Eingehüllt in dicke Nebelschwaden liegt es da. Nur langsam dringen die ersten Sonnenstrahlen durch - zum idyllisch gelegenen Kloster Schöntal. Die Klosteranlage aus dem 12. Jahrhundert, von Wehrmauern mit Tortürmen umgeben, könnte auch die Kulisse für einen Hollywood-Film abgeben. Doch an diesem Wochenende ist nicht etwa Matt Damon der Hauptdarsteller hier, es ist: Manuel Hagel, der neue Landesvorsitzende der Christdemokraten.
Der Trend ist derzeit der Freund der CDU - und der AfD
Fernab der großen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus mit zehntausenden Menschen hat sich die CDU Baden-Württemberg ins Kloster in der Hohenlohe zurückgezogen. Hinter dicken Mauern - manche sagen Brandmauern - wird über der Strategie der CDU gebrütet, auch im Kampf gegen die AfD. Bei dem Treffen mit über hundert Politikerinnen und Politikern aus Landtag, Bundestag und Europaparlament sowie Landkreisen und Kommunen geht es aber nicht nur um das Hier und Jetzt, sondern um nicht weniger als die Rückeroberung der politischen Vormacht in Baden-Württemberg.
Im November hat der bundesweit zweitgrößte CDU-Landesverband sein Schicksal in die Hände des 35-jährigen Manuel Hagel gelegt. Er löste Thomas Strobl (63) ab, der die Landes-CDU in einer Zeit führte, in der sie keinen Ministerpräsidenten stellte. Doch so langsam dringt auch hier die Sonne durch den dichten Nebel.
Die Ära des beliebten, grünen Landesvaters Winfried Kretschmann endet, im Land und im Bund ist die CDU in Umfragen wieder mit Abstand stärkste Kraft. Krisen und Kriege haben den Klimaschutz in der politischen Agenda verdrängt, die Ampel schwächelt. Ohne Zweifel, derzeit ist der Trend der Freund der CDU - aber eben auch der AfD.
Neuer CDU-Spitzenmann arbeitet an Profil
Hagel hat seiner Partei eine "Agenda der Zuversicht" verordnet. Doch hier auf den Gängen im Kloster Schöntal ist schon mehr als Zuversicht zu verspüren: Die Anwesenden strahlen die Gewissheit aus, dass die CDU 2026 nach langen Jahren wieder den Regierungschef in Baden-Württemberg stellen wird. Längst ist intern ausgemacht, wer es werden soll. "Dazu gibt es keine zwei Meinungen", sagt ein jüngerer CDU-Mann. Hagel selbst sagt, wenn er morgens in den Spiegel gucke, frage er sich nicht als erstes, "was wohl aus mir wird".
Hagel muss bis 2026 einen Balanceakt hinlegen. Einerseits muss der Partei- und Fraktionschef, den laut Umfragen bisher kaum jemand im Land kennt, Profil entwickeln. Auf der anderen Seite muss er weiter - wenn möglich ohne großen Streit - mit Kretschmann und Co. regieren. "Bloß keine Fehler machen", heißt die interne Devise. Entsprechend kontrolliert versucht Hagel aufzutreten, die lockeren Sprüche aus seiner Zeit als Generalsekretär kommen ihm in der Öffentlichkeit kaum mehr über die Lippen.
Hagel schwärmt von "wunderbarer Aufsteigergeschichte" vieler Migranten
Stattdessen versucht er, einprägsame Schlagworte zu kreieren. Zum Beispiel müsse Baden-Württemberg "Heimat der Fleißigen" sein. Das ist zwar der CDU in Brandenburg entliehen, aber hier ist es immerhin neu. Es geht dabei aber nicht nur um das Leistungsprinzip, das die CDU wieder stärker in den Vordergrund stellen will - es geht auch um die Migrationsdebatte.
"Die Migranten bei uns im Land haben fast alle eine wunderbare Aufsteigergeschichte", schwärmt der CDU-Landeschef. "Die sind hier Teil der Mitte unserer Gesellschaft, sind Teil unseres Wohlstands und Teil unserer Wertschöpfung." In Abgrenzung zur AfD fügt er hinzu: "Deshalb richten wir uns gegen alle Tendenzen, die hier die Gesellschaft spalten möchten und die Menschen in Gruppeneinteilung gegeneinander in Stellung bringt."
CDU-Linie zwischen "Leitkultur" und "mitfühlendem Konservatismus"
Das sind neue Töne. Vor kurzem hatte sich Hagel mit seiner Forderung nach einer "180-Grad-Wende" in der Asylpolitik noch als Hardliner profiliert. Doch die CDU sieht eben auch, dass eine Dauerdebatte über Migration in den Umfragen nur einer Partei nutzt: der AfD.
Hagel will das Thema deshalb differenziert angehen: "Wir wollen eine Gesellschaft, die zusammenhält, in der jeder eine Chance hat, der unsere Werte und unsere Leitkultur in Deutschland und Baden-Württemberg anerkennt und auch teilt." Leitkultur, ja, aber die CDU strebe eben auch - wie jüngst von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schon eingeführt - einen "mitfühlenden Konservatismus" an.
Hagel sieht AfD als "Hauptgegner"
Hagel ist sichtlich bemüht, in der Migrationsdebatte deutlich weniger polarisierend aufzutreten, als das CDU-Bundeschef Friedrich Merz immer wieder tut. Anders als Merz, der die Grünen als "Hauptgegner in der Bundesregierung" bezeichnet hatte, stellt Hagel auch klar: "Die AfD ist intellektuell, habituell, kommunikativ, der Hauptgegner der CDU."
Den Aufstand gegen Rechtsextremismus findet er grundsätzlich gut. Mit Sorge wird jedoch gesehen, dass zum Beispiel auch die Linke bei den Bündnissen mitmischt. Hier hat die Union eigentlich eine rote Linie, denn man hat sich auferlegt, ein "Zusammenwirken" mit der Linken zu vermeiden. Und dennoch: Hagel will nächste Woche in seinem Wahlkreis Ehingen selbst auf eine Demo gehen.
Provokation für die Grünen: Verbrennerverbot soll weg
Statt die Migrationspolitik ständig in den Vordergrund zu stellen, will sich die CDU wegen der Krise künftig stärker mit Wirtschaft und Wohlstand befassen und hier Profil gewinnen - auch in Abgrenzung zur Ampel in Berlin. Hier scheut Hagel auch nicht den Konflikt mit dem grünen Koalitionspartner. Er sagt: "Transformation braucht auch Taktgefühl und nicht nur den Holzhammer der Verbote. Deshalb ist für uns sehr klar, dass das Verbrennungsmotor-Verbot aus Europa auch wieder geändert werden muss." Das Verbot für Benziner und Dieselautos ab 2035 müsse aufgehoben werden, um die Autoindustrie in Baden-Württemberg abzusichern. Eine Provokation für die Grünen, denn das wäre ein Abrücken von den Klimazielen.
In der "Agenda der Zuversicht", die die CDU an diesem Wochenende mit zwölf Punkten unterlegte, steht auch: "Wohlstand braucht Anstrengung". Interessanterweise geht es dabei aber in erster Linie darum, dass sich die Politik mehr anstrengen soll. Verkehrswege und das Mobilfunknetz müssten endlich besser ausgebaut werden. "Schneller werden", heißt die Forderung, die sich offensichtlich auch an Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und den eigenen Digital- und Innenminister Thomas Strobl (CDU) richtet.
Erfahrende CDU-Leute warnen: Nicht übermütig werden
Apropos Strobl: Was hat sich eigentlich geändert, seit Hagel den Altvorderen ersetzt hat? Alte Fahrensmänner, die Hagel noch kritisch beäugen, räumen ein, dass die CDU mit ihm moderner, digitaler und professioneller aufgestellt wirke. Es wird aufgeatmet, dass Strobls langatmige "Predigt" nun wegfällt. Doch der eine oder andere warnt, trotz aller guter Vorzeichen und Trends nicht übermütig zu werden.
Die Grünen hätten mit Cem Özdemir einen regierungserfahrenen Kandidaten in der Hinterhand. Und bis zur Landtagswahl seien es immerhin noch zwei Jahre, da könne sich politisch noch viel ändern. Andererseits hat Hagel dadurch auch noch Zeit, an der "Agenda der Zuversicht" und seiner Bekanntheit zu arbeiten. Der Nebel muss sich erst zur Landtagswahl lichten.