Zehn Jahre ist es her: Damals brannte in der Thüringer Stadt Eisenach nach einem Banküberfall ein Wohnmobil aus. Darin befanden sich die Leichen der beiden Bankräuber Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. In den folgenden Tagen wurde klar: Es muss sich um die Mörder der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn sowie weiterer Opfer in ganz Deutschland handeln. Zehn Menschen hatte die rechtsextreme Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ermordet, Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle verübt.
Polizei jagt mit Gen-Spur das "Phantom von Heilbronn"
Jahrelang jagte die Polizei danach das "Phantom von Heilbronn": eine vermeintliche Gewalttäterin, der unter anderem sechs Morde angelastet wurden und die ihre "Gen-Spur" auch nach mehreren Einbrüchen hinterlassen hatte. Im März 2009 dann musste der Heilbronner Oberstaatsanwalt Volker Link zugeben: Das Erbgut war beim Verpacken in der Fabrik auf die Wattestäbchen zur Spurensicherung gekommen - und hatte die Ermittler an der Nase herumgeführt.
Bis zu jenem Tag hatte es keine heiße Spur zu den Mördern der Polizistin Kiesewetter in Heilbronn gegeben. Über vier Jahre gingen die Ermittlungen der Sonderkommission in Heilbronn ins Leere. Als wenige Tage nach dem Wohnmobil-Brand die Waffen der ermordeten Polizistin und ihres Kollegen bei den toten Neonazis gefunden wurden, war die Lage aber klar.
Polizistin wird NSU-Opfer in Heilbronn
Die Polizistin Michèle Kiesewetter ist das letzte bislang bekannte Opfer des NSU. Die 22-Jährige wuchs in Thüringen auf und wurde am 25. April 2007 auf dem Heilbronner Festplatz Theresienwiese erschossen. Ihr Kollege überlebte lebensgefährlich verletzt nach einem Kopfschuss. Was genau an dem Tatort passierte, bleibt ungeklärt. Allerdings wurde eine DNA-Spur gefunden.
Ungereimtheiten und Ku-Klux-Klan-Kontakte
Es war nicht nur für den damaligen Innenminister Reinhold Gall (SPD) aus Obersulm (Kreis Heilbronn) unfassbar, was zwei Untersuchungsausschüsse des Landtags nachwiesen: Das NSU-Trio hatte mehr als 30 Kontakte in und um Ludwigsburg und Heilbronn.
Ein ehemaliger Beamter des Verfassungschutzes berichtete gar, dass es bereits im Jahr 2003 Hinweise auf die Nazi-Terrororganisation und geplante Banküberfälle im Raum Heilbronn gegeben haben soll - und zwar von einem Informanten in Flein (Kreis Heilbronn). Sein Chef habe ihn angwiesen, so die Aussage, den zugehörigen Ordner zu schreddern.
Vieles bleibt ungeklärt
Ungereimtheiten bleiben, auch Untersuchungsausschüsse unter anderem in Berlin und Stuttgart konnten kein Licht ins Dunkel bringen. So gibt es zum Beispiel zwar Indizien, aber keine Beweise, dass Mundlos und Böhnhardt überhaupt auf der Theresienwiese waren. Und wurde die Polizistin Kieswetter wirklich zufällig zum Opfer des NSU? Hatte der NSU in Baden-Württemberg nur Kontakte oder auch Helfer? Der jetzige Innenminister Thomas Strobl (CDU) hofft noch immer, dass es darauf Antworten geben wird, womöglich, weil Mitwisser auspacken.
Jahrelanger Prozess in München gegen Beate Zschäpe
Manch offene Frage konnte aber auch im Prozess gegen die NSU-Komplizin Beate Zschäpe nicht ausgeräumt werden. Zschäpe hatte nach dem Brand des Wohnmobils die gemeinsame Wohnung von ihr, Böhnhardt und Mundlos in Zwickau (Sachsen) angezündet und sich kurze Zeit später in Jena gestellt.
Fünf Jahre lang wurde vor dem Münchner Oberlandesgericht gegen sie verhandelt, seit Kurzem ist das Urteil rechtskräftig. Zschäpe sagte aus, ihre NSU-Mitbewohner Mundlos und Böhnhardt hätten den Anschlag auf die Heilbronner Polizistin Kiesewetter und ihren Kollegen allein verübt. Einziger Grund für die Tat: Polizeiwaffen zu erbeuten, die zuverlässiger seien als die eigenen. Kritische Stimmen hegen auch heute noch Zweifel daran.
Gab es weitere Helfer des NSU-Netzwerks?
Vor allem ist es kaum zu glauben, dass das Trio bei den Morden keine Helfer und Hinweisgeber hatte. Helfer wurden jedoch nie ermittelt. Polizei und Staatsanwaltschaft suchten bei den Opfern meist zuerst im eigenen Umfeld nach den Tätern - oder jagten, wie in Heilbronn, einem Phantom hinterher.
Zwar wurden von der Bundesanwaltschaft weitere Ermittlungen gegen mutmaßliche NSU-Unterstützer eingeleitet, Anklagen gab es aber keine. Lediglich der engste Kreis des Netzwerks musste sich vor Gericht verantworten: Im Mai 2013 begann unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen in München der Prozess, der auf weltweites Medieninteresse stieß: Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte standen vor Gericht. Im Juli 2018 wurde Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt - unter anderem für zehnfachen Mord und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die anderen Angeklagten erhielten mehrjährige Haftstrafen.
Auch Untersuchungsausschüsse im Thüringer Landtag beschäftigten sich unter anderem mit der rechten Szene in Jena. Die wichtige Frage nach dem Unterstützernetzwerk wurde dort ebenso behandelt. Der Ausschuss kam zur Feststellung, dass es "ein Netzwerk gegeben hat, das größer ist als das, was vor Gericht stand", so damals Obfrau Katharina König-Preuss (Linke).