Junge Erwachsene grölen rechte Parolen zu einem Gigi D'Agostino Lied mit. Das Video geht auf TikTok viral. Dass dieses Lied mit Nazi-Parolen gesungen wird und für Menschen aus der rechten Szene eine andere Bedeutung hat, ist bereits seit dem vergangenen Jahr ein Trend auf der Plattform TikTok.
Aktuell wird ein Video aus Nagold (Landkreis Calw) auf diversen Plattformen verbreitet, das bereits am 1. Mai entstanden ist. Ähnlich wie auf Sylt grölen Mitfahrende eines Maiwagens Nazi-Parolen auf die Melodie von "L' Amour Toujours". Zuletzt kursierten Videos aus Stuttgart, in welchen Fußballfans die rassistische Parole "Ausländer raus" rufen.
Nachdem junge Menschen auf Sylt mit rechten Parolen aufgefallen sind, wird aktuell ein Video aus Nagold verbreitet:
Videos wie diese heizen momentan die Debatte um den Einfluss von TikTok auf Kinder und Jugendliche wieder an. Ihnen werden solche Videos ungefiltert ausgespielt. Politische Inhalte sind die eine Sache, aber auch etliche Challenges und Konsum-Trends werden auf der Plattform verbreitet. Der Hype um bestimmte Produkte geht beispielsweise so weit, dass Make-up-Produkte wochenlang ausverkauft sind oder Kinder und jugendliche bestimmte Getränke wie beliebte Kokosmilch, Eistee und dergleichen konsumieren, weil sie es auf TikTok empfohlen bekommen haben.
Quellen bei TikTok oft unbekannt
Bei der Beschaffung von Informationen, würden junge Menschen sich im Großen und Ganzen sehr stark auf soziale Plattformen beschränken, sagt Wolfgang Schweiger, Experte für Medien- und Onlinekommunikation an der Universität Hohenheim in Stuttgart im Gespräch mit dem SWR. TikTok spiele dabei eine durchaus große Rolle, was nicht ganz problemlos sei. "Die Hauptgefahr, die ich bei TikTok sehe, ist, dass man vieles ausgespielt bekommt, was man nicht kennt - auch viele Quellen, die man überhaupt nicht kennt und die man nicht einschätzen kann", erklärt Schweiger.
Man sehe auf TikTok viele Leute, die irgendwas in die Kamera redeten und irgendwelche Meinungen äußerten. Oft wisse man aber gar nicht, wer die Person und ihr Hintergrund sei, welche politische Position sie vertete, so Schweiger. Für den Kommunikationsexperten ist das "ein Riesenproblem, weil man eben die Qualität der Aussagen und den Wahrheitsgehalt der Aussagen nur sehr, sehr schwer beurteilen kann."
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"Social Media prägt Lebensrealität von Jugendlichen"
Auch Anka Steger von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) sieht in der unklaren Quellenlage ein Problem: Das Spezielle an TikTok sei, dass hier der Inhalt des Videos im Vordergrund stehe. Wer als Creator oder Influencer dahinter stehe, spiele dagegen weniger eine Rolle. Die Quelle der Informationen sei daher oft unbekannt, so Steger gegenüber dem SWR.
Gleichzeitig sei aber auch klar, dass Social Media die Lebensrealität von Jugendlichen präge. Zudem werde durch die Algorithmen der Social-Media-Plattformen auch eine Radikalisierungstendenz verstärkt, ergänzt Steger.
TikTok-Challenges: Trends mit teils gefährlichen Folgen
Neben politischen Inhalten, bei denen der Wahrheitsgehalt nicht immer geprüft wird, ist TikTok auch für Challenges bekannt. Die Polizei warnt ausdrücklich vor derartigen Mutproben aus den sozialen Medien, sie seien sehr gefährlich und sollten nicht nachgeahmt werden. Nach einer solchen Mutprobe, der "Blackout-Challenge", ist beispielsweise ein Mädchen in Bad Saulgau (Kreis Sigmaringen) bewusstlos zusammengebrochen und mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen. Ziel dieser TikTok-Challenge ist ein Rauschgefühl, das sich kurz vor der Ohnmacht einstellen soll.
Durch die "Hot Chip Challenge" wurden Kinder und Jugendliche animiert besonders scharfe Maistortilla-Chips zu essen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte bereits im September vor dem Verzehr solcher Chips und anderer extrem scharfer Lebensmittel gewarnt. Der übermäßige Verzehr von stark Gewürztem könne zu "ernsthaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen" führen. Die Chips sind in Baden-Württemberg mittlerweile verboten.
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TikTok-Challenges: Mutproben bei Jugendlichen nichts Neues
Kommunikationsexperte Wolfgang Schweiger von der Uni Hohenheim erklärt dazu, dass es auf TikTok gar nicht so stark darum gehe, etwas zu liken oder weiterzuleiten. Der Algorithmus belohne es stattdessen, wenn eine bestimmte Gruppe von Menschen Inhalte länger anschaue. "Das ist das Neue an TikTok, dass der Algorithmus einfach erfasst, was bei einzelnen Nutzerinnen und Nutzern gut ankommt und das dann ähnlichen Menschen ebenfalls ausspielt. So kann eine entsprechende Dynamik entstehen", sagt Schweiger.
Da sich junge Menschen stärker über solche algorithmisierten Plattformen informierten als ältere Menschen, seien sie theoretisch anfälliger für solche Inhalte. Auf der anderen Seite hätten junge Menschen aber durchaus mehr Erfahrungen im Umgang mit solchen Plattformen, so Schweiger. Das Phänomen "komischer Mutproben" bei jungen Menschen sei aber schon immer da gewesen, erklärt er. "Bloß jetzt kriegen sie unglaubliche Reichweiten durch diese Plattformen." Für Anke Steger von der LpB ist dagegen auch klar, dass durch Social Media die Hemmschwelle sinke, solche Dinge aufzugreifen und nachzumachen.