Geflüchtete sollen einen Teil der staatlichen Leistungen künftig als Guthaben auf einer Bezahlkarte beziehen, also nicht mehr als Bargeld. 14 der 16 Bundesländer, darunter auch Baden-Württemberg, sowie der Bund einigten sich dazu auf gemeinsame Standards für ein Vergabeverfahren, das bis zum Sommer abgeschlossen sein soll.
"Mit der Bezahlkarte wollen wir eine Signalwirkung schaffen - gegen irreguläre Migration und finanzielle Transferleistungen in die Herkunftsländer", sagte die baden-württembergische Justiz- und Migrationsministerin Marion Gentges (CDU) am Mittwoch in Stuttgart. "Dafür brauchen wir ein funktionsfähiges Modell - und das zeitnah und bundesweit."
Die niedersächsische Landesregierung rechnet nach eigenen Angaben im Sommer oder Herbst mit der Karte. Ein konkretes Datum für die Einführung könne derzeit nicht genannt werden, sagte ein Sprecher des BW-Justiz- und Migrationsministeriums dem SWR. Bei dem Vergabeverfahren geht es vor allem um einen gemeinsamen Dienstleister für die technische Infrastruktur. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gehen eigene Wege, wollen die Bezahlkarte aber ebenfalls einführen, wie der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, der hessische Regierungschef Boris Rhein (CDU), am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte.
Karte soll "Fehlanreize für die Einreise" verringern
Die Bezahlkarte soll Asylbewerberinnen und -bewerbern unter anderem die Möglichkeit nehmen, Geld aus deutscher staatlicher Unterstützung ins Herkunftsland an Angehörige und Freunde zu überweisen. Es gehe darum, "Fehlanreize für die Einreise nach Deutschland abzubauen", sagte Gentges der Deutschen Presse-Agentur.
Derzeit seien Familien aus anderen Staaten interessiert, Verwandte - meist junge Männer - auf die weite und gefährliche Reise nach Europa zu schicken, um von dort aus mit Transferleistungen die Familien im Heimatland finanziell zu unterstützen, so Gentges. Außerdem seien Herkunftsländer im aktuellen System weniger motiviert, bei Rückführungen zu helfen, da sie ein volkswirtschaftliches Interesse hätten. Darüber hinaus soll die Bezahlkarte den Verwaltungsaufwand für die Kommunen senken.
Überweisungen sollen mit der Karte nicht möglich sein
Asylbewerberinnen und -bewerber erhalten gesetzlich festgelegte Regelleistungen und darüber hinaus besondere Unterstützung etwa im Fall von Krankheit oder Schwangerschaft. Mindestens ein Teil der Unterstützung soll künftig über die Bezahlkarte laufen. Sie soll ähnlich wie eine EC-Karte funktionieren - man soll damit also im Laden bezahlen und auch Geld abheben können, aber nicht im Ausland. Die Menge Bargeld, die man abheben kann, soll zudem begrenzt sein.
"Über die Höhe des Barbetrags sowie über weitere Zusatzfunktionen entscheidet jedes Land selbst", sagte Hessens Ministerpräsident Rhein. Karte-zu-Karte-Überweisungen und sonstige Überweisungen im In- und Ausland seien nicht vorgesehen.
Kritik vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg
Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg bezeichnete die Pläne als "Ausdruck aktueller abschreckungspolitischer Tendenzen in der Flüchtlingspolitik". Es sei ein Irrglaube, dass Menschen nur durch die Bezahlkarte seltener zur Flucht gezwungen würden, sagte die Co-Geschäftsführerin des Rates, Anja Bartel. Es gebe zudem keine empirische Grundlage für die These, dass Migranten Geld aus ihren Sozialleistungen in ihre Heimat überwiesen. "Zu Überweisungen in die Herkunftsländer kommt es erst dann, wenn Menschen hier arbeiten und Geld verdienen", sagte Bartel.
Dem Migrationsforscher Herbert Brücker zufolge tätigen 10 bis 20 Prozent der Asylbewerber Rücküberweisungen in ihre Herkunftsländer. Das sagte der Experte vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der "Rheinischen Post". Auch seien die überwiesenen Summen sehr gering. Der Effekt von Rücküberweisungen in die Heimat sei zudem "nicht per se negativ", so Brücker. "Denn mit dem Geld werden in der Regel Familienangehörige unterstützt, die dadurch eher in ihren Ländern bleiben, weil sich ihre Lebensumstände verbessern."
Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg warnte zudem davor, die Möglichkeit von Überweisungen einzuschränken. Denn Überweisungen seien notwendig, um zum Beispiel Telefonverträge abschließen zu können, oder auch, um Anwälte und Anwältinnen zu bezahlen. Die Karte dürfte auch nicht den Kauf bestimmter Waren oder Dienstleistungen ausschließen, so Bartel. "Vorschläge aus anderen Bundesländern, wie den Kauf von Alkohol, Tabak oder Glücksspielen zu verbieten, reproduzieren nicht nur Vorurteile gegenüber Geflüchteten", sagte sie. "Sie verkennen vor allem: Sozialleistungen sind keine Erziehungsmaßnahme."
Ähnlich sieht es Maria Kalin, Fachanwältin für Migrationsrecht aus Ulm. Sie bezweifelt, dass die geplante Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Anwältin verweist auf die Menschenwürde: Bei der Frage, ob man jemandem zutraut, mit dem eigenen Geld umzugehen, müssten ihrer Ansicht nach alle Menschen gleich behandelt werden.
Modellversuche im Ortenaukreis und weiteren Kreisen
In einigen Kommunen wurden bereits in Modellversuchen Bezahlkarten für Geflüchtete eingeführt, mit denen sie staatliche Leistungen als Guthaben erhalten, aber nicht mehr als Bargeld. Im Ortenaukreis ist seit vergangener Woche eine Bezahlkarte im Einsatz. Hier war das Ziel, der Verwaltung das Leben leichter zu machen. Die Möglichkeit, Bargeld abzuheben, ist dort nicht eingeschränkt. In Thüringen testen zwei Landkreise eine Karte mit deutlich mehr Einschränkungen. Asylbewerberinnen und -bewerber dürfen dort zum Beispiel nur in der jeweiligen Region einkaufen. Geld abheben, funktioniert gar nicht - in einem Landkreis gibt es nur zusätzlich ein Taschengeld in bar.
Die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatten sich im November 2023 auf das Konzept einer Bezahlkarte für Asylbewerber in Deutschland verständigt. Daraufhin hatte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe Vorschläge für bundesweite Mindeststandards erarbeitet.