Bildbasierte sexualisierte Gewalt, wie es in Fachkreisen heißt, gibt es in vielen Formen. Manchmal geht es um geklautes Material, das die Täter ohne Wissen der Betroffenen verbreiten. Oder um Rachepornos – also Nacktaufnahmen, die in einer Partnerschaft entstanden sind, nach der Trennung aber veröffentlicht werden. Und seit einiger Zeit häufen sich sogenannte Deepfakes.
Was sind Deepfakes?
Auf der Homepage eines Deepfake-Anbieters wird beispielsweise ein Porno-Clip gezeigt, bei dem das Gesicht der Klimaaktivistin Greta Thunberg auf den Körper der Darstellerin montiert wurde. Zu gefühlt jedem prominenten weiblichen Namen wirft die Deepfake-Seite einen montierten Porno oder ein gefälschtes Nacktbild aus. Für die ehemalige First Lady Michelle Obama, Außenministerin Annalena Baerbock oder AfD-Chefin Alice Weidel genauso wie für die Schauspielerinnen Emma Watson oder Scarlett Johansson.
Deepfakes lassen sich ganz einfach mit Smartphone-Apps oder Online-Anwendungen erstellen. Ein paar Klicks – und ein beliebiges Gesicht erscheint in einem Porno-Clip. Josephine Ballon von "Hate Aid" hält es daher für notwendig, Sicherheitsvorkehrungen bereits auf der Ebene der Software zu treffen, damit im Idealfall über Deepfake-Apps Nacktfotomaterial gar nicht bearbeitet werden kann.
Josephine Ballon ist Expertin für alle rechtlichen Fragen bei der gemeinnützigen Organisation "Hate Aid". Die Organisation setzt sich gegen Hass im Netz ein. Einen Schwerpunkt ihrer Beratungen bildet bildbasierte sexualisierte Gewalt. Auch die deutsche Initiative "Anna Nackt" unterstützt Frauen – und in seltenen Fällen auch Männer – deren Nacktbilder im Internet geleakt wurden.
Deep Fakes mit bekannten Männern sind rar – betroffen sind vor allem Frauen
Die Suchanfragen nach Deepfakes mit Männern laufen meistens in Leere – oder verweisen direkt auf die Töchter oder Partnerinnen der Prominenten. Das hat System, sagt Josephine Ballon von "Hate Aid". 99 Prozent der Deepfakes würden weibliche Körper zeigen, darin zeige sich nicht nur der strukturelle Frauenhass in der Gesellschaft, sondern auch im Internet, so Ballon.
Hass auf Frauen – Von Hate Speech bis Femizid
Lassen sich Plattformen bei der Verbreitung einschränken?
In den vergangenen Jahren ist der Druck auf die Plattformen gewachsen – nicht zuletzt durch Medienrecherchen. Zum Beispiel die von "Strg F“: 2020 veröffentlichte das ARD-Format eine Reportage: Ein Mitarbeiter des Festivals "Monis Rache" hatte heimlich Frauen auf Dixi-Toiletten gefilmt und die Clips hochgeladen. Der Festivalveranstalter von "Monis Rache" hat ein umfangreiches Statement im Internet zur Verfügung gestellt, dort finden sich unter Punkt Eins zudem zahlreiche Anlaufstellen für Betroffene.
Nach einer Recherche der New York Times zu Gewaltdarstellungen bei "Pornhub" hat der Branchenriese Millionen Clips gelöscht und anonyme Uploads gestoppt. Auch bei "XHamster" dürfen nur noch verifizierte Nutzer Videos oder Fotos hochladen. Außerdem haben beide Seiten die Suchfunktion eingeschränkt. Doch dies lässt sich mit einfachen Tricks weiterhin umgehen. Warum lassen Plattformen das zu? Auf die Nachfrage von SWR2 Wissen antwortet weder "XHamster" noch "Pornhub".
Aktueller Stand des Pornografie-Strafrechts
Trotz Verschärfung der Gesetzeslage – wie im Fall des Stalking-Paragraphen oder dem Paragraphen 184k StGB zu Aufnahmen im Intimbereich – bleiben laut Juristin Anja Schmidt weiterhin gesetzliche Lücken. Anja Schmidt forscht zu Pornografie und sexueller Selbstbestimmung an der Universität Halle.
Außerdem, so erklärt die Juristin, werde die Veröffentlichung intimer Bilder oft als Privatklagedelikt gesehen, die Staatsanwaltschaft erkenne kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung und stelle das Verfahren ein. Das scheint grotesk angesichts der Tatsache, dass jede und jeder betroffen sein könnte und gefilmt werden könnte – auf der Zugtoilette oder in einer Kaufhaus-Umkleidekabine. Die Ermittlungsbehörden stufen die Taten aber häufig als geringfügig ein – vielleicht auch aufgrund der schieren Masse der einlaufenden Anzeigen. Es mangele an Sensibilität dafür, so Anja Schmidt, dass bildbasierte sexualisierte Gewalt diskriminierend sei.
Was motiviert die Täter und welche Therapie-Angebote gibt es?
Das Projekt "I can change", zu Deutsch: "Ich kann mich ändern", entstand im Jahr 2017 – im Kontext der Metoo-Debatte. Es ist ein anonymes und kostenloses Therapie-Angebot unter Schweigepflicht und richtet sich an Menschen, die Erwachsenen gegenüber sexuell übergriffig geworden sind oder unter entsprechenden Fantasien leiden.
Freiwillig und aus eigenem Antrieb sollen sie kommen, sagen Projekttherapeutin Anahita Bonabi und Psychologe Jonas Kneer. Deswegen therapieren die beiden niemanden, gegen den ermittelt wird. Zu 95 Prozent seien es Männer, so Anahita Bonabi, und die Problemlagen seien vielfältig, oft handele es sich um Sexualstörungen oder Grenzüberschreitungen in Partnerschaften. Manchen Patienten, die ohne Zustimmung Videomaterial von Partnerinnen anfertigten, gehe es offenbar um einen intensiven Kick von Macht und Kontrolle, so Jonas Kneer.
Rund 300 Kontaktaufnahmen haben Anahita Bonabi und Jonas Kneer seit Gründung des Projekts "I can change" gezählt. Mit mehr als 100 Menschen haben sie eine Therapie begonnen oder bereits abgeschlossen.
SWR 2023