwölf Angehörige auf einmal eine Pflegerin oder einen Pfleger bedrängen, alle sofort ins Zimmer wollen, keine Geduld haben, auf einen Arzt zu warten. In Gruppen spielen die Teilnehmenden die Situation im Seminar nach. Dabei sollen beide Seiten beleuchtet werden: Wie würde ich als Angehöriger auf die Aussagen des Pflegepersonals reagieren, was funktioniert am besten zur Beruhigung?
In manchen Fällen geht um gar keine böse Absicht: Bei Demenzkranken kann es dazu kommen, dass sie einen packen oder begrapschen. Wie man sich dann aus einem solchen Griff löst, auch so eine Situation wird in dem Kurs geübt.
Nachfrage nach den Kursen nimmt zu
Die Trainer Jan Winkler und Adi Gulczynski sind mit ihrem Kurs bereits seit sieben Jahren an den SLK-Kliniken. Diesmal sind es 15 Teilnehmende, 13 Frauen und 2 Männer. Die kommen auch von anderen Standorten, nicht nur aus Heilbronn. Dass es so viel mehr Frauen als Männer sind, ist bei den Kursen für Pflegepersonal normal, erklärt Winkler. Er und Gulczynski geben auch Kurse für Feuerwehren, da seien es dann hauptsächlich Männer.
Die Nachfrage für die Seminare nimmt zu, es kommen ständig neue Branchen dazu, sagt Winkler. Im Einzelhandel, auf Ämtern - überall scheint der Geduldsfaden kürzer und der Egoismus größer zu werden.