Die Elterninitiative für eine flächendeckende Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium hat innerhalb eines knappen Jahres fast 78.000 Unterschriften für einen entsprechenden Volksantrag gesammelt. Die Initiatorinnen übergaben die Unterschriften am Donnerstag im Landtag in Stuttgart an Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne). "Wir haben das Quorum damit ein zweites Mal erreicht", sagte Corinna Fellner, eine der Initiatorinnen.
Parlament hat jetzt drei Monate Zeit
Mit Übergabe der Unterschriften und des Volksantrags an den Landtag liegt der Ball nun bei der Politik. Das Parlament hat der Geschäftsordnung zufolge drei Monate Zeit, über die Zulässigkeit des Antrags zu entscheiden. Außerdem wird der Antrag an die Landesregierung weitergeleitet. Sie muss danach innerhalb von vier Wochen dazu Stellung beziehen.
Wird der Volksantrag vom Landtag zugelassen, muss das Parlament innerhalb von weiteren drei Monaten über den Gesetzentwurf der Initiative beraten und entscheiden. Lehnt der Landtag den Entwurf ab, können die Initiatorinnen als weiteren Schritt ein Volksbegehren beantragen. Dann müssten sie erneut Unterschriften sammeln - dann aber deutlich mehr, nämlich von einem Zehntel aller Wahlberechtigten im Land. Das sind derzeit rund 770.000 Menschen.
Initiative benötigte 39.000 Unterschriften
Die Elterninitiative sammelte seit November vergangenen Jahres Unterschriften für den Volksantrag an den Landtag. Damit über den Gesetzentwurf im Plenum beraten wird, brauchte die Elterninitiative innerhalb eines Jahres die Unterschriften von 0,5 Prozent aller Wahlberechtigten. In Baden-Württemberg entspricht das rund 39.000 Unterschriften.
Die Initiatorinnen und Initiatoren hatten sich bereits im Vorfeld zuversichtlich gezeigt, bis zur Übergabe auch genügend Unterschriften beisammen zu haben. Doch "das Informieren und Mobilisieren der Menschen war ein Kraftakt, das Verfahren an Aufwand kaum zu übertreffen", so die Initiative. In den vergangenen Tagen sei aber "eine wahre Flut" an Unterschriften bei ihnen eingegangen. Zwischenzeitlich hatten die Eltern befürchtet, die notwendige Zahl der Unterschriften nicht zu erreichen.
Initiatorinnen: Jeder Unterzeichner musste DIN-A4-Blatt ausfüllen
Mitinitiatorin Fellner kritisierte das umständliche Verfahren. So habe jeder Unterzeichner des Volksantrags ein DIN-A4-Blatt ausfüllen müssen, bei jedem einzelnen Blatt habe dann die zuständige Gemeinde die Wahlberechtigung des Unterzeichnenden bestätigt. Viele Ämter hätten gar nicht gewusst, wie sie vorgehen müssen, sagten die Initiatorinnen. Zahlreiche Formblätter seien deswegen mehrfach hin und her geschickt worden. "Das ist einfach eine Wahnsinnshürde", so Fellner.
Was hat das achtjährige Gymnasium gebracht? Unser Kollege Niklas Feil hat den Überblick:
G9 derzeit nur an 44 staatlichen Schulen in BW
Derzeit ist in Baden-Württemberg das achtjährige Gymnasium Standard. G9 gibt es nur noch als Modellprojekt an 44 staatlichen Schulen und an einigen Privatschulen. Mit dem Volksantrag wollen die Initiatorinnen die flächendeckende Rückkehr zu G9 erreichen. Als Grund für die Rückkehr nannte die Initiative, dass die Kinder wegen der verkürzten Schulzeit unter einem starken Leistungsdruck stünden und wenig Freizeit hätten. Zudem fehle im Unterricht die Zeit für die Übung und Vertiefung des Gelernten.
Landeselternbeirat fordert "neues G9"
Unterstützung für den Volksantrag erhielt die Initiative vom Landeselternbeirat. Dessen Vorsitzender, Sebastian Kölsch, sprach von einer "phänomenalen Leistung" und forderte die Einführung eines "neuen G9". Diese sollte nach Ansicht der Eltern stärker auf Chancengerechtigkeit, individuelle Förderung und Inklusion setzen.
Auch der Landesschülerbeirat Baden-Württemberg begrüßte die starke Unterstützung für den Volksantrag. Die fast 78.000 Unterschriften, die Eltern gesammelt haben, seien ein Teilerfolg. "Dieses Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen", sagte Berat Gürbüz, der Vorsitzende des Landesschülerbeirates, am Freitag. Die Dringlichkeit der Debatte sei nicht mehr zu leugnen.
Der Landesschülerbeirat habe die Initiative von Anfang an unterstützt. Dass die Gegner hauptsächlich finanzielle Gegenargumente brächten, sei äußerst schwach, so Gürbüz. Der Eltern-Antrag sei der finale Weckruf, den die Landesregierung nicht weiter ignorieren könne. Der Landesschülerbeirat blicke jetzt mit Interesse und Erwartungen auf den Landtag, der über das Ergebnis beraten müsse.
Opposition unterstützt Rückkehr zu G9
Auch die Opposition im Landtag ist geschlossen für die Rückkehr zu G9. SPD-Bildungsexperte Stefan Flust-Blei sagte, die Zahl der Unterschriften zeige, "wie viel Druck im Kessel der Eltern ist". Es brauche eine echte Wahlfreiheit zwischen G8 und G9. Die FDP sieht in dem Volksantrag ein klares Signal an die Landesregierung. "Hören Sie endlich auf, sich bei G9 herauszuwinden und handeln Sie", forderte Timm Kern, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Der AfD-Abgeordnete Rainer Balzer sagte, die Landesregierung sei nun in der Bringschuld. "Keine Laberrunden mehr. Sie muss den Willen des Volkes nun umsetzen", forderte er.
Grüne: Umstieg darf nicht zulasten anderer Schularten gehen
Auch die Fraktion der Grünen zeigte sich offen für die Forderung nach mehr G9. Aber "ein Umstieg von G8 auf G9 an den Gymnasien hätte enorme Auswirkungen für das Land. Das darf nicht zulasten anderer Schularten gehen, die für unser Bildungssystem ebenso wichtig sind", sagte der bildungspolitische Sprecher der Grünen, Thomas Poreski. Hinzu komme, dass zusätzliche Schulklassen auch Platz bräuchten: "Schulbauprojekte, die landesweit Hunderte von Millionen Euro kosten, sind angesichts der aktuellen Herausforderungen jedoch utopisch."
Nicht begeistert von einer möglichen Rückkehr zu G9 ist der Verband Bildung und Erziehung (VBE). Diese habe nachweislich negative Auswirkungen auf andere Schularten. "Letztlich ist es aber auch eine Frage der Ressourcen und diese sind im Bildungsbereich bekanntlich endlich", sagte VBE-Chef Gerhard Brand. Für eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium wären nach Angaben des Kultusministeriums rund 1.400 zusätzliche Stellen für Lehrkräfte nötig.
Es gebe wichtigere Reformen als ein zusätzliches Schuljahr an Gymnasien, so der VBE-Chef. Der Berufsschullehrerverband verweist zudem darauf, dass es mit den beruflichen Gymnasien bereits flächendeckend ein G9-Angebot gebe. Das sei oftmals nicht bekannt. "Ein flächendeckender G9-Ausbau an allgemeinbildenden Gymnasien würde hier unnötige Doppelstrukturen schaffen", sagte der Verbands-Vorsitzende Thomas Speck.
Bürgerforum soll Empfehlungen geben
Die Landesregierung hatte sich Mitte Juni erstmals offen für eine Rückkehr zu G9 gezeigt und ein Bürgerforum beschlossen. In diesem debattieren seit Ende September zufällig ausgewählte Bürger über die Zukunft des Gymnasiums. Sie sollen der Politik am Ende Empfehlungen geben.
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Acht Jahre oder neun Jahre bis zum Abitur? Zwischen G8 und G9 zeigen sich kaum Leistungsunterschiede. Aber die Turboabiturienten sind gesundheitlich angeschlagener und gestresster.