Der Präsident des Gemeindetags, Steffen Jäger, hat die Kundgebung am Donnerstag zum 50. Jubiläum des Kommunalverbands für eine Abrechnung mit Bundes- und Landesregierung genutzt. "Die Summe der staatlichen Leistungsversprechen übersteigt die staatliche Leistungsfähigkeit", sagte Jäger in Villingen-Schwenningen (Schwarzwald-Baar-Kreis) vor knapp 700 Kommunalvertreterinnen und -vertretern sowie Gästen. Immer mehr Menschen zweifelten an der Demokratie, weil die Politik ihre Versprechungen nicht halte.
Jäger forderte: "Die Zeiten von zusätzlichen Standards, Rechtsansprüchen und staatlichen Leistungszusagen müssen vorbei sein." Stattdessen brauche es eine politische Kultur, in der nur so viel versprochen wird, wie auch geleistet werden könne.
Jäger: Mehr Eigenverantwortung statt Vollkasko-Mentalität
Aber nicht nur die Politik, auch Bürgerinnen und Bürger müssten angesichts der zahlreichen Krisen ihre Ansprüche herunterschrauben: "Es braucht dringend wieder mehr von dieser Grundhaltung: mehr Eigenverantwortung, mehr Leistungsbereitschaft statt einer sich immer weiter auswachsenden Vollkasko-Mentalität", so der Präsident und warnte: "Das Gelingen dieses Staates ist zunehmend gefährdet."
Er rief dazu auf, die Realitäten der Menschen ernst zu nehmen und die Probleme beim Namen zu nennen. Das betreffe die aktuelle Flüchtlingssituation genauso wie die Energie- und Verkehrswende oder die Krise bei der Kinderbetreuung.
Gemeindetags-Chef: "Grenzen des Machbaren vielerorts überschritten"
Die Kommunen hätten in den vergangenen 20 Monaten über 220.000 Geflüchtete aufgenommen. Die regulären Aufnahmekapazitäten seien längst belegt: "In den Kitas gab es schon vor der Flüchtlingswelle keine freien Plätze mehr und auch die Schulen sind voll. Die ärztliche Versorgung ist über der Belastungsgrenze und Sprachkurse gibt es nicht annähernd in ausreichendem Maße. Von Wohnraum ganz zu schweigen." Auch das Personal in den Ausländerbehörden ist laut Jäger "über dem Limit". Für ihn sind "die Grenzen des Machbaren vielerorts bereits überschritten".
Scharfe Kritik an Kürzungen durch den Bund
Es könne nicht sein, dass der Bund seine finanzielle Hilfe in dieser Lage kürze. "All das geht weit an der Realität der Städte und Gemeinden vorbei, und die Menschen spüren das." Das führe dazu, dass es weniger Akzeptanz für die Aufnahme geflüchteter Menschen gebe. Und: Der echte politische Rand werde gestärkt, warnte Jäger.
Der Gemeindetags-Chef betonte, die Kommunen würden weiter ihren Teil beitragen. "Wir sind keine Populisten, wir sind keine Ausländerfeinde." Es seien jetzt aber wirksame Maßnahmen nötig, um die steigende Migration zu begrenzen. Jäger betonte, die Kommunen seien lange von der Politik nicht gehört worden, deswegen müsse man die Forderungen nachdrücklicher vertreten. "Auch die Strategie 'bloß nicht laut zu sagen, was aktuell nicht gut läuft' ist gescheitert. Lassen Sie es mich ganz klar sagen: Das Benennen von Realitäten ist niemals das Bedienen von rechtspopulistischen Narrativen."
Kretschmann will gegen irreguläre Zuwanderung vorgehen
Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der bei der Feier die Festrede hielt, hatte jüngst eine Begrenzung in der Migrationspolitik gefordert. In Villingen-Schwenningen sagte Kretschmann, ihm sei die angespannte Situation in den Kommunen bewusst. "Die aktuelle Situation hat die Wucht unsere demokratischen Institutionen zu erschüttern." Man müsse verstärkt gegen irreguläre Migration vorgehen.
"Abgelehnte Asylbewerber müssen konsequent abgeschoben werden", so der Ministerpräsident. Er mahnte die Kommunen, nicht nur Kritik zu üben. Es stimme, dass die Politik bei den Menschen Vertrauen verloren habe. "Jetzt müssen wir es zurückgewinnen", sagte Kretschmann. An Präsident Jäger gewandt sagte er: "Bei aller Kritik, die Sie geäußert haben - wir müssen auch Zuversicht ausstrahlen." Sonst würden die Menschen von den vielen Hiobsbotschaften erdrückt.
Kretschmann betonte, das Land greife Städten, Gemeinden und Kreisen finanziell stark unter die Arme. "Das Land stattet die Kommunen gut aus." Ein Viertel des Landeshaushalts gehe an Städte, Gemeinden und Kreise. Er sei froh, dass man sich auf eine Initiative zur Entbürokratisierung einigen konnte. "Wir müssen es hinbekommen, wir können so nicht weitermachen." Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien müsse die Sorge um den Flächenverbrauch zurückstehen. "Es ist klar: Alles, was die Transformation betrifft, wird selbstverständlich auch Flächen benötigen."